laut.de-Kritik

Als würde man mit den Fingern durch hauchdünnen Samt fahren.

Review von

R'n'B ist dieser Tage sehr um den Fortbestand der Menschheit besorgt, scheint es. Im Sommer eröffnete Dijon seinen Kritiker-Megablockbuster "Baby" gleich mit zwei Tracks darüber, wie gerne er Kinder machen würde. Und auch Daniel Caesar hält mit "Have A Baby (With Me)" nicht hinter dem Berg.

Trotzdem ist sein neues Album "Son Of Spergy" keine reine Playlist, um sich fortzupflanzen, so sehr das Genre diese Tradition auch hergibt. Tatsächlich handelt es sich um ein Konzeptalbum, das in seinen Ambitionen gleichzeitig über- wie unterkomplex ist. "Son Of Spergy" verhandelt gleichzeitig sein Verhältnis zu ebenjenem Spergy: Sein Vater, der kanadische Gospelsänger Norwell Simmonds, dem dieses Album als Geste der Versöhnung gewidmet ist.

Gleichzeitig bekommen wir ein Therapie-Album in Sachen verlorene und nachgehangene Liebe. Ganz viel Gott ist ebenfalls im Mix enthalten, genauso eine Storyline und sehr viele hochkarätige Features. "Son Of Spergy" jongliert all das nicht immer perfekt aus. Aber klingen tut das Album absolut fantastisch.

Jede einzelne Schicht der Instrumentierung und Caesars Stimme selbst klingen, als würde man mit den Fingern durch hauchdünnen Samt fahren. R'n'B gibt zwar die Attitüde vor, musikalisch steht das Projekt aber mit einem Bein im Gospel und mit dem anderen im Chamber Pop. Kein Wunder, dass man Gastauftritte von Sampha bis Bon Iver ganz ausgezeichnet unterbringt.

Vielleicht entsteht so das Gefühl, dass vor lauter Wohlgeschmack des Sounds ein bisschen der emotionale Fokus aus den Augen verloren wird. Denn öfter bleibt nur recht schwer greifbar, was denn überhaupt gefühlt wird. Ein gutes Beispiel ist die Leadsingle "Have A Baby (With Me)", die eine emotional komplexe Situation ausführt: Der Protagonist steckt in einer abgekühlten, sich dem Ende neigenden Beziehung. Vor lauter Verzweiflung, um noch einen kleinen Hauch Romantik zu evozieren, wirft der Protagonist seinem Gegenüber an den Kopf, dass sie jetzt auf der Stelle ein Kind haben sollten.

Eine horrende Idee, und der Song hätte seine Berechtigung, wenn es darum gehen würde, Verzweiflung und Überforderung des Protagonisten zu illustrieren. Aber tut es das? Schwer zu sagen. Caesar lamentiert, klingt aber doch recht selbstzufrieden. Er ist ein Künstler, dessen gigantischer Streaming-Erfolg darauf beruht, dass seine Musik perfekt in die Chill-R’n’B-Playlistkultur passt. Dieses Album will Größeres, Komplexeres verhandeln, traut sich aber nicht, dafür etwas musikalisch zu Widerspenstiges zu produzieren. Ein echter Widerspruch, richtige emotionale Widerhaken kommen so nicht zustande. Wenn Leute diesen Track in eine Babymaking-Sex-Playlist packen würden, bliebe die Ironie für ewig ungehört.

Was nicht heißt, dass manche Tracks nicht auch inhaltlich gut funktionieren. Absolutes Highlight ist definitiv "Baby Blue", das er gemeinsam mit seinem Vater singt: "Baby blue / Some days I feel blue too / But when I'd look at you, my melancholy dissipatеs." Die Vibes sind auf keinen Fall zu beanstanden. Der Song kommt buttersmooth.

Ansonsten marschiert das Album auf ebenjenen Vibes definitiv durch. Es ist immer eine Freude, Yebba zu hören ("Touching God"). "Emily's Song" könnte auch ein großartiger Indie-Track sein, und das abschließende "Sins Of The Father, wenn auch mit etwas zu viel Bon Iver-Soße, baut eine anspruchsvolle und cool exekutierte Songstruktur auf, die dem Album ein würdevolles Finale gibt.

Ein bisschen bleibt der Eindruck zurück, dass sich ein Vibes-Guy Caesar auf "Son Of Spergy" verzettelt hat. Und trotzdem kann man sich in diesem klanglich großartigen Album perfekt treiben lassen.

Trackliste

  1. 1. Rain Down (feat. Sampha)
  2. 2. Have A Baby (With Me)
  3. 3. Call On Me
  4. 4. Baby Blue (feat. Norwill Simmonds)
  5. 5. Roots Of All Evil
  6. 6. Who Knows
  7. 7. Moon (feat. Bon Iver)
  8. 8. Touching God (feat. Yebba & Blood Orange)
  9. 9. Sign Of The Times
  10. 10. Emily's Song
  11. 11. No More Loving (On Women I Don't Love) (feat. 646yf4t)
  12. 12. Sins Of The Father (feat. Bon Iver)

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