laut.de-Kritik
Die Niederländer nehmen Nightwish das Königszepter aus der Hand.
Review von Jürgen LugerthIm Bereich Symphonic-, Power- und Gothic-Metal galten Nightwish über lange Zeit als das Maß aller Dinge. Die Band Epica aus den Niederlanden galt da eher als der kleine Bruder, oder besser als die kleine Schwester, denn die sehr attraktive und live unheimlich freundliche Frontfrau Simone Simons war von Anfang an nicht zu übersehen und schon gar nicht zu überhören. Während Nightwish aber in den letzten Jahren eher mit band-internen Querelen und Besetzungswechseln auffielen, haben sich Epica stetig weiterentwickelt und liefern mit "The Holographic Principle" den Beweis, dass sie in diesem Bereich des Heavy Metal das Königszepter tragen können.
Erhaben und majestätisch klingt schon der Einstieg, denn "Eidola" erweist sich als eine regelrechte Overtüre mit unheilschwangeren Trommelklängen und Opernchören, die auch einen Monumentalfilm aus der Traumfabrik eröffnen könnten. Das folgende "Edge Of The Blade" kommt dagegen erst einmal ziemlich straight rockend daher, türmt in den Chorussen aber dramatischen Engelsgesang und Streicherwände auf und setzt der Stimme von Simone in der zweiten Hälfte ein paar bösartige Growls von Mark Jansen entgegen.
Schon ab dort ist klar, wie das holografische Prinzip von Epica funktioniert. Exzellentes instrumentales Können, progressive, komplexe Strukturen, klassische Elemente, opernhaftes Drama und romantische Gesangseinlagen und immer wieder starke musikalische Kontraste bestimmen das Bild.
Es ist kaum möglich, "The Holographic Principle" schon nach ein bis zwei Durchläufen vollständig zu erfassen. Aber eines sticht sofort angenehm heraus: Epica bleiben immer geerdet, überzuckern ihre Klanggebilde nicht unnötig, rocken zwischendurch gerne einfach hart, trocken und unnachgiebig, um dann der glockenklaren Stimme von Simone Simons wieder viel Raum zu geben und in den Refrains regelmäßig in höhere Sphären abzuheben. Bis der fiese Troll kommt und seine Gemeinheiten in den paradiesischen Wohlklang growlt. Himmel und Hölle auf einer Platte. Klasse!
Man könnte jetzt alle Stücke durchgehen, aber eigentlich ist das neue Album ein Gesamtkunstwerk, das an einem Stück gehört werden muss. Ob das epische "A Phantasmic Parade", das vielfältige "Divide And Conquer", das unwiderstehliche, poly-rhythmische "Dancing In A Hurricane" oder die opulente Ballade "Once Upon A Nightmare", in der die schöne Frontfrau stimmlich besonders glänzt, alles fügt sich in einen Kontext ein, wie Kapitel in einem altehrwürdigen Buch. So ein bisschen erinnert das Ganze auch an die überlange, fantastische Heavy Metal-Oper "Dante's Inferno" von Iced Earth, nur eben in extremer Ausführlichkeit. Immerhin kommt das Titelstück, das diese Platte abschließt, ebenfalls auf eine stolze Länge von über elfeinhalb Minuten und kann dem Dante durchaus das Wasser reichen.
Wie es sich gehört, ist dieses Werk natürlich auch hervorragend produziert. Dem Hörgenuss steht also nichts im Wege. "The Holographic Principle" ist nichts für zwischendurch, sondern ein Ohrenfest für ruhige Stunden. Wer auf die limitierte Edition mit zwei CDs oder gar auf die Box zurückgreift, kann dieses Fest noch beträchtlich verlängern. So oder so macht es eine Menge Spaß.
7 Kommentare
Symphonic Metal, daher 1/5.
"Bis der fiese Troll kommt und seine Gemeinheiten in den paradiesischen Wohlklang growlt."
geil
Ich habe den Eindruck, dass manche Tracks nicht optimal bis schlecht abgemischt sind - Nun wird hier explizit die Produktion gelobt... Ist das noch jemandem aufgefallen oder gibit mein Gehör so langsam endgültig auf?
Also ich bin auch sehr positiv überrascht vom Album (war aber auch vom neuen Nightwish Album sehr angetan). Jeder Song hat verdammt gute Melodien, tolle und harte Riffs und arbeitet gezielt mit angenehmen Kontrasten. Beim Vorgänger wirkte das alles einfach wie mit der Brechstange präsentiert, aber auf "The Holographic Principle" wirkt das alles viel ausgereifter. Meine Lieblingssongs sind das doomige "Ascension", das ruhige und später stark mitreißende "Once Upon a Nightmare" (mit toller Geigenmelodie) und generell die erste Hälfte. In der zweiten schleichen sich bei meinen Ohren einige Ermüdungserscheinungen ein, auch wenn das Opus "The Holographic Principle" mit seinen 11 Minuten wirklich schön abwechslungsreich ist Weitaus besser als "The Quantum Enigma" in meinen Augen 4/5 und sogar besser als Nightwishs "Endless Forms Most Beautiful".
Wer im Übrigen mehr Musik von der Sorte möchte, sollte zum neuen Delain Album greifen oder in "Diabulus in Musica" hören. Die beiden Bands liefern dieses Jahr auch wirklich stark ab
Kracht schon ordentlich episch rein das Ding. o.o/
Um Nightwish von Tron des Symphonic-Metal zu stoßen, reicht es nicht. Da fehlt es Epica an Originalität. Interessant klingt aber "Beyond The Matrix" - schaffen sie es doch kurzzeitig aus dem symphonischen Konzept auszubrechen. Technisch ist es ein super Album, was aber auch selbstverständlich sein sollte nach vielen Jahren im Showbiz. Warum haben sie so wenig Mut Neues zu wagen?