laut.de-Kritik
Knietief im Elend. Mindestens.
Review von Dani FrommEinladend wirkt das Cover nicht gerade: Ein verwittertes Schild heißt "Willkommen Im Niemandsland". Im Hintergrund baumelt ein Knabe in aufreizend engem Beinkleid kopfüber am Gerippe eines Baums. Ein schönes Bild. So bezeichnend! Mit der Hipster-Fraktion in Röhrenjeans wollen sie bei Freunde von Niemand ums Verrecken nichts zu tun haben.
Die Abgrenzung erfolgt permanent - und erscheint so beinahe ein bisschen verkrampft. Die Verbitterung darüber, im herrschenden Rap-Hype übergangen, bei der Verteilung des Kuchens vergessen worden zu sein, sitzt offenbar tief. Deswegen muss man sie auch am laufenden Band zum Thema erheben: "So viel Arbeit" hat Bosca "in die Scheiße gesteckt", auf dem Konto herrscht aber, sehr im Gegensatz zu manch anderem, der sich derzeit üppiger Plattenverkäufe erfreut, noch immer gähnende Leere. Ja. Das schmerzt.
Zum abendfüllenden Thema taugen Neid und Missgunst aber noch nicht einmal im Verbund mit der Genre-typischen Großkotzigkeit. "Hier von uns kommt der beste Rap der Welt", tönt es aus dem "Intro". Zumindest die erste Hälfte des Samplers liefert übersichtlich viel Anlass, dem Glauben zu schenken.
Bis zum Dekubitus suhlen sich Vega, Bosca und Bizzy Montana abwechselnd im eigenen Elend. Man möchte schier mit dem Erste-Hilfe-Köfferchen anrücken, die wundgelegenen Stellen mit Benjamin-Blümchen-Pflastern verarzten und an die weinenden Buben zum Trost Lollis verteilen. Och, komm. Ist doch gar nicht so schlimm! Das wird schon wieder!
Nein, wird es nicht: Flankiert von Klavier- und Streichertragik, Glockenschlägen und scheinbar allgegenwärtigen körperlosen Chören zeichnen die Freunde von Niemand ein Bild des Jammers, bauen der erlittenen Enttäuschung einen Altar, auf dem sie die eigene Lebensfreude als Brandopfer darbringen.
"Du stehst vor den Trümmern deines Lebens", findet sich beispielsweise Bizzy Montana in einer unfrohen Lage wieder. Alleine, traurig, betrogen und verlassen nagt an ihm die Frage: "War Es Das Wert"? Bosca betrachtete kurz zuvor noch das "Foto An Der Wand", das von besseren Zeiten künden sollte. Doch wann sollen die kommen, wenn man knietief im Sumpf steckt und sich dort im Selbstmitleid einigelt?
Die Illustration der typischen Jungmännerdepression funktioniert bestens. Die düstere Atmosphäre der Beats spiegelt die trostlosen Zeilen und vervielfacht ihre bedrückende Wirkung. Die Stimmung trifft in ihrer trotzigen Wir-gegen-den-Rest-der-Welt-Attitüde unter Garantie den Nerv der anvisierten Zielgruppe. Zudem regiert der lobenswerte Eindruck, dass diese Herren mit ihrem "Paar-vor-dein-Maul-Rap" tatsächlich ihr Ding durchziehen, statt sich irgendeiner Mode anzupassen.
Trotzdem: Nach der Hälfte der Spielzeit befällt mich der schier unwiderstehliche Drang, meine Stirn an der nächstbesten Wand blutig zu schlagen. Was ist nur los, mit den Jungs von heute? Wo liegt deren Problem? Sie saufen, um zu vergessen, liegen dann um "3 Uhr Nachts" wach und lecken die eigenen Wunden? Mannomann.
Kurz bevor mein Schädel Schaden nimmt, naht die Rettung doch noch: Timeless kredenzt mit "Meine Musik" seine Auffassung der Mission - und reißt mit Schaum vor dem Mund und einem herrlichen Amoklauf von einem Track das Ruder radikal herum. Schon im Vorfeld sorgte sein respektloser Rundumschlag gegen Kinder, Frauen, Priester und Schwule für Wellen der Empörung.
"Meine Musik ist ein Schwulenfeind." Nö, politisch korrekt ist das nicht. Aus Timeless' Mund kommt derlei Dämlichkeit aber mit so viel querfeldein marodierender Anti-alles-Punk-Grazie, dass es ein helles Vergnügen ist. "Bei meiner Musik hat die Bildung versagt." Jawollja. Manchmal braucht Rap wirklich kein Abitur.
Sehr im Gegensatz dazu wirkt der Homo-Diss, den sich Vega auch wieder nicht verkneifen konnte, geradezu verzweifelt bemüht. "Ich bin immer noch hier in der Booth" - Zusammenhang braucht offenbar kein Mensch mehr - "und Männer, die küssen, sind immer noch schwul." In der Booth? Männer, die Frauen küssen, auch? Und wie schauts aus mit Männern, die ausgerechnet die Böhsen Onkelz umarmen und anschließend ein "Schloss Aus Sand" bauen, um dort in kernigster Haudegen-Manier gemeinsam Hooklines zu singen?
Na, lassen wir das. Wir waren schließlich schon in der erfreulicheren zweiten Hälfte von "Willkommen Im Niemandsland" angelangt. Dem Splatterinferno "Meine Musik" folgt das kaum weniger mitreißende "Halt Dein Maul, Chab". Vega, Bosca und wieder Timeless haben den Trübsinn gegen handfesten Zorn eingetauscht, dem sie über einem energiegeladenen Cubeatz-Beat freien Lauf lassen. Genau: Sowas machen Hip Hopper.
"Sag deinen Leuten: Wir spielen wieder oben mit." Plötzlich haben die Jungs allesamt zu Optimismus und Tatkraft zurück gefunden, genießen die klassischen Freuden Sex, Drugs und Rock'n'Roll, die "La Vida Loca" zu bieten hat, und versauen munter die Kids im Land. Angst? "Besser Renn"!
Selbst in Gefilden, in die "Kein Licht" dringt, blickt Bizzy Montana auf einmal wieder hoffnungsfroh nach vorne - und auch ein bisschen stolz: "Gangscheiß und Waffendreck", den gibt es bei den Freunden von Niemand nämlich auch weiterhin nicht. "Wenn ich schreibe, bleibt der Gangsterfilm immer noch aus", schließt sich Bosca an.
Beim abschließenden "Sterne Zählen" präsentiert er sich in einer Weise verletzlich, aber auch zäh - und so begeistert, dass man die besungenen "funkelnden Augen" schier aus der Box glänzen sieht: Boscas bester und zugleich sympathischster Auftritt, überhaupt. "Bin kurz vorm Fall - doch ich halte mich fest." Vielleicht benötigen sie im Niemandsland doch nicht so dringend einen Sanitäter.
18 Kommentare
Rettet dem Dativ!
Kurz und knapp: Ich find die alle scheiße!
steh ja schon teilweise auf diesen "pathosrap" von vega und bosca. aber supporten kann man das eigentlich nicht, wenn man nicht gerade aus ffm kommt. is leida so.
natürlich hast du recht das leute wie zb bizzy nix damit am hut haben...aber ich stehe nunmal dieser gesamten ultra-kultur und allem was so dazugehört kritisch gegenüber. evtl. hol ich mir das ding eh noch, da hier ein media-markt gutschein vor sich hinschimmelt (falls media-markt das überhaupt hat?). deine kritik an der kritik kann ich nicht ganz nachvollziehen...zumindest die bewertung ist ja mit 3/5 eindeutig überdurchschnittlich...
das album hat 4 (meiner meinung nach 5) sterne verdient. mit der kritik meine ich, man soll sich nicht über den inhalt der platte beklagen, da die platte genau das ist, was wir, also die fans uns gewünscht haben. cds müssen nicht immer abwechslungsreich oder happy sein. und die mukke ist nicht schwulenfeindlich, nur die haben halt etwas gegen den hipster hype, aber es ist kein neid!
Ultras sind eh nur albern und bemitleidenswert. Von daher sollte es doch lieber nur um Musik gehen.