Porträt

laut.de-Biographie

Gonzales

Stolz vermeldet die Berliner Presse im Jahr 2000 eine Belebung der hauptstädtischen Musikszene. Nach langer Durststrecke geht mit dem aus Kanada stammenden Chilly Gonzales endlich wieder ein neuer Stern am Pophimmel auf. In seiner Heimat hatte Chilly zwei wenig beachtete Alben veröffentlicht, in Berlin schlägt er ein wie eine Bombe.

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Bei Kitty-Yo veröffentlicht er seine erste EP, die nachgelegte Single "Let's Groove Again" schafft es sogar bis in die englischen Charts. Im Frühjahr 2000 folgt bereits das Albumdebüt "Gonzales Uber Alles", eine Platte aus einem Guss, die scheinbar gegensätzliche Elemente vereint: schwermütig schwebende E-Pianoklänge mit Rapparts, Partystimmung mit Melancholie und Chansonelemente mit 'chilligen' Grooves.

"Ich hatte schon viele Namen", beteuert der scheue Neu-Berliner. "Mr. Wolf", "Fuckeye" und "One-eyed Jew" will er schon geheißen haben, dabei ist sein bürgerlicher Name Jason Beck. Doch Gonzales' öffentliche Äußerungen sind mit Vorsicht zu genießen. Zeitweise will er in einer "ausgebombten Ost-Berliner TV-Station" gelebt haben. Als "Superbösewicht" könne er mit seinen "Superkräften" auch jederzeit selbsternannte Musik-Experten und insbesondere Musikjournalisten "zerquetschen".

Zu solcher Feindseligkeit hat Chilly aber eigentlich keinen Grund. Denn die Medien, allen voran der englische Meinungsführer NME, trauen ihm schon früh große Taten zu. So wählt das britische Szenemagazin The Face Gonzales' Albumpremiere zu einem der zehn besten des Jahres 2000. Mit den Nachfolgewerken "The Entertainist" und "Presidential Suite" festigt der selbsternannte Präsident des Berliner Untergrunds seinen Ruf als großspuriges Genie. Duette mit Peaches, Feist und Guesch Patti verzücken die Kritiker.

Mit einem Remake seiner "größten Hits", dem Album "Z", verabschiedet sich Gonzales 2003 von Berlin und siedelt nach Paris über. Dort schlägt er deutlich ruhigere Töne an: "Solo Piano" ist, wie der Titel bereits suggeriert, ein reines Pianoalbum, "sechzehn Themen für linkshändige Begleitung und rechtshändige Melodieführung". Mit dieser bis dato bestverkauftesten Veröffentlichung zwischen Klassik und Jazzpiano-Ausbildung findet Jason Beck weit verbreitete Anerkennung. Teile daraus finden sich beispielsweise in Soundtracks zu Filmen von François Ozon, Patrice Leconte oder Pierre Jolivet wieder.

In Paris unterstützt er seine einstige Tourgefährtin Feist bei den Aufnahmen zu "Let It Die", produziert für Stars wie Jane Birkin und Charles Aznavour und bedient sogar einmal für Iggy Pop das Schlagzeug - bei den Aufnahmen zum Track "Motor Inn". Zwischen den Plattenreleases sorgt Gonzales ebenfalls für Schlagzeilen. Mit "Klavierduellen" gegen Andrew W.K. oder Helge Schneider etwa, oder 2010 mit seinem Spielfilmdebüt "Ivory Tower". 2011 lässt er sich schließlich in Köln nieder.

Chilly Gonzales - Gonzo
Chilly Gonzales Gonzo
Auf den Spuren von Kanye West.
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Im Jahr 2015 sorgt er in einer seiner für den deutschen Radiosender Einslive aufgenommenen Piano Sessions für einen kleinen Eklat. Dort erklärt Gonzales die musikalischen und kompositorischen Geheimnisse von bekannten Popsongs. In Hoziers Welthit "Take Me To Church" (2014) erkennt er die gleichen Mollakkorde samt Dreiertakt wie im Song "How Come You Never Go There" seiner Freundin Feist (2011). Als er ihr scherzhaft rät, den Iren zu verklagen, schlägt dieser schon kurz darauf zurück und droht seinerseits Gonzales mit einer Klage. Der Kanadier entschuldigt sich via Facebook aber flink, so dass auch Hoziers Unmut schnell wieder abkühlt. Alle schätzen sich und haben sich (wieder) lieb. Im selben Jahr erscheint mit "Chambers" ein kammermusikalisches Album von Chilly Gonzales.

Für das Konzeptalbum "Room 29" mit Geschichten rund um das Chateau Mormont und mit die Anfänge der Traumfabrik tut er sich mit dem ehemaligen Pulp-Sänger Jarvis Cocker zusammen, mit dem er schon seit 2002 befreundet ist. "Room 29" kommt 2017 auf den Markt und fällt gleichermaßen ambitioniert und mitreißend wie auch eindringlich bescheiden aus. 2018 folgen gleich drei Veröffentlichungen, nämlich "Live At Massey Hall", "Solo Piano III" und "Other People's Pieces", auf dem er Songs von Daft Punk, Weezer oder Lana Del Rey neu interpretiert. Die präsentiert er hier und da auch als Medley. Zudem läuft noch im selben Jahr die Dokumentation "Shut Up And Play The Piano" an, die sein Leben beleuchtet.

Auch auf "A Very Chilly Christmas" widmet er sich fremdem Liedgut. Ein neu komponiertes Stück findet sich dennoch auf der Platte, die 2020 erscheint. Neben dem Hauptprotagonisten sind auch Feist und Jarvis Cocker zu hören. Zuvor verleiht der Wahl-Kölner in dem Buch "Chilly Gonzales über Enya" seine Faszination für Enya-Songs zum Ausdruck. Musikalisch bewegt er sich aber ohnehin auf dem schmalen Grad zwischen Kitsch und Kunst, was das 2023 erscheinende Album "French Kiss" erneut unter Beweis stellt. Sein erstes französischsprachiges Album - mit englischem Titel - zeigt ihn als Chansonnier, eine bislang unbekannte Seite des Tausendsassas.

Auf dem autobiografisch geprägten "Gonzo" kehrt Gonzales bereits ein Jahr später seine Rapper-Persönlichkeit nach außen - und zeigt sich dabei so ungewohnt Deutsch wie noch nie. Mit "I.C.E." schafft es sogar ein komplett deutschsprachiger Track auf die Platte.

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Kritik von Toni Hennig

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