laut.de-Kritik

Auf den Spuren von Kanye West.

Review von

Auf seinem letzten Album "French Kiss" gab Chilly Gonzales den Chansonnier und auch schreckte nicht davor zurück, mit Schmusepianist Richard Clayderman zusammenzuarbeiten, der sich vor allem in Deutschland großer Beliebtheit erfreut. Jetzt gibt sich der Wahlkölner auf "Gonzo" so Deutsch wie noch nie zuvor.

Wie aus Jason Charles Beck die Künstlerfigur Chilly Gonzales entstand, erklärt sich gleich in der ersten Zeile des Titelstücks: "The first time that I entertained was the first time that I felt sane." Danach kehrt er zu Bongo- und Streicherklängen seine Rapper-Persönlichkeit nach außen und verweist augenzwinkernd auf verschiedene Stationen seiner Karriere. Die Neugier auf das restliche Album ist geweckt.

Aber schon "Surfing The Crowd", das davon handelt, im Rampenlicht zu stehen, wirkt wie eine Ansammlung schlechter Poetry Slam-Versatzstücke. Ob man den Text für bare Münze nehmen soll, oder ob sich Chilly über seine eigene Vergangenheit auf der Bühne lustig macht, lässt sich nur schwer heraushören. Da erweist sich "High As A Kite", wenn er zu ätherischen Ambient-Tönen vom Absturz singt, als handfester. Im von schweren Streicher- und kunstvollen Klaviersounds getragenen Instrumental "Fidelio" verdeutlicht Gonzales dann, dass er durchaus noch fähig ist, die Tiefen seiner Musik auszuloten.

Leider kreist der gebürtige Kanadier in Tracks wie "Open The Kimono" oder "I.C.E." zu arg um sich selbst. Für erstgenanntes Stück, in dem er textlich die Hüllen fallen lässt, steuert der Detroiter Rapper Bruiser Wolf Gastvocals bei. In letzterem, ganz auf Deutsch gehaltenen Song, den er als ironischen "Liebesbrief an die Bundesrepublik" verfasst hat, geht es neben seiner Rolle als Auswanderer darum, wie er sich als Rapper positioniert. Dabei reiht Chilly zu Wohlfühl-Rap auf unwitzige und unoriginelle Weise ein nationales Klischee an das nächste. Da strahlt "Eau De Cologne" als nachdenkliche, an die Ambient-Musik Brian Enos erinnernde Ode an seine Wahlheimat deutlich mehr Niveau aus.

Zudem verlässt sich der 52-jährige zu sehr auf seinen hölzern Kanye West-anmutenden Vortrag. Den US-Amerikaner bezeichnet er in "F*ck Wagner" als "brand new Wagner", wenn er sich mit der Frage beschäftigt, ob man den Künstler von seiner Kunst trennen kann. In "Neoclassical Massacre" setzt er sich mit der Monetarisierung in Streaming-Zeiten auseinander.

Leider vergisst Gonzales bei all seinem Mitteilungsdrang, der inhaltlichen Schwere musikalisch etwas Ebenbürtiges entgegenzusetzen. Lou Reeds & Metallicas "Lulu"-Platte lässt da irgendwie grüßen. Letzten Endes hätte der Wahlkölner mehr Töne statt Worte für sich sprechen lassen sollen. So steht "Gonzo" seinem miesen Vorgänger im Nichts nach.

Trackliste

  1. 1. Gonzo
  2. 2. Surfing The Crowd
  3. 3. High As A Kite
  4. 4. Fidelio
  5. 5. Open The Kimono
  6. 6. Neoclassical Massacre
  7. 7. Cadenza
  8. 8. F*ck Wagner
  9. 9. I.C.E.
  10. 10. Eau De Cologne
  11. 11. Poem

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3 Kommentare mit 3 Antworten

  • Vor 2 Monaten

    Richard Clayderman ist ein Verbrechen an der Klaviatur, vielleicht sogar an der Musik an sich. Komplett irre, wie Chilly mit dem anbandelt, aber leider auch keine Überraschung mehr. Hätte gern den alten Chilly Gonzales zurück.

  • Vor 2 Monaten

    Ich habe I.C.E.-Song gehört und es erinnert mich an diese verkrampften Songs von 40-50-jährigen Hobbymusikern, die weder häufig vor einem Mikrofon noch vor einer Kamera stehen und denen man anmerkt, dass sie sich ein wenig für sich selbst schämen. Also die, die man manchmal in den Algorithmus bei den Kurzvideos reingespült bekommt. Der Unterschied hier ist, dass da aus einem mir nicht nachvollziehbaren Grund sehr viel mehr Geld reingeflossen ist und eben nicht Tante Annegret die Kamera gehalten hat.

    • Vor 2 Monaten

      Ich verstehe die Assoziation, finde aber, es funktioniert besser, auch aus handwerklicher Hinsicht. Weitaus besser finde ich da allerdings "Surfing The Crowd", nachdem ich hier mal etwas quergehört habe, und WAS ich gehört habe, gefällt mir hier generell ganz gut. 1/5 ist definitiv zu wenig. Das Album scheint mir so ein geeigneter "Pro-und-Contra"-Kandidat zu sein. Dass sich für eine wohlwollendere Beurteilung niemand gefunden zu haben scheint, könnte ich für bezeichnend halten. Tu ich aber nicht und werde weiter hören.

    • Vor 2 Monaten

      Gutes Handwerk findest du auch bei Fotos von Anne Geddes oder dem Illustrator von Diddl-Maus, geschmacklich ist aber auch in diesem Album nicht viel rauszuholen. Die niedrige Wertung finde ich dahingehend schon nachvollziehbar, weil Gonzalez sich nach außen als Musiktheorie-Experte gibt, aber auf dieser Platte außer ein paar Gimmicks und holprigen Vocalperformances in meinen Augen nichts zu bieten hat.

      Klingt halt wirklich eher wie das Werk eines Musiklehrers, der seinen Peak als Student hatte und es jetzt nochmal wissen will, aber gleichzeitig daran denken muss, dass Kinder und Eltern zuhören.

    • Vor 2 Monaten

      Nun, ich mag besagte Maus, da zeige ich mich wieder geschmacksverirrt. Zum Album zurück: Wie er sich "nach außen" gibt, oder was er kann, hat eigentlich nichts damit zu tun, wie die Musik auf diesem Album zu klingen hat, da das Album ja ein größeres Konzept/Thema hat und da erst einmal entscheidend ist, welche Musik er für geeignet hält. Und ich empfinde das Resultat als äußerst stimmig. Die Kritik in der Rezension betrifft häufig auch die Texte. Die ich ebenso wenig für schlecht halte.
      Der gesangliche Vortrag ist durchaus bei vielen der Songs gewöhnungsbedürftig. Als schlecht würde ich ihn nicht bezeichnen, gebe aber zu: Stellenweise (!) kann ich auch hier die Musiklehrer-Assoziation ein bisschen nachvollziehen.
      Ich finde es auch befremdlich, dass mehrere Songs positiv hervorgehoben werden, während das allgemeine Urteil "Schrottalbum" zu lauten scheint. Das Album steht so halt auf einer Stufe mit unsagbar beschissenen Schlagerproduktionen und ganz, ganz miesen Deutschrapmachwerken, und dafür noch unter einigen Alben, die meiner bescheidenen Meinung nach nicht mal ihren zweiten Stern verdient hätten.
      Außerdem schrieb ich bewusst: "Auch" handwerklich. Weil das den Gesamteindruck im Vergleich beeinflusst, an sich ist mir "Handwerk" bei Kunst im Allgemeinen und Musik im Speziellen mehr oder minder bums, wichtig ist mir eher der Ausdruck. Und für mich ist auch da genug rauszuholen, um dem Werk eine 3/5-Wertung zu geben. 4/5 würde ich sogar für legitim halten, allein, ich kann mich dazu nicht durchringen.

  • Vor 2 Monaten

    Musik für Leute die sich ihren Jahresurlaub nehmen um bei jedem Konzert von Jan Bömermann und dem Rundfunkschwanzorchester Ehrenfeld mit dabei zu sein.