Porträt

laut.de-Biographie

Horace Andy

Bewährte Pfade weiter auszutreten: ganz und gar nicht sein Ding. "Wir leben im 21. Jahrhundert", erklärt Horace Andy. "Die Leute können nicht erwarten, dass ich immer noch den gleichen alten Sound mache."

Horace Andy - Midnight Scorchers
Horace Andy Midnight Scorchers
Im Studio mit Mix-Mastermind Adrian Sherwood.
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Im Laufe seiner Dekaden währenden Karriere stößt Horace Andy mit dieser Einstellung immer wieder Fans vor den Kopf, erschließt sich aber auch neue Hörerschaften. Obwohl tief verwurzelt im traditionellen Roots-Reggae, legt er mit seinem Album "Pure Ranking" bereits 1978 die Grundlage für den späteren Aufstieg von Dancehall.

Seine über lange Jahre fortgesetzte Kollaboration mit den Trip Hop-Pionieren von Massive Attack macht Horace Andy weit über die jamaikanische Musik-Szene hinaus bekannt.

Wie bei so vielen dem Rastafari-Glauben anhängenden Künstlern erregt auch Horace Andy mit Textzeilen des Kalibers "The Father never make Adam and Steve, he make Adam and Eve" auf mehr als berechtigte Kritik.

An den Qualitäten seines charakteristischen Falsett-Gesangs zweifelt allerdings noch nicht einmal seine erbitterte Gegnerschaft. Horace Andys Stimme besitzt hohen Wiedererkennungswert und macht ihren Träger zu einem der bekanntesten und am konstantesten publizierenden Interpreten seines Genres.

Dabei erntet die musikalischen Lorbeeren der Familie zunächst ein anderer: Justin Hinds & The Dominoes landen in den 60er Jahren auf Jamaika einen Hit nach dem anderen. Seinem Cousin Horace, geboren am 19. Februar 1951 in Allman Town, Kingston, wird rasch klar: Der Weg des berühmten Verwandten ist auch der seine.

Einfach macht es sich der junge Horace jedoch nicht: Statt sich an Duke Reid zu wenden, der Justin höchst erfolgreich produziert, nimmt er Kontakt zu George 'Phil' Pratt auf. Mit seiner Hilfe spielt der 16-Jährige seine Debüt-Single "This Is A Black Man's Country" ein. Wir schreiben das 1966 - und kein Mensch interessiert sich für Horace Hinds.

Der lässt sich indes nicht entmutigen - auch nicht von einer Abfuhr, die ihm Coxsone Dodd, der Inhaber des legendären Studio 1, nach einem Vorsingen erteilt. Horace steht wenige Tage später einfach wieder auf der Matte. Mit der Ballade "Got To Be Sure" überzeugt er letztlich doch.

Allerdings besteht Dodd auf einem Namenswechsel: Mögliche Verwechslungen mit dem bekannteren Familienmitglied will er um jeden Preis ausschließen. Horace wählt Bob Andy, einen der bekanntesten Reggae-Songwriter seiner Zeit, zu seinem Namenspatron und firmiert fortan unter Horace Andy.

Bis der Durchbruch in die Charts gelingt, bedarf es diverser Singles und Geduld. "Skylarking" öffnet dann aber alle Türen: Horace Andy avanciert zum Dauergast in den jamaikanischen Hitlisten.

Über die Jahre arbeitet Horace Andy mit nahezu jedem Produzenten, der auf der Karibik-Insel Rang und Namen hat, darunter King Tubby, Prince Jammy und immer wieder der Kollege aus den Anfangstagen, Phil Pratt. Ebenso kollaboriert er mit anderen Sängern und DJs.

Die Praxis, bekannte Songs zu covern oder eigene Titel wieder und wieder aufzunehmen, ist Horace Andy keineswegs fremd. Er achtet allerdings darauf, jeder Version immer eine neue, andere Facette hinzuzufügen.

1977 emigriert Horace Andy in die USA. In Hartfort in Connecticut findet er ein neues Zuhause, und in Everton Da Silva einen umtriebigen Geschäftspartner. Gemeinsam gründen sie das Label Rhythm. Die Zusammenarbeit endet jedoch abrupt, als Da Silva 1979 einer Kugel zum Opfer fällt.

Horace Andy streckt seine Fühler in alle Richtungen aus. Er tut sich kurzzeitig mit Bim Sherman und DJ U Black zusammen. Mitte der 80er Jahre zieht er nach England. Wenige Jahre später ist er nahezu permanent zwischen London, New York und Kingston unterwegs. Eine langjährige Zusammenarbeit mit Massive Attack nimmt 1990 ihren Anfang. So kommt Horace Andy mit Mad Professor in Kontakt. Diese Connection wiederum mündet in die Platten "From The Roots" und "Rewired For Dub" (2004/05). 2004 ist der Jamaikaner auch einmalig bei den Dub Pistols zu hören.

Vorwürfe, sein 2008 erschienenes Album "On Tour" sei zu modern geraten, wischt Horace Andy gut gelaunt vom Tisch. Zu Recht, hat er doch mit Bongo Herman einen der klassischsten Nyabinghi-Trommler an der Percussion hocken. Ebenso ficht ihn die Kritik nicht an, sein zwei Jahre später mit Brotherman aufgenommener Longplayer "Serious Times" sei nun wieder zu traditionell ausgefallen. Schließlich gilt nach wie vor: "Die Leute können nicht erwarten, dass ich immer noch den gleichen alten Sound mache."

Vermisst wird er in den Folgejahren vor allem in Musicians-Kreisen. Dubblestandart aus Wien, Dub Spencer & Trance Hill aus Luzern, Rob Smith aus Bristol, Umberto Echo aus München und DJ Eva Be aus Berlin erinnern im ersten Teil der "Broken Beats" (2013) an die starken Hits "Cuss Cuss", "Money Money", "Skylarking", "Bad Man" und "Wicked Babylon Must Go Down". Die Remixer variieren in verschiedensten Versionen über den Klassikern. Am zweiten Teil fürs Hamburger Label Echo Beach wirken 2021 unter anderen Jah Schulz aus Stuttgart, Dreadzone und Adam Prescott aus London, Black Star Liner aus Leeds und das Subatomic Sound System aus New York mit.

Zwischen den beiden Alben über ihn erscheinen nur verstreute Singles. Hervorzuheben sind die Kollabos mit dem Ragga-Dancehaller Lone Ranger. Da wäre etwa das Duett "Be Good" 2014, mit Drummer Waks und der Band von Inkalink Records auf dem "Ready Riddim". Zu dritt finden Horace und Lone Ranger sich auf dem Remake "Every Tongue Shall Tell" mit Casting-Gewinnerin Shuga (Misty Campbell a.k.a. Sugar Brown) ein, produziert für die CD-Serie "Strictly The Best" von VP (2015). Der "Every Tongue Shall Tell Riddim" gilt als einer der ältesten Riddims mit stets neuen Bearbeitungen, geht noch auf Andys erste Sessions 1969 mit Coxsone zurück und unterliegt auch in den 2020er Jahren immer wieder mal neuen Reggae-Hits.

Mit den experimentellen Fogata Sounds aus dem französischen Montreuil gelingt Horace 2015 das harte und kühl-futuristische "Borrow Next Sound". Es lebt vom Kontrast der vertrauten Stimme und dem waghalsigen Trip Hop-Noise des Fogata-Teams, zu dem wiederum Schlagzeuger und Toningenieur Waks gehört. Ein Dubplate mit dem online gut verdrahteten Australier Dub FX bringt dem Dub-Veteran 'Mister Skylarking' erstmals eine beträchtliche Streaming-Zahl von 1,35 Millionen ein.

Nach den fruchtbaren Kollabos mit Franzosen und Engländern lässt sich "Sleepy" Andy 2020 wieder in den Straßen Kingstons blicken, wo das Video zu "Mix Up" entsteht. Für diese Nummer bedient er sich eines Rocksteady-Schmachtfetzens aus der Ära seiner Anfänge. Nora Deans "Oh Mama" darf herhalten und inspiriert zu einem Riddim mit vier Tracks, die Horace alle selbst singt: Neben "Mix Up" - einem Lied über Zuckerbergs "in ting"-Apps - und "Oh Mama" taucht er für den Clip zu "Mi Too Lean" tanzend vor einem rot-grün-gelb-weiß gestrichenen Schiff namens "Caribbean Queen" auf. Die Vegan-Lifestyle-Hymne "Rasta Nuh Eat Pork" mit dem fröhlich im Trainingsanzug tänzelnden Senior kommt klasse an und wird eine der weltweit erfolgreichsten Reggaeville-Videopremieren des Lockdown-Jahres.

Ende 2021 streckt Horace Andy seine Fühler wieder nach Europa aus, arbeitet mit einem tschechischen Producer und lässt sich für eine weitere Tour buchen. Mit der großen und großartigen Dub Asante Band beehrt er Köln, Berlin, Unterwaldhausen, Frankfurt, zahlreiche Metropolen in England, das älteste europäische Reggae-Festival im belgischen Geel und das größte im spanischen Benicàssim. Parallel bleibt der Pionier mit seinen beiden Alben "Midnight Rocker" und "Midnight Scorchers" im Gespräch. Mit den beiden Platten erfüllt sich Producer Adrian Sherwood den lang gehegten Wunsch, Horace vors Mikro der On U-Studios zu bekommen.

An den üppigen Produktionen wirkt ein aufregendes Who's Who mit und sorgt für edlen, verspulten Sound. Ivan Hussey beweist (nach Trickys Cellistin Marie-Claire Schlameus ein weiteres Mal), dass Trip Hop, Dub und Drum'n'Bass mit dem Streichinstrument super harmonieren, spielt aber auch inbrünstig Saxophon. Cyrus Richards aus Londons Rasta-Szene spielt Melodica. Der legendäre englische Raggamuffin-Schlagzeuger Horseman trommelt.

Alte Tonspuren mit Roots Radic Style Scott fließen aus recycelten Aufnahmen ein, und der dritte Taktgeber ist Sherwood höchst persönlich. An den Tasten sorgt der vielseitige Gaudi aus Bologna für eine Mords-Gaudi. Ferner zupft Bim Shermans Gitarrist Skip die Lead Guitar. Im Spätsommer 2024 erscheint mit "Timeless Roots" eine Reggae-Verkleidung von Hits wie "Come Together" (Beatles) und "Superstition" (Stevie Wonder). Horace spielt mit Bassist Jah Wobble solche Classics wie auch eigene neu ein. Herr Hinds hat ein schönes spätes Karriere-Hoch erklommen.

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