Porträt

laut.de-Biographie

Jerry Lee Lewis

"The Killer" nennt man Jerry Lee Lewis auch. Und der am 29. September 1935 in Ferriday, Louisiana zur Welt gekommene Lewis zeigte jahrzehntelang, dass er diesen Beinamen vollkommen zu Recht trägt. Glaubhafte Gerüchte und zweifelhafte Tatsachen vermischen sich bei Lewis zu einem einzigartigen, sagenumwobenen Rock'n'Roller-Leben, das immer wieder aufs Neue fasziniert. Über Nacht mit "Whole Lotta Shakin' Goin' On" zum Star aufgestiegen, wegen der Heirat mit seiner 13-jährigen Cousine ebenso schnell wieder abgestürzt, erklimmt Lewis sein Leben lang die höchsten Gipfel, durchschreitet aber auch die tiefsten Täler und produziert dabei skandalträchtige Geschichten im Akkord.

Best of 1964: 60 Jahre, 60 Alben
Best of 1964 60 Jahre, 60 Alben
Babyboom! Tracy Chapman, Lenny Kravitz, Doro und H.P. Baxxter sind gerade erst geboren, die Charts regieren Soul, Jazz, Schlager - und die Beatles.
Alle News anzeigen

So soll Lewis einmal am Ende eines Konzertes sein Klavier angezündet haben, um dem danach auftretenden Chuck Berry die Show zu stehlen. Ein Coup, der gelingt. Das brennende Klavier gehört mittlerweile ebenso zur Musikgeschichte wie Berrys 'Duck-Walk' und Elvis' legendärer Hüftschwung. Mit dem King of Rock'n'Roll verbindet Lewis ein ganz besonderes Verhältnis. In den Anfangstagen bei Sun Records noch befreundet, als beide neben Johnny Cash und Carl Perkins Teil von Sam Phillips' verkaufsträchtigem Million Dollar Quartet sind, nagt Elvis Presleys Ruhm später immer mehr an Lewis' angekratztem Ego.

1976, nach ein paar Whiskeys, nimmt die Polizei von Memphis Jerry Lee Lewis fest, als er betrunken mit der Pistole in der Hand vor Elvis' Villa Graceland randaliert und den King lauthals verflucht. Ein anderes Mal schießt Lewis, wohl auch nicht mehr ganz nüchtern, aus Versehen seinen Bassisten an und gerät auch sonst immer wieder wegen Steuer- und Drogenvergehen mit dem Gesetz in Konflikt. Neben diesen Rock'n'Roll-Klischees treffen Lewis immer wieder schwere persönliche Schicksalsschläge. Zwei seiner Söhne sterben auf tragische Weise, ebenso wie zwei seiner insgesamt sechs Frauen.

Was bei allen Skandalen und Schicksalsschlägen beinahe in Vergessenheit gerät, ist, dass Jerry Lee sich selbst als besessenen Musiker ansieht, der für sein exzentrisches Klavierspiel und seinen ganz eigenen Rock'n'Roll-Stil in Erinnerung bleiben möchte: "When they look back on me I want 'em to remember me not for all my wives, although I've had a few, and certainly not for any mansions or high livin' money I made and spent. I want 'em to remember me simply for my music!"

Die Begeisterung für Musik macht sich bei Lewis bereits früh bemerkbar. In der Kirche kommt er mit schwarzem Blues und Gospel in Berührung. Daheim singen Hank Williams, Jimmie Rodgers und The Carter Family im Radio. Als der junge Jerry Lee zum ersten Mal in die Tasten eines Klaviers greift, zeigen sich die Eltern Elmo und Maimie beeindruckt und nehmen eine Hypothek auf ihr ärmliches Haus auf, um dem 10-jährigen Jerry ein eigenes Klavier zu kaufen.

Eine Investition, die sich schon bald bezahlt machen sollte. In den ersten Jahren klappern Papa und Sohn Lewis noch die Honky Tonks und Bordelle in der näheren Umgebung ab, wo Jerry Lee seine ersten Auftritte absolviert. Gleichzeitig fühlt er sich der religiösen Tradition des Südens stark verpflichtet, die sein ganzes Leben lang mit seinem wilden Musikerleben in Konflikt geraten sollte.

Noch als Teenager heiratet er nach einer Affäre die minderjährige Dorothy und beginnt danach ein Verhältnis mit der ebenfalls noch sehr jungen Jane Mitchum. Um einen Skandal zu vermeiden, schreibt er sich zur moralischen Läuterung in einer Bibel-Schule in Texas ein, die er nach einem wilden Pianoauftritt in der Schulkirche gezwungenermaßen schnell wieder verlassen muss. Kurz darauf hört er einen Song von Elvis im Radio und beschließt, zu Sam Phillips nach Memphis zu fahren.

Der ist zwar nicht da, aber sein Assistent Jack Clement nimmt mit Lewis am Klavier, Roland Janes an der Gitarre und J.M. Van Eaton am Schlagzeug den Track "Crazy Arms" auf, der zum lokalen Hit avanciert. Sam Phillips holt Lewis für weitere Aufnahmen in sein Studio, wo er einige seiner größten Hits wie "Whole Lotta Shakin' Goin' On" oder "Great Balls Of Fire" einspielt.

Als Lewis kurz vor Weihnachten wieder bei Sam Phillips in Memphis zu Gast ist, um mit Carl Perkins dessen Songs "Matchbox" und "Your True Love" am Klavier zu begleiten, treffen auch die beiden anderen Sun-Stars Elvis Presley und Johnny Cash ein. Die gemeinsame Jam-Session des so genannten Million Dollar Quartets am 4. Dezember 1956 gehört zu den großen Rock'n'Roll-Klassikern und hat bis heute nichts von seiner belebenden Frische verloren.

Für Lewis sollte es noch rund ein halbes Jahr dauern, bis sich der Traum von der Musikerkarriere erfüllt. Am 28. Juli 1957 tritt er in der Steve Allen Show auf und wird mit seinem entfesselten Pianospiel über Nacht zum Star. Amerika entdeckt den Rock'n'Roll und "Whole Lotta Shakin' Goin' On" stürmt in den Country-, R'n'B-, und Pop-Charts an die Spitze genauso wie der Nachfolger "Great Balls Of Fire". Nur seinen Label-Kollegen Carl Perkins und Elvis Presley gelang es ebenfalls mit einem Song den Topplatz in allen drei nationalen Hitlisten zu belegen.

Der doppelte Hattrick hingegen steht in der Musikgeschichte einzigartig da. Mit den Hit-Singles "High School Confidential" und "Breathless" legt Lewis weitere Scheite ins mächtig züngelnde Rock'n'Roll-Feuer, das er bei seinen Live-Konzerten regelmäßig in ein wahres Purgatorium verwandelt. Zunächst noch verhalten am Flügel sitzend, kickt er schon bald den Hocker nach hinten weg, schreit wie entfesselt anzügliche Lyrics ins Mikrofon, misshandelt die Tastatur mit Händen und Füßen gleichermaßen und turnt schließlich vollkommen außer sich auf seinem Instrument herum. Eine solche Performance hat die Welt noch nicht gesehen.

Ähnlich rasant wie sein Aufstieg gestaltet sich kurze Zeit später auch sein Niedergang. Als die Presse 1958 während einer Tour durch Großbritannien von der Heirat des 22-jährigen Lewis mit seiner 13-jährigen Cousine Myra erfährt, ist der Skandal perfekt und Lewis wird von den Radio- und Fernsehsendern nicht mehr gespielt. Dass Jerry Lee sich von seinen zwei vorherigen Frauen nicht scheiden ließ, bevor er Myra heiratet, gibt der Empörung weitere Nahrung.

Seiner Leidenschaft für junge Mädchen bleibt Lewis sein Leben lang genauso treu wie seiner Passion für die Musik, die er in seiner gewohnt direkten Art folgendermaßen auf den Punkt bringt: "As long as they gimme a piano I'll be out there. They try to take that away, I'm gonna kick some ass." Den Flügel nimmt ihm zwar niemand weg, seine Karriere muss Lewis jedoch in den heruntergekommenen Honky Tonks der Südstaaten fortsetzen, wo er wieder für eine Hand voll Dollar und ein paar Gratis-Drinks am Abend auftritt.

Jerry Lee Lewis - 'Live' At The Star-Club Hamburg
Jerry Lee Lewis 'Live' At The Star-Club Hamburg
Zeitdokument aus dem Epizentrum der R'n'R-Explosion.
Alle Alben anzeigen

Privat steht Lewis' Leben kurzzeitig unter einem günstigeren Stern. Seine Frau Myra bringt 1959 ihren Sohn Steve Allen, benannt nach dem bekannten Showmaster, zur Welt, doch schon drei Jahre später ertrinkt das gemeinsame Kind im Swimmingpool der Familie. Trotz diesem Schicksalsschlag entfaltet Lewis nach dem Wechsel von Sun zu Mercury in den 60er Jahren neuen kreativen Tatendrang, der in den Alben "The Greatest Show On Earth" und "Live At The Star Club" seinen Niederschlag findet.

Zum Ende des Jahrzehnts wendet Lewis sich vom Rock'n'Roll ab. Country heißt seine neue Leidenschaft, die er auf dem Album "Another Place Another Time" mit ebenso großer Virtuosität auslebt wie vorher den Rock'n'Roll. Gleichzeitig erinnert er mit "The Killer Rocks On" an vergangene Tage, ohne dabei eine peinliche Figur zu machen. Seine Energie und und Kreativität sind auch hier noch mit den Händen zu greifen.

Nach 18 Ehejahren lässt sich seine Frau Myra 1970 von ihm scheiden, und Jerry Lee sucht sein Heil in Alkohol und Aufputschmitteln, die ihn bis zu seinem Wechsel zu Electra Records 1978 immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt bringen. Die persönlichen Tragödien wollen kein Ende nehmen: Sein Sohn Jerry Lee Junior kommt bei einem Autounfall ums Leben, seine fünfte Frau Shawn stirbt an einer Überdosis und Lewis hüpft dem Tod 1981 trotz einem von Drogensucht zerlöcherten Magen gerade noch einmal von der Schippe.

1986 erhält Jerry Lee Lewis den Ritterschlag für seine Verdienste um die Popmusik und wird in die Rock'n'Roll Hall of Fame aufgenommen. Überhaupt stehen die späten 80er Jahre wieder unter einem positiven Stern. Seine Frau Kerrie gebiert ihm 1987 Jerry Lee III, und als Hollywood 1989 die Lebensgeschichte des 'Killers' erfolgreich in die Kinos bringt, kann Lewis den späten Ruhm in Ruhe genießen und in seiner Autobiographie "Killer", die 1993 erscheint, auf ein bewegtes Leben zurückblicken.

Bis zum heutigen Tag tourt der große alte Mann des Rock'n'Roll regelmäßig und überrascht mit neuen Veröffentlichungen, auf denen er Rhythm'n'Blues, Country, Rock'n'Roll, Blue Grass und sein eigenwilliges Piano-Spiel auf immer wieder neue Weise verbindet. Jerry Lee Lewis gehört mit Künstlern wie Elvis Presley, Chuck Berry, Carl Perkins, Gene Vincent, Little Richard, Buddy Holly, Fats Domino und Johnny Cash zu jener Generation von Musikern, die es sich ohne falsche Bescheidenheit auf die Fahnen schreiben dürfen, die moderne Popmusik mit ihren rockenden Grooves wachgerüttelt zu haben.

2006, im Jahr seines 70. Geburtstages, kehrt der "Killer" auf überzeugende Weise zurück: Auf dem 21 Titel umfassenden Album "Last Man Standing" bittet Jerry Lee Lewis zum Duett. Die Gästeliste beeindruckt: Bruce Springsteen, Kid Rock, Mick Jagger, Ringo Starr und viele andere Stars folgen Lewis' Einladung zum Rock'n'Roll-Stelldichein. Mit einer gut abgehangenen Mischung unterschiedlichster Songs gelingt dem Künstler ein beeindruckendes Lebenszeichen. Nebenbei zeigt Lewis mit lockerer Piano-Hand manch jüngerem Musiker, wo die Rock-Harke tatsächlich hängt.

Ähnliches vollzieht sich im Frühjahr 2008 im Rahmen der Grammy Awards in Los Angeles: Im Verbund mit dem alten Kumpel Little Richard sowie mit John Fogerty erleben ihn geschätzte 17 Millionen TV-Zuschauer bei einem energiegeladenen Auftritt. Die Altmeister saßen Rücken an Rücken am Piano, Fogerty übernahm den Gesang eines Rock'n'Roll-Medleys inklusive der Hits "Good Golly, Miss Molly" und "Goodness Gracious, Great Balls of Fire". Besonders beeindruckt die Leichtigkeit, mit der der 72-jährige Killer noch die höchsten Töne aus seinem Inneren hervor holt.

Auch wenn keine neuen Studioaufnahmen mehr entstehen, packt das ein oder andere Re-Issue-Label doch in steter Folge Unveröffentlichtes oder historische Konzertmitschnitte aus. Als herausragende unter all diesen Scheiben darf "'Live' At Star Club Hamburg" von 1964 gelten. Jerry Lee Lewis lebt im US-Bundesstaat Mississippi und heiratet 2012 ein siebtes Mal. Drei Ehen endeten, weil die Ehefrauen bei Unfällen starben (Auto, Swimming Pool, Überdosis), drei weitere Male ließ sich Lewis scheiden. Im März 2020 erleidet er einen Schlaganfall, kommt aber ohne allzu schlimme Blessuren davon. Im Mai 2020 stirbt im Alter von 87 Jahren Little Richard, dessen "Long Tall Sally" er gecovert hatte - außer ihm der einzige Pionier der ersten Rock'n'Roll-Welle, der noch am Leben war. Somit gerät ausgerechnet ein "Killer" in die Position des letzten Überlebenden.

Über Jerry Lees Biographie gibt es einen Film aus dem Jahr, 1989, "Great Balls Of Fire! Ein Leben für den Rock'n'Roll" mit Dennis Quaid als Jerry Lee und Winona Ryder in der Rolle der dritten Ehefrau Myra. Der Killer taucht auch im Film "Walk The Line" (2005) über das Leben von Sun-Labelkollege Johnny Cash auf, wo Waylon Payne den "Killer" mimt.

Am 28. Oktober 2022 stirbt Jerry Lee Lewis zuhause in Memphis, Tennessee, im Alter von 87 Jahren.

News

Alben

Jerry Lee Lewis - Mean Old Man: Album-Cover
  • Leserwertung: 4 Punkt
  • Redaktionswertung: 4 Punkte

2010 Mean Old Man

Kritik von Artur Schulz

Der Killer steckt das Piano in Brand und duelliert sich mit Slashs Gitarre. (0 Kommentare)

Jerry Lee Lewis - And Friends: Album-Cover
  • Leserwertung: Punkt
  • Redaktionswertung: 2 Punkte

2004 And Friends

Kritik von Daniel Straub

Zahmer Auftritt des 'Killer' und eine Lehrstunde für Brian May. (0 Kommentare)

Surftipps

Noch keine Kommentare