laut.de-Kritik
Die alte Wut und Angriffslust zeigt sich nur kurz.
Review von Toni HennigIn den 60ern und 70ern übte John Cale bei The Velvet Underground mit seinen minimalistischen Rhythmen und Bratschen-Klängen Einfluss auf kommende Generationen alternativer Musiker aus und pendelte mit seinen Soloalben zwischen Zugänglichkeit und Avantgarde. Auf "Mercy" versammelte er letztes Jahr Gäste wie Weyes Blood oder Laurel Halo. Für "Poptical Illusion", das nun erscheint, bekam er lediglich Unterstützung von Gitarrist Dustin Boyer und Drummerin, Keyboarderin und Co-Produzentin Nita Scott. Das Pop im Albumtitel sollte man dabei nicht überinterpretieren. Der gebürtige Waliser musiziert immer noch in seiner eigenen Nische.
Insgesamt hat sich am minimalistischen Ansatz Cales nicht viel verändert, wie der Opener "God Made Me Do It (Don't Ask Me Again)" mit rohen, trippigen Beats verdeutlicht. Nur setzt der 82-Jährige dieses Mal auf eine entrückte Stimmung, die sich wie ein roter Faden durch das Werk zieht. Selbst sein Gesang wirkt in den meisten Songs ungewohnt sphärisch. Der gewohnt monotone The Velvet Underground-Beat lockert die Scheibe jedoch ein wenig auf, wie man u.a. in "Davies And Wales" hört.
In "Calling You Out" klingt Cale dagegen, begleitet von komplexen Drum-Rhythmen, flächiger Elektronik und ein wenig weiblichem Backgroundgesang fast wie David Bowie, während in "Edge Of Reason" eine eingängige Melodie auf schlürfende Downtemporhythmen trifft. In "I'm Angry" gibt sich der Musiker zu einsamen Orgelklängen und sparsamem Zupfen entgegen des Songtitels fast schon melancholisch, wenn er von einer in die Brüche gegangenen Freundschaft singt und sich dabei selbst Fehler eingesteht.
Ansonsten wütet er vor allem über die politische Situation in den USA, setzt aber eher textliche als musikalische Nadelstiche. Die Hoffnung auf Veränderung und eine bessere Zukunft hat der Ex-The Velvet Underground-Bratschist schließlich noch nicht aufgegeben, wie "How We See The Light" beweist.
In "Shark-Shark" kommt zu noisigen Gitarrensounds und kaputten Rhythmen doch noch kurzzeitig die alte Wut und Angriffslust zum Vorschein. In den restlichen Tracks zeigt sich Cale aber wieder mal als mäßiger Songwriter. Gute Songs wie das sich gegen hinten raus steigernde "Funkball The Brewster", das gar Hip Hop-Einflüsse besitzt, oder der melancholische Piano-Abschluss "There Will Be No River" kristallisieren sich trotzdem hin und wieder heraus.
Jedenfalls versteht es Cale auch mit zunehmenden Alter nach wie vor, Erwartungshaltungen zu brechen. Einerseits erkennt man seine Handschrift stets wieder, andererseits verharrt er mit seiner Musik nicht im Stillstand. Ganz im Gegenteil: Hier und da überrascht der Musiker immer noch. Außerdem hat er noch eine Menge Tracks, die laut eigener Aussage "ein weiteres Album oder was auch immer füllen" können. Man darf also gespannt sein, was er als nächstes aus dem Hut zaubert.
1 Kommentar
Man fragt sich schon, wie ein "mäßiger Songwriter" an vier Punkte kommt ?! Naja, wie immer nichts für jedermann und jede Stimmung, musikalisch recht abwechslungsreich, jederzeit seinem Schöpfer zuzuordnen, jenseits der Texte a bisserl altersmilde, ja, aber für Cale-Verhältnisse vergleichsweise zugänglich, was ich durchaus begrüße. Einfach mal wieder ne schöne Cale-Scheibe, daher 4/5