laut.de-Biographie
Jun Miyake
"Das ist ungemein schillernd und stets voller Respekt für Arto Lindsay, Erik Satie und Miles Davis", berichtet das Jazzthetik-Magazin. An anderer Stelle heißt es, Jun Miyake sei die Quintessenz aus Kurt Weill und Monk, aus Nino Rota und Tom Waits, aus Sun Ra und Leonard Cohen und noch ein paar weiteren disparaten Helden der Musik des 20. Jahrhunderts. Seine Musik wird als "ein echter Hybrid, ein richtiger Bastard, ein Stilgemisch aus allen erdenklichen Quellen, ohne jegliche Glättung der Ecken und Kanten" beschrieben. In die Wiege gelegt wurde ihm seine musikalische Laufbahn jedoch nicht.
"Mein Vater hatte für mich eher eine akademische Laufbahn oder Karriere in der Industrie vorgesehen, er war absolut dagegen, dass ich Musiker werde. Eines Tages als ich 17 war, nahm ich all meinen Mut zusammen und besuchte den Trompeter Terumasu Hino, um ihm vorzuspielen. Er sagte, ich solle unbedingt in die USA gehen, Musik am Berklee College studieren und mit richtigen Jazzmusikern spielen. Hino überredete in einigen Gesprächen meine Eltern und sagte ihnen, dass ich gehen müsste und erst einmal in seinem New Yorker Haus wohnen könnte. Meine erste Nacht in Boston verbrachte ich in einem Jazz-Klub, aber statt Jazz spielte dort eine afrikanische Band Funk. Ich hörte sie mir an, kam mit den Musikern ins Gespräch und erhielt eine Einladung, mit ihnen zu touren. Das sah bestimmt komisch aus, ein Japaner bunt angezogen wie Afrikaner in einer Afro-Funkband."
Trotz dieser ersten Nacht, schafft es Miyake sein Studium in Berklee durchzuziehen. Nach Beendigung (1976 bis 1980), in dessen Verlauf er neben Trompete auch Flügelhorn und Klavier lernt, kehrt Miyake zurück nach Japan. Wir befinden uns in den frühen 80ern, es ist die Zeit des Jazzrock. Also macht Miyake auch Jazzrock und bereits auf seinem zweiten Album sind die damaligen Stars der Szene mit von der Partie: Al Foster, David Sanborn, Ron Carter und Daryl Jones. "Für mich damals Helden", gesteht Miyake.
Doch die Zeit des Jazzrock scheint mit der Veröffentlichung von Miles Davis' "Man With The Horn" vorbei. "Dieses Album war für mich ein Schock. Ich wusste nicht welche Musik ich nun spielen sollte?" Also konzentriert er sich erst mal aufs Geld verdienen. TV-Werbung erscheint ihm als Einnahmequelle genau richtig. "Ein Track meiner ersten Platte 'June Night Love' landete dann in einem Spot mit Andy Warhol für TDK-Tapes." Seine zeitweise über 200 Werbespots pro Jahr, darunter Arbeiten für Sony, Coca Cola, Mercedes Benz, BMW, Honda, Panasonic, Nikon und Minolta, werden mit zahlreichen Preisen geehrt. "Ich bin überzeugt, dass diese Erfahrungen mir einige musikalische 'Grenzen' vom Hals geschafft haben, denn ich hatte das Gefühl, dass alle Musikrichtungen in den späten 70er Jahren ausgereizt waren. Ich dachte daran, neu zu kombinieren, zu vermischen, zu hybridisieren, Grenzen nieder zu reißen ... bis ich etwas völlig Neues fand - und ich bin noch dabei."
Die Werbeindustrie gibt ihm also nicht nur die Möglichkeit, seine Brötchen zu verdienen. Miyake begreift diese Zeit als Periode des Experimentierens. Seine musikalische Philosophie, weltweite Stile mit japanischer Schönheit zu mischen, nimmt erste Konturen an. Die Loslösung vom zeitgemäßen aber persönlichkeitslosen Jazz hin zu einer individuellen Musikauffassung gelingt. Er integriert französischen Chanson, Bossa Nova, Tango und vieles andere mit arabischen, indischen und asiatischen Vokabeln. Besonders die Liebe zum Bossa Nova brennt sich tief in sein Herz.
Miyakes eigenwillige Schaffenskraft fällt auch dem Produzenten Hal Willner auf: "Seine Kompositionen sind raffiniert, kompliziert, aber nie aufgeblasen und stets schön, mit einem guten Sinn für Humor". Damit fasst er Miyakes Erfindungsreichtum, der auch Jean Michel Jarre nicht verborgen bleibt und auf dessen 88er Album "Revolutions" er zu hören ist, in wunderbare Worte. Über Willner, der auch Miyakes viertes Album "Entropathy - Hoshi No Tama No O" produziert, lernt Miyake 1993 Arto Lindsay kennen. Auf der Grundlage einer musikalischen Seelenverwandtschaft wächst im Laufe der Jahre eine nahe und verlässliche Freundschaft, in der beide ihre Vorliebe für den Bossa Nova ausleben. "Ich spreche kein Portugiesisch, kann nicht singen, nicht Gitarre spielen und bin kein Fachmann brasilianischer Musik. Aber diese Klänge nehmen mich schon lange gefangen. Deren Macht wollte ich mit einer eigenen musikalischen Form der Bossa brechen. Meine einzige Hoffnung war, die mit einem reinen 'unschuldigen' Herzen zu meistern."
Mit den Worten 'Mann, der ist nicht gerade unschuldig' lädt Arto Lindsay Vinicius Cantuaria zu den Aufnahmen für "Innocent Bossa - In The Mirror" ein. Die Verschmelzung brasilianischer Melancholie mit dem zeitgenössischen Sound Tokios und New Yorks gelingt bestens, wie die musikalische Trilogie "Mondo Erotica!", "Innocent Bossa in the Mirror" und "Glam Exotica" vor Ohren führt.
2003 zeichnet Jun Miyake als Ko-Kurator beim Jazzfest Berlin für den japanischen Programmteil verantwortlich. 2005 richtet sich der Ausnahmemusiker in Paris häuslich ein und pendelt seither zwischen Tokyo und Paris. Über seine vielfältigen kulturellen Erfahrungen, sagt er im Zusammenhang mit der 2008er-Veröffentlichung "Stolen From Strangers":
"Um über dieses Album zu sprechen, müsste ich vielleicht ein wenig zu meinem Leben sagen. Ich fühlte mich mein ganzes Leben lang als Fremder, ganz gleich wo ich lebte, fühlte ich mich nie zu Hause. Obwohl ich einige gewaltige 'Reset'-Erlebnisse, sprich Neuanfänge hatte, blieb mir dieses Gefühl. Dann kam mir vor etwa 15 Jahren die Idee, mein Heimatland zu verlassen, um ein 'perfect stranger' zu werden, das heißt, wirklich ein Fremder zu sein. Ich war zu der Zeit neben meiner Musik zu sehr in der Werbebranche involviert. Das warf wiederum die Frage auf, ob ich es als Musiker zu etwas bringen könnte bei all diesen ewigen Terminen. Da ich so häufig an exotischen Projekten beteiligt war, waren auch die entlegene geografische Lage Japans und die kulturelle Enge des Landes Gründe, warum ich ins Ausland gezogen bin. 2005 bin ich nach Paris gezogen. Hier sind wir zumindest alle Fremde. All die großartigen Künstler, die bei diesem Album mitmachen, sind allesamt Fremde. Sie leben in anderen Ländern oder ziehen um den ganzen Erdball. Ihr Leben und ihre Musik sind wie ein Kaleidoskop, was sich in meiner Musik widerspiegelt. Es ist ein fantastisches Gefühl, solche Freunde zu haben."
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