laut.de-Biographie
Krizz Kaliko
"Oh, mein Gott! Ich würde es lieben! Ich wäre an seiner Seite, wäre sein verdammter Hypeman! Ich kann es kaum erwarten. Wenn er es schafft, hab' ich es auch geschafft."
Zu den Zeitpunkt, da sich Tech N9ne zu derlei Begeisterungsstürmen hinreißen lässt, liegen die Dinge allerdings noch umgekehrt: Viele Jahre tritt Krizz Kaliko im Wesentlichen als Sidekick seines ungleich bekannteren Kollegen in Erscheinung. Selbst sein Debüt erscheint mit dem Zusatz "Tech N9ne presents ..."
Erst mit seinem zweiten Album beginnt für Krizz Kaliko der Weg heraus aus dem langen Schatten Tech N9nes. Höchste Zeit: Auf "Genius" präsentiert sich ein schier unverschämt wandlungsfähiger Künstler, der sich Rap, R'n'B, Rock und Reggae gleichermaßen untertan macht.
Zu Stil und Skills gesellt sich im Falle Krizz Kaliko die Fähigkeit, seine Geschichten - und seine Geschichte - in fesselnde Worte zu packen. Sein Leben liefert mehr als genug bizarren Stoff für eine lange Künstlerkarriere.
Die üblichen Dealer-, Hustler- und Straßengang-Storys hat Krizz Kaliko allerdings nicht zu bieten. Er wird in Kansas in ein überaus fürsorgliches Elternhaus hineingeboren. Die Härten des Lebens hält dies trotzdem nicht von dem jungen Samuel William Christopher Watson fern.
Mit zwei Jahren erkrankt er an Vitiligo. Die Krankheit hinterlässt auf seiner dunklen Haut überdeutlich sichtbare weiße Flecken an den Händen, am Oberkörper und im Gesicht. "Zebra" rufen ihn seine Mitschüler, für deren Schulhof-Hänseleien er das gefundene Fressen liefert.
Die ausgesucht guten Schulen, die seine Eltern für ihn wählen, ändern nichts daran. Der Junge, der sich später den Namen Krizz Kaliko geben soll, wehrt sich - mit Worten, mit Fäusten, schließlich mit Waffen.
"Unser Vater war eigentlich der Einzige, der Krizz normal behandelt hat", erinnert sich seine große Schwester April, die oft genug - notfalls auch mit dem Baseballschläger in der Hand - gegen Krizz' Peiniger in die Bresche springt. "Mutter und ich haben ihn übermäßig behütet. Mein Vater aber hat Krizz behandelt, als habe er keine Krankheit."
Das Jahr 1989 trifft Krizz entsprechend doppelt hart: Erst stirbt sein Vater an Krebs. Kurz danach wird seine rabiate Schwester in einen Autounfall verwickelt, bei dem sie schwere Verletzungen davon trägt. Fast zwei Wochen liegt sie danach im Koma.
Der zweite Mann der Mutter erweist sich nicht gerade als Glücksgriff, dafür aber als gewalttätig und kriminell. Mit 16 fungiert maßgeblich Krizz als Ernährer der Familie.
Die gesammelten Kindheitstraumata brechen sich Bahn, als seine Beziehung in die Brüche geht. Jahrelang hadert er mit seinem Schicksal, verfällt in Depressionen. Erst später wird bei ihm eine bipolare Störung diagnostiziert.
Die Katastrophe ist da längst beinahe passiert: Mit geladener Waffe im Anschlag stand er unter dem Fenster seiner Ex. "Sie hat mir so wehgetan", erinnert er sich Jahre später. "Ich hatte nur noch den einen Gedanken: Ich bring' sie um, dann bring' ich mich um, dann hab' ich es hinter mir."
"Doch dann, aus dem Nichts, fühlte ich eine Präsenz, eine Stimme, die mir sagte: 'Tus nicht. Alles ist okay. Es wird dir gut gehen.'" Trost findet der mittlerweile 25-Jährige in der Musik.
Der Grundstein hierfür wurde früh gelegt: Krizz' Gospel- und Opern-begeisterte Mutter leitete den Kirchenchor, in dem auch ihr Sohn sang - lange Zeit seiner einzigen Auftritte. Nun jedoch findet er im Hip Hop ein Ventil für alle Seelenqualen.
Er gerät an Produzenten Icy Rock, der ihm hilft, seine Texte und Gedichte in brauchbare Songs zu transferieren. Bei ihm trifft Krizz Kaliko auf einen anderen Rapper aus Kansas: Tech N9ne.
Dessen "Who You Came To See" veranlasst Krizz zu der Bemerkung, die Nummer könne eine bessere Hookline vertragen. "Dann mach' mal", so der Legende nach Techs Aufforderung, die den Beginn einer wunderbaren Zusammenarbeit markiert.
Krizz Kaliko kommt bei Tech N9nes Label Strange Music unter und ist mit Rap oder Gesang fortan an nahezu jedem Song beteiligt, der dem Laden entfleucht. Er steht Seite an Seite mit Tech N9ne auf der Bühne. 200 Shows im Jahr: der Normalfall.
Der Abstand hilft in zweierlei Hinsicht: Krizz Kaliko entwickelt sich zu einem überaus vielseitigen Rapper, Sänger und Bühnenviech. Und er gewinnt tatsächlich seine verlorene Freundin zurück. 2005 wird geheiratet.
Krizz Kaliko nimmt, was seine Krankheiten und Ängste betrifft, kein Blatt vor den Mund. "Anxiety" und "Bipolar" heißen zwei seiner Tracks, sein erstes Solo-Album 2008 trägt den Titel "Vitiligo".
Die Kritik gerät geradezu ins Schwärmen. "Der beste Hip Hop, den ich je gehört habe", befindet Radio-DJ Sean Tyler, ehe er sich korrigiert: "Es ist noch nicht einmal fair, es Hip Hop zu nennen. Es ist herausragende Musik. Es ist Rap, es ist R'n'B, es ist Reggae, es ist Rock'n'Roll."
Auch der Zweitling "Genius" erscheint unter dem Dach von Strange Music. Es hagelt Vergleiche mit Jamie Foxx, Gnarls Barkley, Tupac Shakur, Nine Inch Nails, Prince, Bob Marley und Queen, gebündelt in der Feststellung, Krizz liefere, "was Outkast zu tun versuchen".
Bei Strange Music findet man drastischere Worte: "Die Wahrheit ist: Krizz ist der abgefuckteste von allen", so Miteigentümer Travis O'Guin, und sein Partner Tech N9ne, Krizz Kalikos künftiger Hypeman: "Es ist unglaublich, dass so viel Talent in einem einzigen Motherfucker steckt."
Trotz der gegenseitigen Wertschätzung hat alles ein Ende, auch Krizz Kalikos Zusammenarbeit mit Strange Music. Nach zwanzig Jahren und unzähligen Alben, Shows und Kollabos mit Tech N9ne und anderen Labelgenossen kommen Anfang Oktober 2019 erstmals öffentlich Trennungsabsichten zur Sprache. Krizz Kaliko lässt wissen, er wolle sich geschäftlich auf eigene Füße stellen.
Dennoch unterzeichnet er Ende des Monats - publikumswirksam bei einer Liveshow - seine Vertragsverlängerung bei Strange Music. "Es fühlte sich zu diesem Zeitpunkt richtig an", erklärt er später gegenüber Ballerstatus. "Dann kam Covid und hat alles verändert. Ohne Liveshows hatte ich nahezu kein Einkommen. Ich wollte nie wieder in diese Lage kommen."
"Legend" bleibt das letzte Album unter dem Dach von Strange Music. Für Krizz Kaliko ist die Gründung einer eigenen Plattform die einzige logische Konsequenz. "Mein Gedanke war: Wenn ich meinen eigenen Betrieb habe, müsste ich mich von niemandem und auch von keiner Firma mehr abhängig machen. Ich habe die Kontrolle darüber, wie viel ich arbeite und wie viel ich dafür bezahlt bekomme. Außerdem habe ich die Rechte an meinen Masters und kann sie und die Firma irgendwann meinen Kindern vererben."
Bei einem umständehalber noch virtuell stattfindenden Konzert lässt Krizz Kaliko im Mai 2021 die Bombe platzen: Er sei nicht länger Teil der Strange Music-Labelfamilie, teilte er mit. Das Label, das er gemeinsam mit seiner Ehefrau Crystal aus der Taufe gehoben hat, soll den Namen Ear Music tragen.
Die erste Veröffentlichung auf der neuen Plattform entpuppt sich gleich als ganz schwerer Brocken: Krizz Kaliko debütiert mit seiner Single "Weight". Fürs zugehörige Video zieht er in bester D'Angelo-Manier völlig blank. Er wolle seinen Fans Mut machen, zu sich zu stehen, auch wenn sie nicht den gängigen Schönheitsidealen entsprechen.
Für Krizz Kaliko reiht sich der Track nahtlos in seine Diskografie ein: "Songs von mir wie 'Anxiety', 'Bipolar' oder 'Unstable' haben schon vielen Menschen mit Angstzuständen oder Depressionen geholfen. 'Weight' ist als Befreiungsschlag gegen Unsicherheiten gedacht. Niemand sollte sich in seiner eigenen Haut unsicher fühlen müssen", erklärt er seine Absicht. "Riskieren wir, gesehen zu werden."
Ob Tech N9ne für Krizz Kaliko jetzt wirklich den Hype-Man macht? In einer gerechten Welt liefe es genau so.
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