laut.de-Kritik

Musikalisch wie lyrisch regiert die Sanftmut.

Review von

Nach Verrat und Unterschlagung musste Cohen der Kohle wegen gezwungenermaßen auf Welttournee. Dort fand ein fast beispielloser Austausch der Liebe zwischen Künstler und Publikum statt. Alle Freunde seiner sinnlichen Weisheiten dürsten nache einem neuen Lebenszeichen. Drei herausragende Livedokumente in drei Jahren linderten den Phantomschmerz jedoch höchstens im Ansatz.

In seiner ganz eigenen unnachahmlichen Art nennt Cohen das Album "Old Ideas". Der Titel verrät bereits viel. Er enthält die milde Selbstironie eines Mannes, der sich die 'Human Farce' bereits anschaute, als etwa Elvis Presley oder Jerry Lee Lewis geboren wurden. Doch am wichtigsten sicherlich: die buddhistisch anachronistische Geduld, Freundlichkeit und Zuneigung für eine mehr denn je aus den Fugen geratenen Welt.

Doch wer jetzt glaubt, man bekäme eine Art illusionsloses "The Future" Part II oder ein den Geschlechterkampf sezierendes Gemälde exquisiter Qualen, der irrt. Es gab und gibt keinerlei Wiederholungen auf Cohens Weg. Stattdessen regiert musikalisch wie lyrisch die Sanftmut. Letztere hat dabei zum Glück rein gar nichts mit Altersmilde zu tun. Damals zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr warnte er eindringlich mit Feuer und Schwert vor der menschlich verursachten Katastrophe, "... just a crazy kid with a dream ..." Heute, wo sie endlich da ist, hilft er uns, diese zu überstehen. "Behold the gates of mercy / In arbitrary space / And none of us deserving / the cruelty or her grace." ("Come Healing")

Jikan, der Stille – so sein humorvoll buddhistischer Name nach der Weihung zum Mönch - liebt sie demnach immer noch, die alte Hure Menschheit. Was liegt da näher, als ein Team aus Freunden und Gefährten zusammen zu stellen? Egal, ob Seelenfreundin Jennifer Warnes, Javier Mas oder Dino Soldo: All seine Schäfchen sind einmal mehr im Boot.

Wem schon die Produktion von "Ten New Songs" sowie sein Hang zu Heimorgel-artigen Keyboardarrangements die Suppe versalzen hat, darf sich über die deutlich organischere Herangehensweise freuen. Cohen bedient sich des archaischen Ur-Blues in äußerst minimaler Struktur. "Anyhow" ist eines dieser einnehmenden Lieder. Schönheit erblüht in Schlichtheit.

Im Herbst seiner Karriere zeigt sich deutlicher als je zuvor, wie irrelevant jede Art der Produktion oder des Sounds für Leonards Kunst ist. Wer braucht schon den Rahmen? Wichtig ist allein der Kern des Bildes mit Melodie und Botschaft. Letzteres ist – wie bei jeder Cohen-Platte bislang – über jeden Zweifel erhaben.

Ein erstaunlicher Teil der Cohen-Magie speist sich aus der ebenso alters- wie zeitlosen Darbietung. Wie auf Knopfdruck mutiert der 78-Jährige zum ewigen Liebhaber, Narren und Verführer. Zur herrlich spartanischen Akustikgitarre in "Crazy To Love You" serviert er eine dieser ebenso simplen wie aufbrechenden Melodien, an denen jeder Epigone bislang eindrucksvoll scheiterte. "Had to go crazy to love you (…) / I'm old and the mirrors don't lie / but 'crazy' has places to hide in / deeper than saying goodbye." Wer schon immer die rein akustischen Platten bis einschließlich "New Skin For The Old Ceremony" am liebsten mochte, sollte dringend ein Ohr riskieren. Der Partisan der Liebe klingt wie anno 1973.

Meine persönlichen Favoriten sind dabei zwei andere. "Amen", ein köstlicher Bastard aus Verspieltheit und Wucht, verbindet ähnlich wie bei "I'm Your Man" (1987) musikalisch das Niedliche mit dem Alttestamentarischen. Ein gemütlich schlenderndes Bluesthema gipfelt im ironisch monumentalisierten Ausruf: "Amen!". Zwischendrin gibt es ein knuffiges, dabei melancholisch bärenstarkes Zeitlupen-Gejüdel zur sinistren Unterfütterung. Die Detailfreude für den bewussten Hörer ist ungebrochen.

"Show Me The Place" führt den Lauscher dagegen in die typische Doppelbödigkeit des 'Fieldcommander Cohen'. Wie so oft kann und darf man die Zeilen als erotischen Minnesang oder spirituelle Hommage begreifen. Hierin zeigt sich die exponierte Sonderstellung unter den Songwritern unseres gar nicht so kleinen Planeten. Leonards Doppelsinn ist stets vereinnahmend, nie auschließend oder gar trennend. Auch 2012 bleibt der Mann im 'famos blauen Regenmantel' immer kumulativ, unter keinen Umständen alternativ. Diese kleine, beinahe schon unscheinbare Pianoballade perlt direkt ins Herz. Die einzelne Geige bringt das Thema zur Mitte elegant auf den Punkt und entschwindet hernach wieder in jener Versenkung, der sie so plötzlich entsprang. Wundervoll.

"Lullaby" oder "Different Sides" erschließen sich -zumindest mir - noch nicht in einer Weise, die bislang davon abhielte, zu ein paar gewohnteren Melodien des Gesamtwerks zu wechseln. Doch das ist nur eine Momentaufnahme, Schall und Rauch. Cohens unfassbar raffinierte Einheit zwischen Musik und Text macht ihn auch nach Jahrzehnten zum unangefochtenen Leitwolf ohne jeden anderen Maßstab als den eigenen. Unter den besten der Pioniere - von Reed bis Dylan – bleibt er der Rudelführer. Das eine Tier unter vielen seltenen Erscheinungen.

Trackliste

  1. 1. Going Home
  2. 2. Amen
  3. 3. Show Me The Place
  4. 4. Darkness
  5. 5. Anyhow
  6. 6. Crazy To Love You
  7. 7. Come Healing
  8. 8. Banjo
  9. 9. Lullyby
  10. 10. Different Sides

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