Zum Betriebsjubiläum lässt das Düsseldorfer Rap-Label in einem 300-Seiten-Wälzer seine Geschichte Revue passieren. Alle Beteiligten erinnern sich.
Düsseldorf (dani) - Nicht kleckern. Klotzen! Nach der bewährten Devise schnürten sie bei Selfmade Records die Päckchen, mit denen sie ihr zehnjähriges Betriebsjubiläum feierten. In der Deluxe-Box-Ausgabe des dritten Labelsamplers "Chronik III" steckt neben Album, Instrumentals und dem üblichen Poster-Sticker-Gedöns ein wahrhaft gewichtiger Schinken: Auf knapp 300 Seiten rollt Strippenzieher Elvir Omerbegovic, der als Herausgeber fungiert, zusammen mit Autor Jan Wehn die Labelhistorie auf. Bis ins Detail.
Viel Buch fürs Geld
Den Hardcoverwälzer, erschienen im Riva Verlag, gibt es selbstverständlich auch einzeln: Der Ladenpreis, knapp 25 Euro, wirkt angesichts des Gebotenen erstaunlich schlank. Zwischen schwarzen Leineneinbänden mit güldener Prägung steckt tatsächlich alles, das der Fan schon immer wissen wollte, und noch ein bisschen mehr.
Papierqualität, Fotos, Layout: Mit Ausnahme der doch reichlich dazwischen gerutschten überflüssigen Trennstriche (die einen Perfektionisten wie Omerbegovic garantiert selbst am meisten wurmen) lässt sich an der Optik nichts, aber auch gar nichts aussetzen. Allenfalls die durchgehend geschwärzten Seiten zu den beiden "Jung, Brutal, Gutaussehend"-Kollabos mit Farid Bang stören das Bild etwas. Die Zensur hat, wie eine Nachfrage bei Selfmade ergab, rechtliche Gründe: Indizierte Alben dürfen nicht beworben werden.
Aufwärts mit Durststrecken
Um den ansonsten zugänglich aufbereiteten Inhalt zumindest über weite Strecken interessant zu finden, muss man noch nicht einmal eingefleischter Selfmade-Fan sein: Die Geschichte des Labels lässt sich durchaus auch als gute, alte Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Story lesen. Unbestritten handelt es sich bei der Düsseldorfer Plattenfirma inzwischen um eine Macht, um die im Deutschrap kein Weg mehr herumführt. Die Erfahrung, dass es unterwegs durchaus herbe Durststrecken zu überstehen galt, könnte durchaus auch dem einen oder anderen motivierten Jungunternehmer hilfreich erscheinen. Wenn auch vielleicht nicht in dieser epischen Ausführlichkeit.
Fehlt nur der Frisör
Für die Chronik zur "Chronik" zitierten Herausgeber und Autor jeden vors Diktiergerät, der mit Selfmade jemals irgendetwas zu schaffen hatte. Elvir Omerbegovic kommt natürlich selbst zu Wort, außerdem in (unterschiedlich spannenden) Interviews und Porträts sämtliche aktiven und ehemaligen Künstler des Labels, die Produzenten, Toningenieure, Video-Leute, Grafiker, Tourbegleiter, etliche Feature-Partner (darunter Kool Savas, Marteria, Alligatoah, Xatar und Haftbefehl), die (verblüffend wenigen) Festangestellten des Labels, diverse Journalisten, der zuständige Medienrecht-Anwalt ... fehlen eigentlich nur Omerbegovics Frisör und die Bäckereifachangestellte, die umme Ecke Wecken verkauft.
Kritik ausdrücklich erlaubt
Zahlreiche Fotos aus dem Archiv illustrieren den zähen, aber unaufhaltsamen Aufstieg des Labels und rufen noch einmal ins Gedächtnis zurück, was für Bübchen Kollegah & Co. allesamt einst waren. Jede einzelne Veröffentlichung aufzuführen und die Künstler Track für Track ihre Erinnerungen an deren Entstehung rekapitulieren zu lassen, wirkt zwar langatmig, erklärt aber auch Einiges. Etwa die teils maue Soundqualität der frühen Jahre: Das Nebenzimmer des Büros war halt einfach kein Studio, und ein Studio konnte sich damals keiner leisten. Dafür dürfen sie sich in Düsseldorf heute mit allem Recht der Welt auf den eingefahrenen Lorbeeren räkeln.
Die Erinnerungen der zahlreichen Gesprächspartner, die die letzten zehn Jahre mit Selfmade Records aus ihrer jeweiligen Sicht Revue passieren lassen, ergeben ein unglaublich detailliertes Bild. Zumal die Verantwortlichen die Größe besaßen, kritische Stimmen nicht unter den Teppich zu kehren. Das tut dem Buch gut. So erfährt, wer das wissen möchte, warum Labelmitgründer Flipstar seinen Hut nahm, wie schlecht sich Casper bei seinem Selfmade-Intermezzo aufgehoben fühlte und warum Shiml fast zeitgleich mit Casper den Abflug machte.
Privataudienz in Düsseldorf
Besagte Vielzahl der Gesprächspartner beschert dem Buch aber auch seine Längen. Nach der gefühlt dreißigsten Lobhudelei auf Omerbegovics Unternehmer-Fähigkeiten hat es vermutlich der letzte Depp gerafft und, bei allem Respekt, ein kleines bisschen satt. Ja, doch! Der Mann beweist ein gutes Näschen für die richtigen Signings, hat einen durchdachten Plan und, darin steckt vermutlich das gar nicht so geheime Geheimnis seines Erfolgs, baut auf die bewährte Kombination aus Ausdauer, Fleiß und Disziplin.
Wie gut Omerbegovic sein Handwerk tatsächlich versteht, spiegeln am deutlichsten die Interviews mit den Chefredakteuren der Juice, denen offenbar noch nicht einmal auffällt, in welchem Ausmaß sie sich von einem unbestritten smarten Geschäftsmann für dessen Zwecke einspannen ließen. Davide Bortot, bis 2007 beim Rap-Magazin am Ruder, erscheint noch einigermaßen unbefangen. Sein Nachfolger Stephan Szillus schwadroniert schon unentwegt von "Partnerschaft" und "Zusammenarbeit". Immerhin kam Omerbegovic nach dessen Amtsantritt noch zu ihm. Szillus' noch amtierende Ablösung Sascha Ehlert ließ sich offenbar allein schon mit dem Auto mächtig beeindrucken, mit dem er vom Bahnhof abgeholt wurde. Nachdem er brav zur Audienz in Düsseldorf anreiste. Von unabhängigem Musikjournalismus muss da wirklich keiner mehr irgendjemandem etwas vorgaukeln.
Die nicht ganz neue Erkenntnis: Elvir Omerbegovoc hats einfach drauf. Genau deswegen stehen Selfmade Records momentan genau da, wo sie heute stehen. ... and if you don't know, now you know.
1 Kommentar mit 8 Antworten
scheint nach ranzigem merch, überteuerten boxen und lahmen mixtapes das nächste große ding in der szene zu sein...aber mal ernsthaft freunde...wer liest sowas? einem xatar buch kann man ja einen gewissen reiz nicht absprechen aber die geschichte von diesem hörnchen label? uninteressant. glaube auch kaum das die zielgruppe gerne liest. die wartet sicher aufs hörbuch. greetings an dieser stelle an meinen homey den lautuser
ehrlich? ich fand das hier wesentlich aufschlussreicher als das xatar-buch - obwohl ich DEM echt was zugetraut hätte.
Wird in dem Buch denn auch über die absoluten Anfänge gesprochen, mit Äußerungen von Flipstar und eventuell Lakman? Laut einem Cr7z Interview sollte er ja mal gaaaaanz am Anfang (2003?) als Signing geplant gewesen sein...
ein interview mit flipstar ist drin, und, ja, die fangen ganz am anfang an. ob es da auch um lakman ging ... müsste ich nachschauen, weiß ich nicht mehr.
Also Cr7z sollte da mal gesignt werden. Ich denke, dass Lakman wenig mit dem Label zu tun hatte und aus Verbundenheit zu Flipstar z.B. auf "Rappen kann tödlich sein" war.
also, um cr7z gings nicht. dass der da unterkommen sollte, les' ich hier gerade zum ersten mal.
Dann profitierst du immerhin von meinem Knowledge
#eachoneteachone
Cr7z wäre dort sowieso ... vershimlt.
https://media3.giphy.com/media/dchERAZ73Gv…
@freddy: aufschlußreicher als diese halbgare jerry cotton saga im migrantenmilieu ist es sicher, finde nur halt selfmade als label nicht wirklich spannend. aber du kannst dich freuen, auch von deinem homey hafti kommt ja noch ne bio über den riva verlag