Mit Gewalt, dafür komplett ohne Handys: Jack White eröffnet die Verti Music Hall Berlin. Ein Erlebnisbericht.

Berlin (laut) - Am frühen Freitagabend bei sommerlich-lauer Stimmung an der Spree strömen gut 4.300 Jüngerinnen und Jünger in die ausverkaufte, funkelnagelneue Verti Music Hall am Mercedesplatz. Ort und Umgebung wirken ungefähr so rock'n'roll wie es Sponsor und Adresse erahnen lassen, Namenspate ist ein Direkt-Versicherer und irgendwie ist man fast froh, wenn man den riesigen LED-Videostelen auf dem Vorplatz in die Mehrzweckhalle entkommen kann.

Interessant wird es, als bereits in den Eingangsschlangen freundliche junge Menschen eine segensreiche Erfindung verteilen, nach denen sich Lehrkräfte und PädagogInnen auf der halben Welt verzehren dürften: Eine Smartphonehülle aus Neopren, die bimmelnde, knipsende und filmende Geräte sicher verstaut und mittels eines simplen Verschlusses, ähnlich der Diebstahlsicherung in schwedischen Klamottenläden, für die Dauer des Konzertes schlicht unzugänglich macht.

Spätestens an der Einlasskontrolle wird man vom freundlichen Sicherheitsfuzzi angewiesen, Telefon oder auch Kamera zu verpacken und zu verschließen. Die Hülle kann man, falls nötig, in dafür vorgesehenen Zonen wie der Außenterrasse von fleißigen Helferlein jederzeit öffnen lassen, nur eben nicht im Gebäude.

So muss man das heilige Teil nicht aus der Hand geben und kann sich trotzdem endlich mal wieder in aller Ruhe und ohne Displaybrille auf's echte Bühnengeschehen konzentrieren. Das alles funktioniert erfreulich schnell und reibungslos, und auch später am Ausgang wird es keine Wartezeit geben. Yondr heißt der Hersteller und Betreiber, im Silicon Valley wird der Pionier der Digital-Präser angeblich nicht ausschließlich fröhlich begrüßt. Schöne neue Welt! Ach, Momentchen: Die Presseeinlass-Mail war doch gleich – auf dem Smartphone. Entschuldigung, hallo, könntet Ihr mir doch noch mal kurz ...

Schließlich betritt man also gänzlich offline die Halle. Elektroauto unterm Spotlight im Foyer, Sichtbeton und freischwebende Treppengänge, alles etwas steril und kaufhausig, Kombi-Spezial: Cola und Popcorn achtfuffzig. Der eigentliche Konzertsaal hat mit fast 18 Metern Deckenhöhe mattschwarzes Kathedralenformat, die rückwärtigen, beeindruckend hohen Ränge wirken beinahe entrückt vom Geschehen auf und vor der großzügigen Bühne. So weit, so gut. Bier holen, umsehen, rumstehen, ganz ohne Whatsapp und Newsticker.

Schlag zwanzighundert ballern Gewalt die allerersten Maschinenbeats in die Tiefe des dunklen Quaders, der super-repetitive Opener "Guter Junge/Böser Junge" geht direkt ins Bein und Patrick Wagner schreit seine Ich-bin-du-bist- Konjugationen deutlich krawalliger heraus als auf 7"-Konserve. Weiter poltert der Ex-Surrogat-Noiser, flankiert von seinen beiden stoischen Kolleginnen, unter anderem über "So geht die Geschichte" und "Tier" bis zum finalen "Wir sind sicher", das zumindest in Sachen Tempo wieder etwas den Fuß vom Gas nimmt. Das großteils sehr erwachsene Publikum - viele schwarze Brillengestelle, viele graue Schläfen – applaudiert eher höflich. Wem auch immer ausgerechnet das maximalsperrige Trio als Vorprogramm zu Jack White eingefallen ist, zu lustig wirds jedenfalls nicht.

Und auf die Dauer macht sich die ungewohnte und vollständige Abwesenheit von Handydisplays und Blitzlichtern fast wie ein zusätzlicher Verstärker bemerkbar: Niemand kann sich hinter dem Bildschirmchen verstecken, der Zuschauerraum bleibt dunkel, nichts wird auf spätere Wiedergabe und Weiterleitung verschoben, alles ist genau jetzt und genau hier, ganz ohne Zwinker-Emojis. Hat was.

Pause, Roadies mit Hosenträgern verkabeln die umfangreiche Gitarrensammlung. Im Foyer und an den Bars wird gequatscht, getrunken und gelacht, hier fällt das abwesende Smartphone nicht weiter auf. Gegen neun betritt unter nun deutlich vorfreudigem Applaus die fünfköpfige Band die blau ausgeleuchtete Bühne und haut zur Begrüßung sofort den Kracher vom aktuellen Album "Over And Over And Over" und im direkten Anschluss "Sixteen Saltines" raus: Ab dafür!

Das anfängliche Fremdeln mit Location oder Vorprogramm sind vergessen, der Saal atmet durch und macht sich locker. Jack White spielt, singt und derwischt, halbkreisförmig umgeben von Schlagzeug, Bass und zwei Keyboardern, in einer eigenen kleinen Arena in der Bühnenmitte, tauscht Gitarren, zappt sich virtuos durch seine Effektpedale und verzerrte Mikros und geht mit absolut sehenswerter Energie und Spielfreude zu Werke. Nach einem kurzen Ausflug durch die drei Soloalben sind spätestens beim White Stripes-Klassiker "Hotel Yorba" Band und Publikum beieinander angekommen. Es wird gesprungen, gesungen und getanzt, dass sogar der Band die Freude anzusehen ist. Und: Niemand filmt, keiner knipst, niemand textet oder sendet. Die Bühne bleibt der einzige Fokus und Ort des Geschehens, auf den sich alle konzentrieren, von dem sich alle mitnehmen lassen. Schön!

Weiter gehts mit großer Dynamik durchs Repertoire, wobei es in der ausgewogenen Mischung zwischen neuem und erprobtem Material natürlich immer wieder die wohlbekannten Knaller sind, die am besten gehen. Als Bass und Basedrum "The Hardest Button To Button" ankündigen, fliegen doch tatsächlich zwei, drei halbvolle Bierbecher über die wogende Menge und den Refrain johlt inzwischen die halbe Halle mit. Und als nach etwa 90 Minuten das Set mit den letzten Akkorden von "Ball And Biscuit" verklingt und die Band von der Bühne geht, bleiben Applaus, Johlen und Pfeifen lange stehen: No Way, Mr. White!

War ja klar, nach kurzem Luftholen und unter lautem Beifall also zurück auf die Bühne, mit "Steady As She Goes" wird das Finale eingeläutet. Kurz darauf gipfelt "Connected By Love" in der ganz großen Harmoniesause, bevor es mit "Ice Station Zebra" nochmal beinahe sessionartig funkt. Schließlich und endlich, klar: "Seven Nation Army". Stampf stampf, crash crash, Slide-Riff, finale Abfahrt, alle dabei! Schöner wirds halt nicht, Band und Fans sind sich einig, danke Freunde, see you next time.

Das alles ganz in echt und ungefiltert, ohne Bildausschnitt vor der Nase, nur für die eigenen Augen und Ohren und das dazwischen, unkonserviert, unkommentiert und ungeteilt. Nur jetzt, nur hier, absolut exklusiv quasi. Eine wahrscheinlich nicht ganz repräsentative Erhebung im hochzufriedenen Publikum vor der Halle ergibt übrigens glatte hundert Prozent Zustimmung zur Keine-Handys-Politik. Und warum genau? "Na weil keine scheiß Handys!" Stimmt.

Vermutlich wäre bei Jack White und seinem Publikum auch nicht unbedingt das ganz geschlossene Meer aus Bildschirmen zu erwarten gewesen. Aber die direkte Energie zwischen Bühne und Saal, die Freude und das ungebrochene Erleben im Moment wären zwischen wackeliger Aufnahme und Echtzeit-Facebook-Schaumal in der Form eben auch nicht unbedingt zustande gekommen. Beim Streamen hüpft sichs schlecht. Manchmal hilft es eben doch, das Glück über allen Common Sense hinweg sanft zu erzwingen. Wenn das die Mittelstufe wüsste ...

Setlist:

  1. Over and Over and Over
  2. Sixteen Saltines
  3. Corporation
  4. That Black Bat Licorice
  5. Hotel Yorba (The White Stripes)
  6. Love Interruption
  7. Missing Pieces
  8. Broken Boy Soldier (The Raconteurs)
  9. Why Walk a Dog?
  10. Respect Commander
  11. I Cut Like a Buffalo (The Dead Wheather)
  12. The Hardest Button To Button (The White Stripes)
  13. We're Going To Be Friends
  14. Blunderbuss
  15. You Don't Know What Love is (The White Stripes)
  16. Ball and Biscuit

Zugaben:

  1. Steady As She Goes (The Raconteurs)
  2. I'm Slowly Turning Into You (The White Stripes)
  3. Connected By Love
  4. Ice Station Zebra
  5. Seven Nation Army

Text von Detlef Janz. Fotos Jack White: David James Swanson.

Fotos

Jack White

Jack White,  | © laut.de (Fotograf: Giuliano Benassi) Jack White,  | © laut.de (Fotograf: Giuliano Benassi) Jack White,  | © laut.de (Fotograf: Giuliano Benassi) Jack White,  | © laut.de (Fotograf: Giuliano Benassi) Jack White,  | © laut.de (Fotograf: Giuliano Benassi) Jack White,  | © laut.de (Fotograf: Giuliano Benassi) Jack White,  | © laut.de (Fotograf: Giuliano Benassi) Jack White,  | © laut.de (Fotograf: Giuliano Benassi) Jack White,  | © laut.de (Fotograf: Giuliano Benassi) Jack White,  | © laut.de (Fotograf: Giuliano Benassi)

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