Zwei Jahre warten auf Bayerns größte Sause: Schlimmer ist nur, "wenn das Bier alle ist!".
Zeppelinfeld, Nürnberg (laut) - In über 20 Jahren Rock im Park hat man noch nie so viele Menschen durchgehend lächeln sehen. Wie bei allem im Leben weiß man erst, wieviel einem etwas bedeutet, wenn es weg ist. Doch, um Casper, der am Sonntag das Festival beschließt, zu zitieren: "Alles endet, aber nie die Musik!" Und 75.000 Festivalbesucher:innen sahen das ähnlich. Bayerns größtes Festival schrammte bei seiner 26. Ausgabe knapp an ausverkauft vorbei.
Es riecht nach Sonnencreme und Handbrot
Der Wetterbericht ließ im Vorfeld nichts Gutes erahnen: Unwettergefahr mit Starkböen und Blitzgewitter. Sollte den seit Jahren verschonten Park dasselbe Schicksal ereilen, wie den nicht selten von Unwettern gebeutelten Ring? So schlimm kommt es zum Glück nicht. Zunächst beginnt der Freitag mit Kaiserwetter, die Luft riecht nach Sonnencreme und Handbrot. Endlich wieder Festival, endlich wieder laute Musik, endlich wieder Flunkyball und verschrumpelt im Sauna-Zelt aufwachen!
Wer es rechtzeitig vom idyllischen Zeltplatz aufs Gelände schafft, wird mit starken Auftritten von Airbourne, die AC/DC wohl langsam aber sicher den Rang ablaufen, und Myles Kennedy belohnt. Sein Alter Bridge-Bandkollege Mark Tremonti spielt direkt danach auf der Mandora Stage. Der grundsolide Rock kommt beim Publikum, das sich bereits für Bush in Position bringt, gut an: Die Mannen um Sänger Gavin Rossdale katapultieren das Publikum zurück in die späten 90er Jahre. Klassiker wie "Machinehead" oder "The Chemicals Between Us" dürfen ebenso wenig fehlen wie "Warm Machine" oder "Swallowed".
Chaostage? Nicht in Söders Hoheitsgebiet
Derweil rocken auf der Utopia Stage Royal Republic und bringen zumindest optisch etwas Sylt nach Nürnberg mit: schicke Outfits und die obligatorischen Perlenketten. Chaostage? Nicht in Söders Hoheitsgebiet. Der Ministerpräsident wurde übrigens beim Freischwimmen im angrenzenden Stadionbad gesichtet: Herr Söder, das nächste Mal kaufen Sie sich doch einfach ein Ticket, anstatt die Musik for free aus dem Schwimmbad mitzunehmen. Denn: Ohne Kunst und Kultur wirds still!
Den Abend leiten derweil A Day To Remember und Korn ein, die stabile Sets abliefern: Nostalgie pur, aber sind wir nicht alle irgendwie Freaks on a leash? Dann aber doch noch Unwetteralarm: Das Set der Beatsteaks verschiebt sich nach hinten, das Publikum verbleibt nun länger beim ersten Headliner des Festivals, Volbeat. Die Herren aus Kopenhagen liefern die volle Ladung Rock'n'Roll, die Fans singen aus vollem Halse mit. Nachdem sich der Regen etwas gelegt hat, und feststeht, dass das Festival nicht zu Rock in Atlantis umbenannt wird, starten auch die Beatsteaks (auuuuus Berlin!) durch und heizen der Menge mit viel Spielfreude und grundsympathischer Attitüde ein.
Der heimliche Headliner am Freitag
Die Klamotten sind wieder trocken, und die Stimmung reif für den heimlichen Headliner des Abends: Billy Talent. Die Bühne ist in rotes Licht getaucht, als pünktlich um 23:45 Uhr die ersten Takte von "Devil In A Midnight Mass" erklingen. Billy Talent werden ihrem Namen gerecht und beweisen dies mit einer Setlist, die nicht nur "Rusted From The Rain" oder "Fallen Leaves" beinhaltet, sondern auch ein mit viel Feingefühl vorgetragenes, ergreifendes Foo Fighters-Cover: "Everlong". Zwei Bands, zwei Schicksale: Taylor Hawkins starb vor kurzem völlig unerwartet, und der Trommler von Billy Talent, Aaron Solowoniuk, ist unheilbar an Multipler Sklerose erkrankt. Billy Talent zeigen eindrucksvoll, wie ein Livegewitter geht. Sound, Licht, Songs – alles tadellos. Ihre Wurzeln vergessen sie dabei auch nicht: Die Band bedankt sich bei den Beatsteaks, die Billy Talent 2005 mit auf Tour nahmen. Ehrenmänner!
Wer jetzt noch nicht genug hat oder ein Kontrastprogramm sucht, ist auf der Orbit Stage bei Boys Noize genau richtig. Der deutsche DJ heizt mit einem Techno-Set und jeder Menge gute Laune den Partywütigen richtig ein. Aber auch der schönste Tag geht irgendwann zu Ende, und in den frühen Morgenstunden findet auch der letzte seinen Weg ins im besten Fall noch trockene Zelt.
Frühsport mit den Donots, Italienisch mit Måneskin
Der Samstag wird heiß – nicht nur kratzt das Thermometer an der 30 Grad-Marke, auch die Acts versprechen eine heiße Performance. Den Anfang machen um kurz vor 13 Uhr die Donots auf der Utopia Stage, wo sie zum Frühsport einladen. Spätestens seit der Pandemie weiß man, wie wichtig ausreichend Bewegung ist. Und wie kann man sich besser fit halten, als mit Fitness-Influencer Ingo? Es wird gerudert, gehüpft, gesprungen und getanzt. Der Flüssigkeitshaushalt wird bereits wieder mit dem ein oder anderen Bier reguliert.
Frisch aufgewärmt, zieht es viele zur Mandora Stage, die heute im Zeichen des Hip Hops steht: 102 Boyz, Serious Klein, SSIO oder der australische Rapper Masked Wolf. Die Gitarren-Fans bleiben bei der Utopia Stage und ruhen sich zunächst bei You Me At Six und Weezer aus. Vor deren Konzert freut sich eine junge Festivalbesucherin, dass "diese uralte Band" überhaupt noch live spielt: "Vielleicht ist es die letzte Tour von Weezer, daher bin ich glücklich, sie zu sehen". Neben Hits wie "Buddy Holly" oder "Island In The Sun" gibt es auch das "Africa"-Cover.
Nun ist die Bühne aber frei für (den gar nicht mehr so geheimen Tipp) Måneskin. Die italienische Band fängt stark verspätet an, entschädigt ihr Publikum aber mit ihrer energiegeladenen Show. Opener ist der Smash-Hit "Zitti E Buoni", mit dem die Band zuerst das italienische San Remo Festival und anschließend den Eurovision Song Contest 2021 gewann. Optisch sind die vier Römer:innen sowieso ein Highlight. Glamrock trifft auf Lack und Leder, dazu ein gepflegtes Äußeres und der Glanz der Jugend, da kann nichts schief gehen. Die Band nimmt nicht nur die Bühne, sondern den ganzen Park binnen Minuten für sich ein. Was für ein Spektakel! "They ask me: Why so hot? Cause I am Italiano!", skandiert Sänger Damiano bei "Mammamia", und der Park antwortet mit Begeisterungsstürmen. Kein Wunder, dass Måneskins Tour im März 2023 schon fast ausverkauft ist. Italien hat einen faszinierenden Musikmarkt, und man darf wohl noch mit weiteren frischen Bands vom Stiefel rechnen.
Wohlstandsbauch bei The Offspring, Gänsehaut bei Green Day
Diesem fulminanten Auftritt haben die Altherren von The Offspring im Anschluss wenig entgegen zu setzen. Zu routiniert liefern die Amerikaner nur Mittelmaß. Für einen Schmunzler sorgt das etwas zu kurze Hemd von Frontmann Dexter Holland, das er regelmäßig nach unten zieht, um sein Wohlstandsbäuchlein zu verstecken. Die Broilers überbrücken die Zeit bis zum Headliner Green Day, die für mehr als einen Gänsehautmoment sorgen. Beim brisant aktuellen "21 Guns" fließen im Publikum Tränen und später im Set holt Billy Joe Armstrong eine junge Frau auf die Bühne, die die Rhythmusgitarre (aka drei Chords) übernimmt. Julia, so heißt sie, lässt sich nicht die Butter vom Brot nehmen und rockt, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Als Dank bekommt sie einen tosenden Applaus und die Gitarre geschenkt.
Beseelt endet der Abend in Utopia, die Karawane zieht weiter nach Mandora: Marteria, der durchweg über beide Ohren strahlt, legt einen Hammer Auftritt hin. Dann der nächste heimliche Headliner: Scooter! Ja, die, die nach über 20 Jahren noch immer nicht wissen, wie viel der Fisch kostet. Bereits tagsüber sieht man überall Scooter-Shirts, "und "Hyper Hyper"-Rufe lösen "Helga"-Schreie ab. So wundert es nicht, dass die Mandora Stage aus allen Nähten platzt, als HP Baxxter, Band und eine Riege leichtbekleideter Tänzerinnen die Bühne betreten. "God Save The Rave" schallt es über das Gelände, alle sind angefixt. Spätestens bei "FCK2020" erliegt auch der Letzte der Techno-Party. Zu Pyroeffekten und aufwendiger Videoanimation raven die Niedersachsen, was das Zeug hält. Frenetischer Jubel im Park.
Rock'n'Roll ist scheiße!?
Der Sonntag beginnt beschaulich mit sanften Klängen von Kodaline und Gang Of Youths auf der Utopia Stage, die im Anschluss die Sportfreunde Stiller und RIN sieht. Das erste Highlight des Tages ist aber Alligatoah, der mit neuer Bühnenshow und neuen Songs den Park zum Beben bringt. Er stellt eine Bühne auf die Bühne, die im Laufe des kurzweiligen Konzerts abgebaut wird. Das Publikum singt bis zur letzten Reihe seine alten Hits wie "Fick Ihn Doch" oder "Willst Du" mit, aber auch bei "Monet" und "Fuck Rock N Roll" von der kürzlich erschienenen Platte "Rotz & Wasser" ist man textsicher. Lukas Strobel und seine Band beweisen abermals, dass die deutsche Raplandschaft mehr kann als billige Trap Beats und Kinderreime.
Eine weniger gute Figur geben dann Placebo ab, die zu viele Filler und zu wenige Killer im Set haben. Die neueren Songs zünden nicht so recht, und augenscheinlich hat die Band nicht mehr so viel Spaß an den alten Sachen – so quälen sich Placebo und ihr Publikum gleichermaßen durch den Gig. Der letzte Headliner-Slot des Festivals gehört Muse. Deren Auftritt, ebenfalls mit neuem Bühnenbild, beginnt futuristisch: Die Musiker verbergen ihre Gesichter hinter einem Alien-Faceshield, das sich im Anschluss im Hintergrund der Bühne als 3D Skulptur wiederfindet. Die Briten beeindrucken mit glasklarem Sound, perfekter Intonation, bewährten Showelementen wie Konfettiregen und Feuerwerk, aber vor allem mit herausragender Bühnenpräsenz. Das 90-Minuten-Set, das einem wilden Ritt durch die fast 30-jährige Bandgeschichte gleichkommt, vergeht wie im Fluge.
Unglücklicherweise performen parallel auf der Mandora Stage die unfassbaren Deftones, die das musikalische Kontrastprogramm darstellen: Bereits beim unheilvollen Opener "Change (In The House Of Flies)" verneigt sich die Menge ehrfürchtig vor den Großmeistern und erlebt ein atmosphärisch fantastisches Konzert. Auf der Orbit Stage herrscht derweil Einlassstopp: Die Kassierer haben die Arena quasi ausverkauft. Schlimmer ist nur, "wenn das Bier alle ist!". Casper beschließt dann als Late Night Act das Festival auf einer Bühne, die zur Blumenwiese umdekoriert ist: Die wilden Zeiten des Rappers sind vorbei, und so erlebt Nürnberg einen emotionalen und gleichermaßen entspannten Abschluss.
Die kleine, charmante Schwester von Rock am Ring
Rock im Park, die charmante kleine Schwester von Rock am Ring, findet mitten auf dem historischen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg statt und besticht durch eine schöne Location mit kurzen Wegen sowie durch die gute Verkehrsanbindung und Stadtnähe. Abseits der Bühnen gibt es zudem ausreichend Schattenplätze und Grünflächen. Für ein Festival dieses Ausmaßes bleibt es auf dem Gelände auch relativ sauber. Das kulinarische Angebot ist vielfältig zu den üblichen Preisen, gezahlt wird cashless per Chip am Festivalbändchen, der vor Ort oder online per App aufgeladen werden kann. Wer doch lieber außwärts isst, kann das in einem der Restaurants rund um das Festivalgelände tun oder fährt mit der S-Bahn binnen weniger Minuten in die Nürnberger Innenstadt. Vom Riesenrad an der Utopia Stage aus hat man alles gut im Blick. Das Preis-Leistungs-Verhältnis bei Rock im Park stimmt jedenfalls. Die 27. Ausgabe findet vom 2. bis 4. Juni 2023 statt.
Text und Fotos: Désirée Pezzetta.
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