Timon Menge erzählt die Geschichte der deutschen Hip Hop-Crew. Als habe man ihren Wikipedia-Eintrag zwischen zwei Buchdeckel gedonnert.
Stuttgart (dani) - Unerheblich, ob man sie feiert oder belächelt, ob man ihren schwäbischen Geschäftssinn bestaunt oder den teils recht schamlosen Ausverkauf einer Kultur beweint, auf eins können sich doch die meisten verständigen: Die Fantastischen Vier mögen vielleicht nicht ihre Alleinherrscher sein, gehören aber fraglos zu den dienstältesten und dabei erfolgreichsten Akteuren der deutschen Sprechgesangsszene. Inzwischen "35 Jahre troyer Hip Hop" (riva Verlag, 144 Seiten, gebunden, 10 Euro) rechtfertigten durchaus, dass jemand einen Blick darauf wirft. Timon Menge bekommt also ein ergiebiges Thema auf dem Spätzlebrett serviert. Eigentlich.
Um dem folgenden Urteil ein wenig von seiner Schärfe zu nehmen: Am Autor liegt es gar nicht unbedingt, dass man sich nach der Lektüre dieses Buches fühlt, als habe man pappige, ungewürzte Reiswaffeln gegessen. Menge formuliert locker, erzählt schlüssig und, infolge der Beschränkungen, die das Format ihm auferlegt, auch recht rasant. Die kurzen Kapitelchen lassen sich völlig widerstandslos eins nach dem anderen weglesen. Ratzfatz ist man durch und stellt fest: Erkenntnisgewinn gleich null.
Eine ausgefuchste Erzählstruktur gibts nicht: Menge frühstückt die dreieinhalb Dekaden Bandgeschichte streng chronologisch ab. Getroffen: da und da, erster Auftritt, erstes Album, erste Tour, nächstes Album, noch eins und noch eins. Dazwischen gehts kurz um die Solo-Bestrebungen der vier Künstler, bis die Handlung bei Smudos und Michi Becks Castingjurorentätigkeit, bei Corona-Pandemie und Luca-App, beim Abstecher der Crew nach Entenhausen und damit halbwegs in der Gegenwart angekommen ist.
Keine Interaktion, keine Einordnung
Eigene Gespräche mit den vier Hauptakteuren oder ihrem geschäftstüchtigen Manager hat Menge nicht geführt (im Fall des letztgenannten: eine Entscheidung, zu der ich ihm nur gratulieren kann), oder er hält damit erfolgreich hinter dem Berg. Dass der gesetzte Zeitrahmen und das wahrscheinlich elend knapp bemessene Budget dieser billig produzierten Reihe keine ausgiebigen Recherchen hergaben, versteht sich aber eigentlich von allein. Das Problem bloß: Wenn jemand nur zusammenträgt, was andere schon berichtet haben, wenn auf knapp 120 Seiten Text 22 Seiten mit Quellenangaben kommen, dann erfährt man aus so einem Buch halt genau nichts.
Persönliche Interaktion mit den Künstlern gibts also nicht, eine Einordnung ihres Werks fehlt ebenfalls. Menge reiht statt dessen bereits bekannte Fakten aneinander, listet Veröffentlichungen und Aktivitäten der Bandmitglieder auf. Da nirgends auch nur ein Hauch von Kritik laut wird, noch nicht einmal bei einer Veranstaltung mit dem Ödnisgrad der "Liechtenstein Tapes", könnte man auch einen Schnellhefter mit den Promowaschzetteln der einzelnen Alben füllen. Der läge vielleicht weniger gut in der Hand, Leseerlebnis und Erkenntnisgewinn wären aber vergleichbar.
Bandbiografien im Schweinsgalopp
Ich weiß echt nicht, wie viele Bücher aus dieser Bandbiografie-im-Schweinsgalopp-Serie ich inzwischen gelesen habe, aber: Jedes weitere lässt mich noch ein wenig ratloser zurück. Ich versteh' einfach nicht, welche Zielgruppe der riva-Verlag damit anvisiert. Fans der Künstler*innen, um die es jeweils geht, wissen das alles schon. Im Grunde muss eine*r noch nicht einmal Fan sein: Was diese hastig zusammengeschusterten Abrisse vermitteln, weiß auch, wer sich nur rudimentär mit dem jeweiligen Act befasst hat. Diese Bücher sind in diesem Fall mehr, machmal auch weniger wortgewandt ausformulierte, zwischen zwei Buchdeckel gedonnerte Wikipedia-Einträge, weiter nichts. Neues erfährt, wer von der Materie völlig unbeleckt ist - aber kauft so jemand dann eine Bandbiografie?
Die einzige Kundschaft, die meine Fantasie für diese Produktreihe ausspuckt: hilflose Großeltern auf der Suche nach einem Geschenk fürs Enkelkind. Mit Technik kennt man sich nicht aus, bei Klamotten oder Musik trifft man den Geschmack nicht, zu teuer solls auch nicht sein ... ein Buch aber, das geht immer, die jungen Leute lesen eh viel zu wenig. Wenn solchen Großeltern dann einfällt: "Ach, der Junge mochte doch immer diese Rapper so gern, wie hießen die noch gleich?", DANN stolpern sie vielleicht über "35 Jahre troyer Hip Hop" und schenken es dem Enkel. Der ist hoffentlich gut genug erzogen, um artig danke zu sagen, ehe er sich überlegt, was zur Hölle er nun mit dieser kolossalen Papierverschwendung anfangen soll.
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2 Kommentare mit einer Antwort
welche kundschaft soll das buch ansprechen? ist doch klar, typen wie den lautuser! der ist zwar seit jahrzehnten digital, aber ein buch aus dem riva verlag geht immer.
Gibt es bestimmt bei Aldi an der Kasse
Scheint wohl nicht die ultimative Fanta-Fibel zu sein. Am Brüser Berg wird abgewartet