Der Showmaster legt seine befürchtete "weinerliche Bilanz" vor. Eine Abrechnung mit der Jugend und ihren kulturellen Vorlieben.
München (dol) - Das Ende lieferte den Neubeginn gleich mit. Als Thomas Gottschalk nach seinem letzten "Wetten, dass..?"-Auftritt im November 2023 seine Abschiedsrede vor zwölf Millionen Zuschauern hielt, setzte er zu einer unerwarteten Abrechnung an. Er beende das Kapitel, da Sophia Loren und Rod Stewart als Showstars mittlerweile zu alt seien und er sich die jüngeren Gäste nicht erklären lassen wolle. Als zweiten Grund führte er die vermeintlichen medialen Mechanismen ins Feld, dank derer er zu Hause heute anders rede als im Fernsehen und deshalb künftig "lieber gar nichts mehr" sage.
"Ungefiltert" baut darauf auf. Ein Buch, das die Angst betont, es könne "als weinerliche Bilanz eines älteren Mannes ausgelegt" werden - und damit eben jenes erreicht. Warum es nach der "super Sendung" überhaupt notwendig gewesen sei, den unversöhnlichen Monolog anzustimmen, fragte der ihm wohlgesinnte Micky Beisenherz im "Kölner Treff". "Ja, warum nicht? Warum darf ein Mensch mit 74 nicht sagen, was er denkt?", entgegnete Gottschalk gleich im Opfer-Modus, "Ich bin der Meinung, jeder darf den Unsinn erzählen, den er gerade erzählen möchte. Aber das ist heute nicht mehr so."
Das erste Augenrollen setzt beim Vorwort ein. "Liebe Lesende!", begrüßt der Showmaster einleitend sein Publikum. Als er in den 1950er Jahren angefangen habe, Bücher zu lesen, habe es noch "Liebe Leser" geheißen. Neben Männern seien "Mädchen" mitgemeint gewesen, versichert er. "Man musste sie gar nicht extra erwähnen, denn man wusste ja, dass es sie gab." Gottschalk kennt und fürchtet sie. Früh habe er seinen "Glauben an weibliche Wahrhaftigkeit" verloren. Heute fahre er mit ihnen nicht mal mehr Aufzug, beklagt er, als hätten diese nichts anderes im Sinn, als ihm die Karriere zu versauen.
Hater? Sushi? Upamecano? "Das hätte es zu meiner Zeit nicht gegeben."
Früher wäre ihm "nie in den Sinn gekommen, dass James Bond jeder Masseurin, die er vor oder nach ihrer Dienstleistung ohne ihre Einwilligung auf die Bretter legte, Gewalt antat", sinniert er. Dass ihm selbst ein übergriffiges Image anhaftet, ist ihm zwar bewusst, doch verstehen tut er es bis heute nicht. "Warum hätte ich Frauen vor Millionen von Zuschauern anbaggern sollen?", fragt er rhetorisch. Norah Jones soll allzu offensiv von ihm angegrapscht worden sein? Er könne sich gar nicht an sie erinnern, aber offensichtlich habe sie sein "tölpelhaftes Verhalten schadlos überlebt", heißt es achselzuckend.
Die durchtriebenen Frauen bilden jedoch nur einen Nebenaspekt von "Ungefiltert". Gottschalk geht es in erster Linie um einen Generationenkonflikt. Zwar räumt er als "Vorrecht der Jugend" ein, stets "frischen Wind" zu wollen, doch zugleich ist er zur Stelle, um ihnen jenen aus den Segeln zu nehmen. Seine Generation habe noch "in die Hände gespuckt" und nie ein "Sabbatical" einlegen müssen, während die Generation Z nur auf die Work-Life-Balance achte, moniert ein hauptberuflicher Spaßmacher, der mit dem, was sich gemeinhin 'ehrliche Arbeit' schimpft, praktisch nie etwas am Hut hatte.
Statt sein jüngeres Ich in der Jugend wiederzufinden, arbeitet er akribisch die Unterschiede heraus. Er habe sich noch an der frischen Luft körperlich ertüchtigt, statt Ego-Shooter zu spielen. Froh sei er auch, ohne Handy und Hater aufgewachsen zu sein, dafür aber mit Kartoffeln. Heute essen die Kids dagegen Sushi. Und bei Bayern München heißen die Spieler nicht mehr Gerd Müller, sondern haben so eigenwillige Namen wie Dayot Upamecano. "Ich neige dazu, einen Satz wieder aufzuwärmen, der mich schon genervt hat, als meine Eltern ihn benutzten: 'Das hätte es zu meiner Zeit nicht gegeben.'"
Früher war alles besser? Das galt für Thomas Gottschalk bereits im Jahr 2001.
Insbesondere trifft das alles auf die Popkultur zu. Bei ihm in Kulmbach hätten ja noch die Beatles und Peter Frampton über dem Bett gehangen. Er schwärmt von Rod Stewart und Phil Collins, schiebt wegen der "Frauenquote" pflichtbewusst noch Cher und Barbra Streisand hinterher. Tina Turner und Elton John seien noch echte Popstars gewesen, während Justin Bieber und Britney Spears "weder Spaß an ihrem Beruf noch an ihrem Leben" hätten, behauptet er. Vollkommen richtig, immerhin sind Turner und John berühmt für Gesundheit, glückliche Ehen und ihr rundum krisenfreies Leben.
Es falle ihm schwer, Ben Zucker und Beyoncé als "Nachfolger" von Costa Cordalis und Tina Turner zu bejubeln, mault er. Wer behauptet das? Wer fordert das? Wen interessiert das? Fortwährend setzt er verschiedene Menschen in Beziehung zueinander, um einen vermeintlichen Beweis zu erbringen. Gottschalk vergleicht Peter Maffay mit Pietro Lombardi, Pamela Anderson mit Greta Thunberg, Gunter Sachs mit Richard Lugner. Die haben zwar nichts miteinander zu tun, beweisen aber wohl irgendwie, dass die Welt vor die Hunde geht.
Die "Schreihälse der Rockband Slipknot aus Iowa" habe er gar als große Gefahr für die Psyche seines Sohnes betrachtet. Dabei eröffnet Gottschalk selbst mit seinen privaten Einblicken regelrechte Abgründe. So stellt er seinen Sohn bloß, indem er sich über dessen "schauderhafte Sammlung von Tattoos" mokiert. Es fehle ihm "sowohl der Mut als auch die Kraft", seinen Sohn mehr als einmal zurechtzuweisen, klagt er, als handele es sich um eine biblische Prüfung. Seine vorherige Anmerkung, seinen Eltern wegen der langen Haare "verdächtig" vorgekommen zu sein, ist da längst vergessen.
Nach dem Tod seines Vaters 1964 habe seine Mutter ein Jahr lang Schwarz tragen müssen. Sie habe das als "schrecklich" empfunden, doch für Gottschalk und "alle anständigen Kulmbacher" sei es "richtig" gewesen. Noch härter trifft es seine Schwester, die "einen meiner Freunde zum Mann" bekommen habe. "Ginge es nach mir", stünde er noch heute an ihrer Seite, motz er hartherzig und anmaßend. Sie ließ sich aber nach dem Tod der Mutter scheiden, was für den Moderator ausreichte, sie jahrelang "links liegen gelassen" zu haben. Mittlerweile diskutiere er mit ihr zumindest wieder "die Dinge des Lebens".
"Lebenserfahrung" ist wertvoller als "Forschheit der Jugend"
Manches ist aber auch sympathisch, auch weil Gottschalk um jeden Preis vermeiden will, sich unbeliebt zu machen oder arrogant und selbstherrlich aufzutreten. Die Saukerl-Rolle, die Harald Schmidt bis heute genießt, ist ihm gänzlich fremd. Angenehm bodenständig kritisiert er Online-Coaches, die Schönheitschirurgie und den Heldentod. Und ungewohnt sprachsensibel bezeichnet er die Formulierung des "gesunden Menschenverstands" als "Singular des 'gesunden Volksempfindens'", der glücklicherweise aus der Mode gekommen ist.
Amüsant fallen auch die Anekdoten aus seiner Radiozeit aus, als die Verantwortlichen von Bayernradio ein "Blutbad" auf den Autobahnen befürchteten, wenn er englische Popmusik spiele. Gottschalk habe sich aber "nichts von alten Männern vorschreiben lassen". Die naheliegende Transferleistung misslingt ihm aber. Mit Blick auf die "Forschheit der Jugend" heutzutage stellt er fest, dass er seine "Lebenserfahrung" für wertvoller halte als diese. Er missbilligt sie für ihr Alter und behauptet zugleich, sie seien es, die ihm die Zuneigung verweigern, da er als alter weißer Mann ihr "natürlicher Feind" sei.
Thomas Gottschalk steht exemplarisch für einen Typus, den der Kabarettist Josef Hader vor einiger Zeit in "SRF Kultur Sternstunden" beschrieben hat. Mit ausgefallener Kleidung und einer ebensolchen Sprache habe sich die heutige Ü60-Generation gegen das "Althergebrachte" gestellt. Nun bewege sie sich ihrem Ende entgegen, weigere sich aber die Rolle anzunehmen, "die sie den alten Leuten in den 60ern und 70er Jahren zugemutet hat." Wehleidig klagen sie, nichts mehr sagen zu dürfen "Das ist eine Generation, die hat nie Regeln beachtet und möchte Deutungshoheit bis ins Grab."
Thomas Gottschalk - Ungefiltert*
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16 Kommentare mit 28 Antworten
Ich bin ja selber nicht mehr taufrisch, aber diese ganzen alten Männer, die sich nicht damit abfinden können, dass sich Geschmäcker und Gepflogenheiten mit der Zeit eben ändern, gehen mit gehörig auf die Nüsse.
Spielt mit euren Modelleisenbahnen oder sowas, aber lasst die Zukunft die Leute gestalten, die sie auch noch erleben werden.
Der hat eine Tracht Prügel verdient.
Derbhat verdient, dass sich niemand, wirklich niemand, mit ihm befasst oder für ihn interessiert. ... Verdammt, schon wieder zu spät.
Das Wort „cringe“ hätte man schon vor 23 Jahren speziell für Gottschalk in den Duden aufnehmen müssen.
https://www.youtube.com/watch?v=bxWbutSE7tQ
Für ein masochistisch veranlagtes Wiesel genau das richtige, um in den Tag zu starten. Den Kaffee werd' ich währenddessen einfach weg exen.
was hat ein buch von thomas gottschalk auf einer musikseite verloren?
thomas gottschalk hat deutschrap erfunden
https://www.youtube.com/watch?v=6pQ5Xqv6bQk
achso jetzt seh ich woher der hase pfeift. laut.de casht ein und macht werbung für seltsame mediengestalten. als nächstes gibts die neue buchempfehlung von dieter bohlen inkl amazon link
Öcht, neues Buch von Dieter Bohlen? Wo kann ich bestellen? Ist das das Buch mit dem Spongebob-Feature?
Gruß
Skywise
Citic Beiträge sind wie ein Unfall auf der Autobahn. Ganz, ganz furchtbar. Aber man schaut trotzdem hin.
Lieber Tomas... Ich bin zwar erst 66 aber kann trotzdem mit deinem Gejammere nix anfangen. Weder in verbaler noch in geschriebener Form. Ich hab unvorsichtigerweise einen Clip auf YouTube angeschaut. Ich dachte : Hätte er doch lieber die große Klappe gehalten.
Was die Dinge angeht die er bemängelt.
1. ich gendere schon lange (automatisch)
2. ich finde viele Witze über die ich früher gelacht habe cringe
3. es furchtbar finde das jemand sein eigenes Verhalten nicht Ansatzweise reflektieren kann
4. und dazugelernt hat er auch nichts..null,null
Ich werde da ich noch jung bin eine neue Ausbildung machen.
Es ist immer gut den eigenen Horizont zu erweitern.