Live dabei zwischen Bar 25, Kindergeburtstag und Phantasialand, bei einem der Openair-Highlights der Indie-Community.
Gräfenhainichen (loc) - Zerklüftet und verwittert wie ein Ersatzteillager der Transformers ragen die rostigen Absetzer und Schaufelräder in den rosa Himmel auf und bieten einen faszinierenden Kontrast mit weicher, bonbonfarbener Beleuchtung. Wenn unter diesen Maschinenparkplatz Menschen mit kleineren Maschinen interagieren und eine glückliche Meute nebenan dazu im Matsch tanzt, dann hat das Nest Gräfenhainichen im Osten der Republik seine Hauptattraktion wieder: Das Melt-Festival hat sich in seiner fünfzehnten Auflage einen internationalen Ruf erspielt. Das frische Line-Up unter ausgedienten Braunkohlebaggern zieht mittlerweile 40 Prozent ausländische Besucher an den Gremminer See.
Dass Unwetter das Elektro-Indie-Klassentreffen Melt! regelmäßig in ein "Soak!" verwandeln, hat ebenso Tradition wie die Parkplatzraves am Donnerstagnachmittag, die das extralange Wochenende einläuten. Wer auch immer für das Wetter zuständig war, hatte diesmal allerdings ein Einsehen. Es blieb bei zu vernachlässigenden Schauern und sonnigen Flecken, wenn es auch ein bisschen zu frisch war, um die Gratisstrandbälle wirklich im See zu erproben.
Ein großer Spielplatz
Das Gelände um die riesigen Eisenbagger verwandelte sich nichtsdestotrotz verlässlich in einen großen Spielplatz zwischen Bar 25, Kindergeburtstag und Phantasialand. Wen es am Freitag nicht vor die Mainstage zu Caribou zog, der konnte sich im Zelt von der snobistischen Grandezza alter Indiehelden überzeugen lassen ("My name is Rufus Rainwright and I'm the greatest thing you'll ever see."), sich mit Farbpistolen beschießen oder auf einer berührungsempfindlichen Tanzfläche kollektiv einen eigenen Killertrack erhüpfen.
Regional-veganer Tofuburger im Balsaholzschälchen, anyone?
Ob es am erweiterten Ökokonzept lag (Regional-veganer Tofuburger im Balsaholzschälchen, anyone?) und mit dem guten Gewissen, das sich nach dem Verzehr einstellte – irgendwie stimmte sogar die Verpflegung glücklicher als die Mainstreamwurst im Gummibrötchen. Es mag, wie so vieles, ein subjektiver Eindruck sein, aber hier schien zusammen zu finden, was zusammen gehört: ein interessiertes, spielfreudiges Publikum und von diesem reichlich genutzte Angebote seitens des Veranstalters zur näheren Beschäftigung mit diversen Facetten des Events.
Nach wie vor tut das Melt! Einiges, um seinem Ruf als Großveranstaltung mit Gewissen gerecht zu werden: DJ-Floors, die per Hometrainer betrieben werden, ein Hotelzug, der bis zum Gelände fährt oder der Deal "Müllsack gegen Baumwolltasche" - den überwiegend studentischen Besuchern gefällt das Ganze. So sieht man tatsächlich ab und zu Menschen, die ihr Handy per Wasserpumpe aufladen.
Drei Tage oder Wochen wach
Das zwölfköpfige Wohnmobilcamp nebenan arbeitet derweil am Projekt "Drei Tage oder Wochen wach" und begrüßt den Morgen nach der durchtanzten Nacht mit einer Runde The Prodigy und Federballskills, die jeden Grundschüler vor Mitleid weinen lassen würden. Wen juckts – zum Schlafen ist hier schließlich niemand da. Die Grobmotorik schult sich beim Raven.
Bloc Party in Spiellaune
Bloc Party, bereits zum dritten Mal am Start, legten nach mehrjähriger Bühnenabstinenz nicht weniger als ein Volltreffer-Comeback hin. Bestens gestimmt und in offensichtlicher Spiellaune ließen Kele Okereke und seine Jungs keine Zweifel an ihrer wiedergefundenen Geschlossenheit und bedienten so ziemlich jeden, der im Umkreis der Mainstage dem Regen trotze. Zu hören gab es auch Stücke vom bald erscheinenden Album "Four". Die ließen sich verdammt gut an, klangen eingängig, frisch, griffig und zum Glück ganz anders als der fragwürdige Autoscooter-Soundtrack, in den sich der Frontmann auf seinem Soloalbum "The Boxer" verlor. Ende August gibts mehr davon.
Monströs clevere Frickelattacken
Herausfordernder war da schon Gaslamp Killer, der seine explosive Melange aus Dub, Effekten, Beats und geschüttelten Locken auf die konzentriert im Sand mithopsende Masse loslässt wie eine Meute bissiger Hunde. Ähnlich bewegungsintensiv und treibend wirkten instrumentierte Elektroacts mit Livedrummer wie Brandt Brauer Frick, die Österreicher Elektro Guzzi oder die monströs-cleveren Frickelattacken von Mouse on Mars.
Mit bekloppten Kostümen zu Weltruhm
Dass man mit bekloppten Kostümen und exzessivem Gewinke zu Weltruhm kommen kann, wissen seit dem Wochenende nicht nur die Kölner: Ein Gossip-Hardcorefan, verkleidet als blutige Binde, durfte sich in die weichen Arme Beth Dittos fallen lassen und im Duett singen, nachdem er sich durch die Menge kämpfte, bis ihn Schlagzeugerin Hannah Billie von der Bühne aus entdeckte.
Divaposen in Superzeitlupe
Am Sonntag dann entspannte, leicht gedämpfte Stimmung. Passend zu den verkaterten Dancing Queens schmiegt sich nachmittags Lana del Rey in Superzeitlupe am Bühnenrand entlang und bietet sanfte Streicherflächen und kaum einstudiert wirkende Divaposen wie den Klassiker "zufällig heruntergerrutschter Träger". Ähnlich samtig und vielfältig instrumentiert: Destroyer.
"Mensch, danke!"
Und als man dachte, relaxter könne man den letzten Tag ja kaum ausklingen lassen, steht plötzlich Erlend Oye auf der Bühne, spielt mit Whitest Boy Alive endorphinschwangeren, elegantesten Sommerpop und sagt allen Erstes schüchtern in Richtung des wippenden Köpfemeers vor der Hauptbühne: "Mensch, danke dass ihr noch hier geblieben seid. Ihr seid ja sicher müde!"
Lichtshow-Porno auf allen Bühnen
Zum krönenden Abschluss gibt es noch einmal Lichtshow-Porno auf allen Bühnen: Im großen Stil auf der Mainstage zeigen Justice, wie man die Bildmarke Kreuz im 21. Jahrhundert aufwertet, im intimen Rahmen des Intro-Zelts lassen dagegen Yeasayer Reflexionen in konkaven Spiegelhalbkugeln tanzen.
Batik für Anfänger
Und überhaupt: Ist es nicht toll, wenn Musiker über ihren Tellerrand blicken und auch mal ein paar andere Tätigkeiten ausüben – wie zum Beispiel Rummelsnuff, der sonst das tut, nach dem sein Oberkörper aussieht: Türsteher sein – verrückterweise sogar beim Melt!. Casper informiert derweil die Fans vor der Mainstage nicht ohne Stolz, man habe sich soeben als Band zum ersten Mal kollektiv T-Shirts selbst gebatikt. Um dann zögerlich nachzuschieben: "Und ihr, kommt ihr alle gerade erst vom Sleepless Floor?"
Und wenn schon! Dabei gilt generell in diesem Jahr: Die meisten zähnemahlenden Marathon-Raver, die bei jeder 4/4-Bassdrum ausrasten, sind irgendwo anders feiern gegangen. Diese fünfzehnte Edition mit ihrem feinen Booking steht im Zeichen des Experiments, der aktiven Teilhabe und der Auslotung von Genregrenzen, nicht im Zeichen von Pandaaugen und Lützenkirchen. Kann so weitergehen!
22 Kommentare
wäre auch gerne da gewesen, ferropolis ist immer eine reise wert .. sei es splash! oder melt!. die ticketpreise fürs melt waren dieses jahr aber leider reichlich übertrieben!
aber mal was anderes: ist casper eigentlich auf jedem halbwegs kommerziellen festival ? ^^ kommt mir so vor irgendwie
Tach Foxi, wir von ZDFkultur sind dort gewesen - bei uns findest du zum Beispiel viereinhalb Stunden Konzerte vom Melt (unter anderem mit Blood Red Shoes, Gossip, Bloc Party und Two Door Cinema Club) ... und jetzt die ganze Woche jeden Tag einen neuen Konzertmitschnitt: http://bit.ly/2012Melt
Als wäre man dabei gewesen. Okay, nicht ganz ... aber so irgendwie.
Schöne Grüße von zdfkultur.de
Till
hat es zdfkultur jetzt so nötig, dass sie einen praktikanten die foren und news kommentieren lassen?
man sollte das glaub ich auch nicht einfach als hipsterkacke abtun, sicherlich wimmelt es da inzwischen von denen, aber komplett verhipstert ist es da dneke ich nicht.
@Foxi_Gonzales (« man sollte das glaub ich auch nicht einfach als hipsterkacke abtun, sicherlich wimmelt es da inzwischen von denen, aber komplett verhipstert ist es da dneke ich nicht. »):
Selbst wenn es nur zu 90% verhipstert ist, ist es schon verwerflich.
dann sollen sies halt mehr auf techno fixieren, die meisten hipster dort sind doch wohl eher auf den indie und pop krams zurückzuführen