Langweilig: Das Format läuft Gefahr, kurz vor dem Ziel zu verhungern. Ärgerlich: Die politische Situation Aserbaidschans wird weggelächelt.

Köln (lau) - "Du machst eine Show für alle Sinne! Oh, ungefähr so etwas habe ich letzte Woche auch schon gesagt", erkennt Jurymitglied Alina Süggeler, als sie Kandidatin Shelly ihr Feedback gibt. Und trifft damit den Nagel auf den Kopf: Das Konzept für "Unser Star Für Baku" zeigt schon nach wenigen Shows Abnutzungserscheinungen. Die Reise nach Baku verkommt zur Fahrt im Schlafwagen.

Seichte Abendunterhaltung - jetzt in der ARD

Aber von vorne. Wer sich um 20:15 Uhr gut versorgt mit Knabberspaß und Kandidatenfähnchen (solche konnte man sich dank einer Aktion des hessischen Rundfunks selbst ausdrucken und basteln) ins Sofa mümmelte und ProSieben einschaltete, der schaute erst einmal in die Röhre. Denn das Viertelfinale, der Einlauf auf die Zielgerade, wird vom Kooperationspartner ARD übertragen. Ebenso auch das Finale am 16. Februar, das Halbfinale fällt wieder in die Zuständigkeit von ProSieben.

Große Veränderungen gehen mit dem Senderwechsel aber nicht einher. Moderatorin Sandra Rieß hat sich ein bisschen schicker gemacht, die fünf verbliebenen Kandidaten singen nun jeder zwei Songs. Sonst bleibt alles beim Alten - seichte Abendunterhaltung ohne Höhen und Tiefen. Das schlägt sich übrigens auch in der Quote nieder: Seit der ersten Folge leidet Raabs Castingformat an chronischem Zuschauerschwund.

Fünf Kandidatentypen - eigentlich guter Nährboden

Dabei präsentieren sich die Kandidaten durchaus abwechslungsreich. Um das Ticket nach Baku kämpfen fünf verschiedene Typen - eigentlich eine nahrhafte Basis für einen gut gemachten Gesangswettbewerb. Da stehen der Mädchenschwarm Roman, der seit der allerersten Runde die Favoritenrolle inne hat, die Berliner Musikerin Katja, die mit seichten Songwriterversionen seit jeher die Zuschauer verzückt, Ornella, eine elfenhafte Schönheit mit Vorliebe für Céline Dion-Verschnitte, Yana, kraftvoll und extrovertiert, und Shelly, die hippe Soulkünstlerin. Fünf Rohdiamanten, die langsam aber sicher zu Schmuckstücken geschliffen werden sollen.

Songauswahl größtenteils mutlos und glatt

Das Problem: Bei einigen ist bereits jetzt die ein oder andere Ecke zuviel abhanden gekommen - zu glatt agiert das Gros der Teilnehmer. Die Eigenheiten, die die nachgesungenen Popsongs erhalten, gehen zuweilen einzig auf das Konto von Raabs Big Band. Dass aus Rihannas "Love The Way You Lie" doch ein schönes Stück Musik herauszuholen ist, ist den HeavyTones zu verdanken, nicht etwa Ornellas technisch astreinem, aber farblosem Gesang.

Viel Mut zeigen die Kandidaten nicht. Wenigstens Katja und Roman greifen dann und wann zu selbstgeschriebenen Songs, Shelly intoniert mit Inbrunst und Herz Soul- und Black Music-Stücke, die dem Großteil des Publikums bisher verborgen geblieben sein dürften. Yana transformiert Tanzflächenfüller zu Band-tauglichen Songs und Ornella berührt mit ihrem Balladenkönnen Alina Süggelers Herz. So weit, so gut, so bekannt. Das Feuer der ersten Shows lodert auf Sparflamme.

Neuerung nimmt Spannung aus Votingsystem

Auch nicht zuletzt deswegen, weil sich das im Grunde spannende Votingsystem dank einer schwer nachvollziehbaren Neuerung selbst demontiert hat: Kurz vor Ende der Abstimmung wird seit neustem je ein Platz für 60 Sekunden eingefroren - wer ihn nach Ablauf der Minute inne hat, ist sicher weiter.

So steht also schon vier Minuten vor Votingende fest, dass Roman weiter Mädchenherzen rauben darf. Nacheinander sichern sich Yana und Ornella den Einzug ins Halbfinale, zwischen Katja und Shelly kommt es zum Showdown. Die zweite Stelle hinter dem Komma entscheidet, dass Katja ihre Koffer packen muss. Sie wird nicht nach Baku fahren. Die Neuerung aber nimmt jeden Countdowncharakter aus der Abstimmung, mit den Plätzen haben die Macher auch die Spannung eingefroren.

Menschenrechtsverletzung? Hat im Schlager nichts zu suchen

A propos Baku: Ein Bericht über die Stadt und den Bau der Arena für den Song Contest leitet die Sendung ein. Naiv weggelächelt werden hier die katastrophalen Zustände in Bezug auf Demokratie, Opposition und Menschenrechte in Aserbaidschan. Solche Themen haben in der fröhlichen Welt des Schlagers scheinbar nichts zu suchen.

Nicht einmal einen Sendungshinweis geben die Moderatoren auf den direkt folgenden Beitrag im Magazin Kontraste. Wer dran bleibt, blickt mit einem bitteren Nachgeschmack auf die fröhliche Show zuvor zurück. Sicher - Raab hat es mit seiner Suche nach neuen Talenten, die Deutschland vor dem musikalischen Europa vertreten, gut gemeint. Gut gemeint ist nur eben oft das Gegenteil von gut gemacht.

Fotos

Frida Gold

Frida Gold,  | © laut.de (Fotograf: Bjørn Jansen) Frida Gold,  | © laut.de (Fotograf: Bjørn Jansen) Frida Gold,  | © laut.de (Fotograf: Bjørn Jansen) Frida Gold,  | © laut.de (Fotograf: Bjørn Jansen) Frida Gold,  | © laut.de (Fotograf: Bjørn Jansen) Frida Gold,  | © laut.de (Fotograf: Bjørn Jansen) Frida Gold,  | © laut.de (Fotograf: Bjørn Jansen)

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