laut.de-Biographie
Notorious B.I.G.
"Excuse me / Flows just grow through me / Like trees to branches / Cliffs to avalanches / It's the praying mantis / Deep like the mind of Farrakhan / A motherfuckin' rap phenomenon."
Nur ein einziges Album soll The Notorious B.I.G. zu seinen Lebzeiten veröffentlichen. Mit "Ready To Die" dreht er allerdings den Scheinwerfer zurück von der West- auf die East-Coast, beschert der Ostküste das erste auch kommerziell richtig erfolgreiche Rap-Album, bringt Puff Daddys frisch gegründetes Label auf den Plan und rappt sich selbst zur Unsterblichkeit.
Darauf deutet noch wenig hin, als am 21. Mai 1972 im nicht gerade vom Glück geküssten Stadtteil Brooklyn ein Knabe namens Christopher Wallace das Licht der Welt erblickt. Seine Körperfülle heftet ihm rasch diverse Spitznamen an: Big, Biggie, Biggie Smalls oder The Notorious B.I.G rufen sie ihn auf den Straßen, auf die es ihn bald schon zieht.
Dabei ist Biggie ein guter Schüler. Seine Lehrer prophezeien ihm, sehr zum Stolz seiner alleinerziehenden, äußerst strengen und sehr behütenden Frau Mama, eine große Zukunft. Dass der Sprössling seine Energie aber ins Schreiben von Reimen und in den Aufbau einer schwunghaften Dealer-Karriere investiert, dürfte ihr deutlich weniger gefallen haben.
Dreizehn Lenze jung gründet Biggie mit seinem Jugendfreund Michael Bynum die erste Gruppe, die Technique Crew. Immer mehr entzieht er sich der mütterlichen Fürsorge, um an den Straßenecken seiner Hood seine Reime zu kicken. Dort gerät er prompt in genau die Kreise, vor denen jede Mama ihren Sohn bewahren möchte.
Es winkt das schnelle Geld. Biggie startet eine recht erfolgreiche Hustler-Laufbahn. Seinen plötzliche Liquidität erklärt er seiner Mutter mit einem Job an der Supermarktkasse. Spätestens als ihr Sohn die Schule schmeißt, dämmert es ihr allerdings. Ein wenig beruhigt es sie aber doch, dass die Musik eine Konstante in Biggies Leben bleibt. Mehr noch: Biggie würde die Dealerei sofort an den Nagel hängen, könnte er mit Rap richtig durchstarten.
Die Möglichkeit dazu liefert eine Begegnung mit Mister Cee, dem DJ von Big Daddy Kane. Er wittert das Potenzial in dem jungen MC, nimmt mit ihm ein Demotape auf und reicht es ungefragt an die Source weiter. Die erklären The Notorious B.I.G. umgehend zum "unsigned Hype" - was wiederum Puff Daddy auf den Plan ruft.
Der arbeitet zu diesem Zeitpunkt noch als A&R bei Uptown Records und hält Ausschau nach einem neuen Talent, das - im Stile von LL Cool J - die Köpfe der Heads zum Nicken und die Knie der Ladys zum Zittern bringt. Die erste Begegnung mit Schwergewicht Biggie Smalls zeigt: Das könnte sich schwierig gestalten. Doch Puffy wäre nicht Puffy, hielte ihn ein bisschen Übergewicht davon ab, aus seiner Neuentdeckung ein Sexsymbol zu machen.
Biggies charmante Smoothness und sein Witz schaden dabei gar nichts. "Er war ein lustiger Motherfucker", erinnert sich etwa Method Man. "Er hat dich den ganzen verdammten Tag lang zum Lachen gebracht." Sexy.
Die Arbeiten am geplanten Debütalbum allerdings ziehen sich. Erst etwa die Hälfte der Tracks ist im Kasten, als Puff Daddy seien Job bei Uptown verliert. Damit hängt auch sein Schützling wieder in der Luft.
Biggie, inzwischen Vater einer Tochter, besinnt sich auf sein anderes Standbein und nimmt den Drogenhandel wieder auf. Als Puffy sein eigenes Label Bad Boy Entertainment aus der Taufe hebt, steht er allerdings sofort parat.
Gemeinsam stellen sie "Ready To Die" fertig - und landen einen wirklich großen Wurf. Nas bringt es im Rückblick auf den Punkt: "Als 'Ready To Die' rauskam, konnte man es fühlen: Da lagen riesige Veränderungen in der Luft." Biggie spricht davon bereits auf der ersten Single: "Things Done Changed".
Mit "Ready To Die" schaffen Biggie und Puffy ein Meisterwerk des Hardcoreraps und den ersten richtigen Erfolg der Ostküste seit der Machtübernahme seitens Dr. Dres G-Funk-Movements wenige Jahre zuvor.
Als reinkarnierter Gangsterboss Frank White berichtet Biggie vom Leben auf der Straße und präsentiert sich als Storyteller vor dem Herrn. Sein Stil zwischen komplexer Metaphorik und plumpen Sexismus katapultiert das Schwergewicht in den Rap-Olymp, Puffys Produktionsskills hieven "Ready To Die" in die Charts der Welt. Ende 1994 heißt der neue Rap-Held mit Verkaufszahlen im Platin-Bereich The Notoroius B.I.G.
Wer hätte das gedacht? Die Frauen stehen Schlange. Kurz vor der Veröffentlichung des Debüts trennt sich Biggie von seiner Babymama Jan Jackson und heiratet wenige Tage später die R'n'B-Chanteuse Faith Evans. Das hält ihn jedoch nicht davon ab, mit anderen Musikkolleginnen anzubändeln: Lil' Kim und Charli Baltimore gehören zu seinen Dauer-Liebschaften. Herrliches Futter für die Klatschpresse, die jedoch bald neuen Stoff bekommen soll.
Am anderen Ende des Kontinents hat sich inzwischen Tupac Shakur zum Rapstar gemausert. Er und Biggie, die anfangs noch freundschaftlich miteinander umgehen, entwickeln sich bald zu personalisierten Gegenpolen: Biggie, der versierte Lyriker mit Gangster-Kredibilität und Pac, der poetische Revolutionär.
Im November 1994 wird Tupac in einem New Yorker Studio ausgeraubt. Er bekommt bei dem Überfall fünf Kugeln ab, überlebt aber. Biggie samt Entourage befindet sich zu diesem Zeitpunkt im gleichen Gebäude. Wenige Monate später äußert Tupac den Verdacht, sein ehemaliger Freund stecke hinter dem Angriff.
Eine der meist beachteten Fehden in der Musikgeschichte nimmt ihren Anfang: Biggie vs. Pac, Bad Boy vs. Death Row, Ost gegen West. Die Szene spaltet sich und verliert wenig später zwei ihrer schillerndsten Figuren. Im September 1996 kommt Tupac Shakur in Las Vegas bei einem Drive By-Shooting ums Leben. Am 9. März 1997 gegen 1.15 Uhr erliegt Christopher Wallace im Cedars-Sinai Medical Center in Los Angeles seinen Schussverletzungen.
Neun Tage später bekunden Tausende Fans ihren Respekt für den gefallenen Helden. Eine zwanzig Wagen starke Kolonne begleitet Biggies Leichnam auf den Weg zu seiner letzten Ruhestätte durch Brooklyn.
Wiederum eine Woche später erscheint Biggies Zweitling "Life After Death" und verkauft sich über zehn Millionen Mal. "Mo Money, Mo Problems" und "Hypnotize" stürmen Mainstream-Radio und Videokanäle. "Notorious Thugs" mit Unterstützung von Bone Thugs-N-Harmony manifestiert Biggies Klasse als eiskalter Straßenpoet.
Mentor, Freund und Labelboss Puff Daddy nimmt zusammen mit Biggies Witwe Faith Evans die Single "I'll Be Missing You" auf, einen der käsigsten Rap-Songs aller Zeiten. Er trifft jedoch den zutiefst verletzten Nerv der Heads und die emotional anfällige Masse und behauptet sich wochenlang an der Spitze der Hitparaden.
Wäre die Geschichte nicht so tragisch, man könnte in ihr (und Biggies Albumtiteln) einen der erfolgreichsten Werbegags der Musikgeschichte sehen. Das dritte Album "Born Again" reiht sich 1999 nahtlos ein, obwohl die Qualität von Biggies Reimen deutlich abnimmt. Im Gegensatz zu Tupac akkumulierte Biggie Smalls nicht Hunderte Stunden Material für die Nachwelt. Die Fans scheint es nicht zu stören, auch "Born Again" erklimmt die Pole Position.
Ein weiteres Mal gelingt dieser Sprung dem Big Poppa jedoch nicht. Sieben Jahre später steigt "Duets - The Final Chapter", eine überproduzierte Versammlung namhafter Rap-Vertretern um Biggies letzte textliche Überreste, lediglich auf Nummer drei der amerikanischen Charts ein.
Der Mord an Biggie Smalls wird nie aufgeklärt. Die Karteileiche gibt allerdings Stoff für mehrere Bücher und Reportagen her. Auch ein Kinofilm mit Sylvester Stallone ist im Gespräch. Die Story hat alles, das ein großes Hollywood-Drama braucht: Gangs, Drogen, Geldwäsche, Sex, schöne Frauen, korrupte Cops, Verschwörungen, Mord, Totschlag.
Erst 2009 findet die Geschichte wirklich den Weg auf die große Leinwand. "Notorious" zeichnet Leben und Tod des Christopher Wallace nach. Falls sich jemand fragen sollte, wo zum Teufel sie für die Darstellung von Biggie als Kind einen Knaben aufgetrieben haben, der der Vorlage wie aus dem Gesicht geschnitten ist: Es handelt sich tatsächlich um seinen Sohn.
Für Fans von The Notoroius B.I.G. steht, vermutlich für alle Zeiten, fest: Lässigeren Flow, gewichtigere Attitüde, intensiveren Beef und mysteriöseres Ableben bot niemand. Eben "a motherfuckin' rap phenomenon."
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