laut.de-Biographie
Phil Anselmo
Zweifellos war Motor und Kreativzentrum Panteras Gitarrist Dimebag Darrell. Ganz wesentlich für den Erfolg der stilistischen Neuerfindung ab "Cowboys From Hell" war allerdings auch der kurz vorher eingestiegene Sänger: Philip Hansen Anselmo.
Während das in Louisiana und Texas aufgewachsene und sich teilweise als Fischer verdingende Kid zu Highschool-Zeiten noch hauptsächlich Judas Priest-Songs covert und auch auf dem ersten gemeinsam mit Pantera aufgenommenen Album "Power Metal" so manchen Eierkneif-Schrei loslässt, etabliert er 1990 das brutale Bellen, für das er später in die Metal-Annalen eingehen sollte. Groove-Meilensteine wie "Walk" von "Vulgar Display Of Power" zehren ebenso von Anselmos einprägsamen Wutreden wie von Dimebags präzisen Riffs. Dass der früh seinen charakteristischen Kahlkopf präsentierende Vokalist auch in Sachen Klargesang einiges auf dem Kasten hat, ruft er mit Tracks wie "Hollow" oder "This Love" immer mal wieder ins Gedächtnis.
Allerdings fällt Anselmo nicht nur durch seine unvergleichliche Performance auf, sondern auch abseits des Musikalischen. 1994 muss er vor Gericht erscheinen, weil ein Streit mit einem Security-Mann eskalierte. Man verurteilt ihn zur Ableistung von 100 Sozialstunden. Außerdem verfällt er Mitte der Neunziger schweren Drogenmissbrauchs, weil er versucht, die Schmerzen einer Rückenverletzung mit allerlei Substanzen zu betäuben. 1996 erklären ihn Ärzte nach einer Überdosis Heroin kurzzeitig für klinisch tot.
Auch die Spannungen innerhalb der Band intensivieren sich über die Jahre zunehmend. Als Pantera 2003 auseinanderbrechen beginnt eine medial ausgetragene Fehde zwischen Anselmo und den Abbott-Brüdern (Vinnie Paul und Dimebag), die schließlich in der Aussage: "Dimebag verdient es, heftig zusammengeschlagen zu werden" gipfelt. Als Dimebag 2004 einem Mordanschlag zum Opfer fällt, verweigert seine Familie Anselmo die Teilnahme an der Trauerfeier. Später äußert sich Anselmo immer wieder reuevoll und betont, dass er jederzeit zu einer Versöhnung und auch einer Reunion der verbleibenden Bandmitglieder bereit wäre, stößt bei Vinnie Paul jedoch auf taube Ohren.
Dimebags Verlust verfolgt Anselmo auch in seiner weiteren musikalischen Karriere. Es ist eins der zentralen Textthemen auf Downs dritter Platte "Over The Under".
Überhaupt stürzt sich Anselmo in eine ganze Reihe Nebenprojekte. Nachdem er schon in den Neunzigern eifrig mit den kurzlebigen Bands Christ Inversion, Viking Crown, Eibon (u.a. mit Fenriz und Satyr) sowie zwischen 1998 unter dem Pseudonym Anton Crowley als Gitarrist bei Necrophagia herumexperimentierte und mit Downs "NOLA" einen Meilenstein des Sludge schuf, widmet er sich nach dem Ende Panteras ausgiebig Superjoint Ritual. 2006 mit Eyehategods Mike Williams die Hardcore Punk-Combo Arson Anthem, die immerhin bis 2013 Bestand hat und sowohl eine selbstbetitelte EP als auch ein Studioalbum ("Insecurity Notoriety") gebiert.
Schließlich packt Anselmo gar seinen Eigennamen auf ein Albumcover: Unter dem Titel "Walk Through Exits Only" veröffentlicht er 2013 sein erstes Soloalbum. Zur Seite steht ihm dabei eine als Illegals firmierende Schar Weggefährten. Philip H. Anselmo & The Illegals mausern sich über die Jahre zur richtigen Band und lassen 2018 "Choosing Mental Illness As A Virtue" folgen, auf dem sie der zerstörerisch extremen Schiene des Debüts treu bleiben.
Obwohl sich Anselmo in diesem Outfit die Stimmbänder in allen möglichen ungesund klingenden Variationen aus der Kehle plärren kann, stampft er nebenher noch zwei weitere Nebenprojekte aus dem Boden – die bereits 2001 gegründete eigene Plattenfirma Housecore Records machts möglich. So entsteht in Kollaboration mit Cattle Decapitations Derek Engeman und Pig Destroyers John Jarvis die Black Metal-Band Scour.
2017 verkündet Anselmo, außerdem ein von The Cure, Sisters Of Mercy, David Bowie und Nick Cave inspiriertes Album aufgenommen zu haben. Als En Minor will er es der Welt im Jahr darauf präsentieren.
All das wird seit 2016 allerdings von einem unschönen Vorfall beim Dimebash 2016 überschattet. Dort posierte Anselmo mit Hitlergruß und "White Power"-Ausruf auf der Bühne. Völlig zurecht bezieht er verbale Prügel aus der Metal-Community. Nachdem er anfangs noch versucht, das ganze als Scherz abzutun, glaubt er bald selbst nicht mehr so recht daran, zieht sich eine Weile aus der Öffentlichkeit zurück, legt gar seinen Bandmitgliedern nahe, im Zweifel ohne ihn weiterzumachen, und meldet sich schließlich mit einem Enstchuldigungsvideo zurück. Nicht wenige scheinen ihm diese allerdings nicht abzukaufen.
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