laut.de-Kritik
Riffs? Nicht vorhanden!
Review von Manuel BergerEigentlich ist es ganz einfach: Mochte man den Erstling von Philip H. Anselmo & The Illegals ("Walk Through Exits Only"), steht man höchstwahrscheinlich auch auf "Choosing Mental Illness As A Virtue". Und umgekehrt. Spoiler: Was das folgende Urteil angeht, werde ich mich meinem Vorredner Schmidt anschließen: "ein einziger Frontalangriff aufs zentrale Nervensystem".
Riffs sind im Grunde nicht vorhanden und wenn doch, sind es nicht mehr als rohe Schablonen, um einen bestimmten, vertrauten Reflex beim Hörer hervorzurufen. Die Songs sind kaum als solche erkennbar, um überhaupt Strukturen zu entdecken braucht es viel Geduld und noch mehr Fantasie. "Choosing Mental Illness As A Virtue" ist ein kontinuierlicher Stream of consciousness purer Gewalt und hellen Wahnsinns.
Am ehesten entsteht so etwas Ähnliches wie Groove in "Individual". Der speist sich allerdings vor allem aus unkreativer Leersaitenraserei. Immer wieder grätscht ein Midtempo-Riff rein, dessen stumpfe Dissonanz nicht über Schülerband-Level hinausreicht, für das man sich später in Grund und Boden schämt. Besser machen sie es im tatsächlich interessanten Solo des Songs – einem der wenigen Lichtblicke der Scheibe.
Zu Anselmo: Für sich genommen überzeugt der ehemalige Pantera-Fronter noch immer mit einer beeindruckenden Klaviatur des Extremen und zeigt, warum er als einer der besten Metal-Fronter überhaupt gilt. Anselmo wütet, brüllt, röchelt, keift, kreischt und knurrt, dass "Choosing Mental Illness As A Virtue" acapella schon fast als Performance-Kunst durchgehen könnte. Wäre Mike Patton vom dämonischen Geist Niklas Kvarforths besessen, klänge das wohl ähnlich.
Um Struktur bemüht sich aber freilich auch der Boss nicht. Die ohnehin schon chaotischen Instrumentals klingen dank seiner scheinbar zufällig drüber gestreuten Auswürfe nur noch chaotischer. Immerhin laufen Philip H. Anselmo & The Illegals auf diese Weise keine Gefahr, dass jemand ihnen ihre Individualität streitig macht. Denn aus welchem Grund sollte jemand diese tonale Unfallmischung aus Sludge, Death, Noise, Crust, Grind und etwas Black Metal nachahmen wollen?
Trotzdem muss ich Mike DeLeon (Gitarre), Schteve Taylor (Gitarre), Blue Gonzalez (Drums) und Walter Howard (Bass) Respekt bekunden: Nicht viele Musiker wären wohl in der Lage, diese Songs live runterzureißen. Denn von den stumpfen Tschukk-Tschukk-Intermezzi (z.B. "Invalid Colubrine Frauds") einmal abgesehen randalieren die Illegals fast ausschließlich in entweder höllisch schnellen oder technisch diffizilen Gefilden. Nahezu unhörbar zwar, aber wenigstens vertrackt.
Gut möglich, dass die Bande einiges zustande brächte, wäre sie nicht so fokussiert darauf, um jeden Preis extrem sein zu wollen. Einen Vorteil hat das Endergebnis aber: Man muss beim Hören der Musik von "Weißwein"-Trinker Anselmo in diesem Fall nicht zwischen Künstler und Kunst trennen – schon aus geschmacklichen Gründen empfiehlt sich, die Finger davon zu lassen. Hoffentlich sieht das beim ebenfalls für dieses Jahr angekündigten Grunge-Album wieder anders aus.
2 Kommentare mit einer Antwort
Ah, Arm-hoch-Phille liefert also wieder ab.
Keine Ahnung, wie viel Weißwein man benötigt, um diese Platte halbwegs gut zu finden.
3,5 Flaschen