laut.de-Kritik

Für das Lehrbuch des Prog-Rock komponiert, aufgebaut und gespielt.

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Man hört Steven Wilson reden, liest sich seine Lyrics durch und merkt, dass man älter wird. Die Frage, was für eine Art von Mensch diejenigen abgeben werden, die momentan in der Pubertät stecken, ist das große Thema des an Public Enemy erinnernden Albumtitels "Fear Of A Blank Planet". Die Covergestaltung mit dem Gesicht eines Jungen ohne erkennbare Pupillen, dafür mit milchig glänzender Iris wirkt schon beängstigend genug und erinnert an so manchen Horror-Film. So apokalyptisch dieses Bild, so pessimistisch sind auch Wilsons Zustandsbeschreibungen der vermeintlich gefühl- und ziellosen und vernachlässigten Jugend.

Dabei setzten Porcupine Tree den Trend fort, kein Album wie das vorherige klingen zu lassen. Die 51-minütige Reise widerlegt alle Befürchteten, dass sich die Briten - nicht zuletzt aufgrund des Labelwechsels zu Roadrunner - in eine zu metallische Richtung bewegen würden.

Gut, der Titeltrack nimmt nach etwa eineinhalb Minuten deftig Fahrt auf und unterstreicht mit bedrohlich klingenden Riff-Folgen den zombieartigen geistigen Lähmungszustand des heranwachsenden Protagonisten. Die kulturpessimistische Sicht unserer adoleszenten Rotznasen mag übertrieben ausfallen. Wenn sie einen jedoch nach und nach akustisch gefangen nimmt wie im vorliegenden Falle, schaut man dem gesellschaftlichen Untergang dennoch mit einem feisten Grinsen ins Gesicht.

"My Ashes" stutzt die entfesselte Furie mit Klavierklängen, dezent eingesetzten Streicherarrangements und entsprechend pathetischem Refrain auf ein Normalmaß zurück. Als abkühlendes Moment erfüllt das ungefähr denselben Zweck wie seinerzeit "Lazarus", nur um einiges filigraner in Szene gesetzt. Wo wir gerade beim Vergleich mit dem Vorgänger sind. Das 2005er-Monster "Arriving Somewhere But Not Here" findet seine Entsprechung in "Anesthesize". Das plumpe Wiederholen bereits erprobter Schemata hört sich jedoch anders an. Nicht zuletzt hier offenbart sich der raumgreifende Aspekt der Kompositionen und deren differenzierte Ausgestaltung, die das Warten auf den Surround-Mix schon fast zur körperlichen Pein machen.

Ein Glockenspiel, ein dengelnder Gitarrenlauf und Gavin Harrisons Tom-Drumming läuten im wahrsten Sinne des Wortes das zentrale Stück des Albums ein. Sehnsüchtige Klänge sowie Wilsons klagende Stimme prägen den Beginn. Langsam, aber stetig baut sich eine Stimmung der Hilflosigkeit auf, die sich hoch wie ein Berg auftürmt und nach knapp drei Minuten in einem wahrhaft endzeitlichen Distort-Exzess entlädt. Der dosierte Einsatz mächtiger Riffs unterstreicht dies zusätzlich. Nach fünf Minuten Spielzeit schieben sich die Gitarrenparts links wie rechts wunderbar gegenseitig an und geben eine Vorahnung auf das 5.1.-Erlebnis, das noch auf uns wartet. Später legt der Song abermals an Dynamik zu.

"We're lost in the mall, shuffling through the shops, like zombies"

Was sich liest wie aus dem Hirn eines Endzeit-Propheten entsprungen, kleiden Porcupine Tree in entsprechende Töne; quasi für das Lehrbuch des Prog-Rock komponiert, aufgebaut und gespielt. Da passen heftige Gitarrengewitter und Bassdrum-Attacken ebenso ins Programm wie die letztendliche Auflösung des akustischen Wirbelsturms. Dennoch sind wir hier lange noch nicht am Ende. Mehrstimmige Gesangspassagen und pink floydeske Licks lassen dieses Prachtstück ganz langsam ausklingen. Was soll jetzt noch kommen?

Nun, vielleicht ein kleines Selbstplagiat? "Sentimental" ist zwar wunderbar anzuhören und klingt wunderbar nach seinem Titel, aber ich brat mir einen Storch, wenn die Riffs kurz vor Schluss nicht verdächtig nach "Trains" klingen. Neben dem Vorgänger-Übersong klingt das eventuell etwas blass, aber eine weitere Ausnahmenummer in der Art von "Anesthesize" wäre eventuell zu viel des Guten. "Way Out Of Here" legt - was Atmosphäre und Dynamik anbelangt - wieder einen Zacken zu, lässt aber metal-lastiges Geschredder und Melodie im trauten Nebeneinander existieren. Den Vorwurf aus der Fangemeinde, heftigeres Klampfen-Gebratze passe nicht ins akustische Gesamtbild, klingt angesichts dessen wie kleinkariertes "die alten fand ich ja ganz gut, die neuen nicht"-Geplärre.

Dasselbe Schicksal droht auch dem abschließenden Track "Let's Sleep Together". Weshalb? Nun, einigen Gralshütern dürfte das schon wieder zu straight sein, obwohl sich der Kehraus hervorragend ins Gesamtkonzept des Albums einfügt. Mit orientalisch anmutenden Streicher-Sequenzen und einem stärkeren Fokus auf industrial-lastige Sounds rundet er das Bild der Scheibe sogar noch ab, quasi das relativ einfach zu bastelnde, aber immer noch wohlschmeckende Sahnehäubchen.

Wenn Wilson ein Geheimrezept in sich trüge, mit dem man seinem Back-Katalog ein hervorragendes Album nach dem anderen hinzu fügt, der Mann müsste um seine körperliche Unversehrtheit bangen. Aber da diese Weisheit in seinem Hirn unzugänglich begraben liegt, bleibt uns nichts anderes übrig, als auf den nächsten Output zu warten.

Trackliste

  1. 1. Fear Of A Blank Planet
  2. 2. My Ashes
  3. 3. Anesthesize
  4. 4. Sentimental
  5. 5. Way Out Of Here
  6. 6. Sleep Together

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