laut.de-Kritik

Nach Haus oder ins Heim?

Review von

"Nach Haus", rufen Fußballfan, Konzertgänger und andere Arten lustiger Trunkenbolde, geht man eigentlich gar nicht so gerne. Nun ist Reinhard Mey aber 81 und "Nach Haus" sein 29. Album (sogar das 60. inklusive Live-Alben und fremdsprachiger (Cover-)Werke). Da stellt sich die Frage des weiteren Weges unmittelbar und deutlich, ob man will oder nicht. Mit "In Wien - The Song Maker" hatte der alte Unsympath, die Offenheit sei hier erlaubt, seine Stärke erneut nachgewiesen, nun überprüfen wir, ob er diese auf "Nach Haus" im bewährten Team mit Produzent Manfred Leuchter ebenfalls so gekonnt ausspielt.

Zu diesen Stärken zählt vor allem seine Fähigkeit, die Hörerschaft hypnotisch in seinen eigentlich schon immer mies gelaunten Singsang zu wickeln, ein deutscher Sun Kil Moon. Das zeigt schon der Opener "Das Raunen In Den Bäumen". Da säuselt der Berliner von Jahren, die vorbeiziehen, von Augenblicken der Liebe, die man nicht festhalten oder verstehen kann.

"Nichts Ist Für Immer" ist eigentlich das gleiche Lied. Zum Schluss darf sogar Vater Mey als Figur nicht fehlen. Die Stimme sitzt, der im Alter höhere Sprechanteil stört nicht. Das Gitarrenspiel ist komplex und kompetentes Handwerk, ohne wie bestellt zu klingen. Das große Songwriting vergangener Jahre, das er auf Live-Alben demonstriert, ist nicht dabei, dafür sind "Du Hast Mich Getragen" oder "Du Kannst Fliegen" (gemeint bist nicht du, sondern Mey selbst, der hier unironisch eine Hommage an sein visionäres Schulbuben-Ich schreibt, das seinen Klassenkameraden einfach um Lichtjahre voraus war - man kann sich den Typen nicht ausdenken) zu lieblich. Mehr als solide schneidet der leicht uniforme Sound aber auf diesen klassischen Mey-Songs ab, vom kitschigen "Die Legende Von Den Liebenden" abgesehen.

Und einige musikalische Highlights gibt es eben doch. Das zeigt "Beef Und Lobster", in dem man lächelnd zur Kenntnis nimmt, wie stilsicher Mey oft bemühte Elemente nach wie vor beherrscht, wenn er denn nur will: Die angenehm platzierte Pause im Nacherzählen von Dialogen ebenso wie die Einnahme der Sichtweise eines Arbeitenden, eines Arbeitsmigranten gar. Die Harmonika ist auf diesem Lied wunderschön, das atemlose Pfeifen des Sängers sowieso. Sozial-Folk ohne Peinlichkeit ist 2024 quasi unmöglich, Mey gelingt es hier. "Misere Mei" ist grotesk, satirisch überhöht präventiv selbstmitleidig, man kann es kaum glauben, aber der Song hat Struktur und einen Verlauf, und schon hat der Musiker Mey richtig Bock und das Ding dermaßen im Griff, dass es eine Freude ist. Leider bleibt es bei dem Pärchen Hochgenuss.

Die Schwächen waren bei "Wien" erträglich, alleine schon wegen der Menge der Songs auf dem Album. Der störrische, unverrückbare Glauben an die eigene intellektuelle Überlegenheit, die eine Auseinandersetzung mit den anderen unmöglich, da sinnlos, macht, gehört auf jeden Fall dazu. Das musikalisch zu barocke "Zwischen Kontrollpunkt Drewitz Und Der Brücke Von Dreilinden" und "Lagebericht" auf einem Album zeigen die Verwirrung des Musikers schonungslos auf.

DDR hier, Plastikflaschen, Öko-Diktatur, Klima-Dystopie, Fußball und Hunger in Afrika, Regierungs-Uboot in der BRD 2042 dort; für Mey alles dieselbe Suppe, derselbe Kampf: Er gegen die Eliten, gegen die Unfreiheit. Genauer: seine Unfreiheit, denn die Schwachen und Armen interessieren ihn nach wie vor null, es gibt kein politisches Konzept und keine Empathie, nur den Glauben an die eigene abstrakte Überlegenheit. Der Song dazu ist lachhaft schwach und hört sich an, als würde Konstantin Wecker in einem allerersten Take die 80er-Phase von Leonard Cohen covern wollen. Wie das mit "Beef Und Lobster" aufs selbe Album passt, kann fast nur noch schizoid erklärt werden.

Der sich griechisch-balkanesisch gerierende Sound von "Verschollen" findet nirgendwo hin, und die repetitive Litanei übers Krieg-Nicht-Wollen ist an sich trotz der mittlerweile von breiteren Schichten anerkannten komplexen Gemengelage in Kriegsgeschehen legitim, nur will Mey den Kuchen haben und ihn essen gleichzeitig. Die politische Auseinandersetzung scheut er, "Verschollen" will sich eigentlich auf das Nicht-Wollen beschränken, aber dann kann Mey doch nicht widerstehen, in die Handlungen und den Hintergrund des Charakters einzusteigen, der dann aber viel zu flach bleibt. Musterbeispiel ist die nur wenige Sekunden lange Erzählung über die beiden Brüder des Soldaten, die innert kurzer Zeit abgekanzelt werden und wie alle Emotionen des Songs Fremdkörper bleiben.

Die achteinhalb Minuten Lebenszeit für "Questo Tavolo Non Si Vende" bekommt ihr nicht wieder. Das Lied handelt von einem Winzerausflug Meys. Es gibt einen Unterschied zwischen "Alltäglichem" im Sinne einer erdverhafteten, nachvollziehbaren Sozialkritik und "Reicher Dude erzählt von seinem Tag", denn beim zweiten rutscht man schnell in eine Art langweiligerer teutonischer Jeremy Clarkson rein. Das passiert hier.

Neben den elf Solosongs gibt es ein Duo mit Hannes Wader, auf dem dieser die Musik beisteuert: "Zwei Musketiere" ist okayer Mittelalter-Country, der Abstieg von Wader wird hier, wenn nicht zum ersten Mal, im Vergleich zum deutlich fitteren Mey aber um so deutlicher. Der Schwiegersohn Matthew Pearn darf auf "Black And White 1945" ran. Das Cover von Mike Silver und Ross Brown zerrt Mey weit in den eigenen Songkosmos, was mit Ausnahme des schönen Akkordeons nicht aufgeht. "Schlendern" ist ein Wecker-Cover, das in dessen Ouevre schon keine herausgehobene Position einnimmt. Wo Wecker zum Schluss aber bedrohlich dröhnt, holt Mey die Feenflöte raus und nimmt dem Lied damit die Ecken. "Nota Bene"s Musik stammt von Händel (nein, das ist keine Halbe-Hendl-Foodtruck-Kette), Mey spricht hier nur, was langweilt.

"Nach Haus" hat zu viele Filler und zu wenig Gefühl. Vielleicht beim nächsten Mal neue Lieder live aufnehmen?

Trackliste

  1. 1. Das Raunen In Den Bäumen
  2. 2. Beef Und Lobster
  3. 3. Zwischen Kontrollpunkt Drewitz Und Der Brücke Von Dreilinden
  4. 4. Verschollen
  5. 5. Questo Tavolo Non Si Vende
  6. 6. Nichts Ist Für Immer
  7. 7. Zwei Musketiere
  8. 8. Die Legende Von Den Liebenden
  9. 9. Du Hast Mich Getragen
  10. 10. Miserere Mei
  11. 11. Du Kannst Fliegen
  12. 12. Lagebericht
  13. 13. Black And White 1945
  14. 14. Schlendern
  15. 15. Nota Bene

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9 Kommentare mit 14 Antworten

  • Vor 7 Monaten

    Warum so bissig?
    Alleine schon die Frage „nach Hause oder ins Heim?“ ist aufgrund seines hohen Alters einfach nur unverschämt.
    Über die Stones konnte ich so einen tollen Witz hier noch nie lesen.

    Anscheinend hat der Gute wohl auch den ein oder anderen Punkt eingebüßt weil er sich nicht politisch genug geäußert hat.
    Schwach!

    • Vor 5 Monaten

      Die Stones wird der Autor mögen und den Mey eben nicht.
      ebenso @Rinkster auch jemand der meint weil er etwas nicht mag muss es automatisch schlecht sein. Okay..wenn er meint.

  • Vor 7 Monaten

    Franz, freu dich schon drauf wenn du in 10 Jahren vom ganzen Keta durch nen Katheder pissen musst und dann irgend eine arme Wurst im Internet von deinem "Abstieg" spricht.

  • Vor 7 Monaten

    Ich finde es schade, dass ein verdienter Musiker, der seit fast 60 Jahren anspruchsvolle deutsche Musik abliefert und hier seine Abschiedsvorstellung mit 81 Jahren gibt, einfach mal vom Großteil der Community zerrissen wird. Ob man seine Musik mag oder nicht, vielleicht wäre ein gewisser Respekt angebracht. Meiner bescheidenen Meinung nach hat er ein beeindruckendes Gesamtwerk vorzulegen und ein paar wirklich schöne Lieder fabriziert. Einige Lieder (z.B. "Das Raunen in den Bäumen") des neuen Albums berühren mich, weil sie eine schöne Reflexion über das Leben darstellen. Aber das ist natürlich nur meine bescheidene Meinung....

    • Vor 5 Monaten

      So ist das hier und überall. Für sich selber Respekt einfordern den man anderen verweigert.
      Ausserdem kann man hier folgenlos über andere herziehen und sie mehr oder weniger nieder machen.
      Den eigenen Geschmack geschmacklos wie eine Monstranz vor sich hertragen.

    • Vor 2 Monaten

      Entitelte Kartoffeln, der einmillionste Take...