laut.de-Kritik

Eskapismus und Experiment im munteren Wechselspiel.

Review von

Mit dem hoffnungsvoll schwingenden und treibenden "Peace Sign" sendeten Ride am Anfang des Jahres einen poppigen Vorboten ihres mittlerweile siebten Albums "Interplay": Ähnlich wie fünf Jahre zuvor, als sie mit dem herzlichen schwärmerisch schönen "Future Love" das Werk "This Is Not A Safe Place" angekündigten, das nach dem ersten Comeback mit "Weather Diaries" (2017) mehr Experimente wagte, ist auch "Interplay", wie der Name bereits ankündigt, vom Thema Wechselspiel geprägt.

Die Shoegaze-Legenden haben schon immer mal die bewährte Wall-Of-Sound-Formel verlassen und mit Psychedelic, Synthpop, Jangle oder Sixties-Vibes gespielt – leider auch in Richtung (straightem) Rock mit "Tarantula" aus dem Jahr 1996, bevor sich die Band auflöste. Nach 21 Jahren dann das fulminante Comeback – ähnlich wie bei den Kollegen von Slowdive – samt später Genugtuung und Gerechtigkeit ob des massiven Einflusses der Acts auf spätere Musikerinnen und Musiker.

Dazu jede Menge Liebe der Gen Z, die das Shoegaze-Genre wieder entdeckt. Mittlerweile sind auch Ride in ihrer zweiten Bandphase länger zusammen als in den 90er Jahren, und die neuen Songs entfernen sich immer mehr vom klassischen Gitarrenmeer und hallenden Sound.

Zwar brechen manche Lieder wie das verträumte "Light In A Quiet Room" gegen Ende in ein Noise-Feuerwerk aus, aber vieles klingt sehr strukturiert und auch clean. "Monaco" ist Pop pur mit Dark-Eighties-Anstrich, und "Last Frontier" hat sich im Drumpart vielleicht ein bisschen zu sehr bei "Love Will Tear Us Apart" bedient.

Überhaupt hört man vielen Tracks an, dass sie stark von Acts wie Tears For Fears oder Talk Talk inspiriert sind. Am meisten geprägt ist "Interplay" aber von dem internen Zusammenspiel und der Chemie zwischen den Musikern, die das Album sogar als "Überlebensalbum" bezeichnen – entstanden während Lockdowns und einem üblen Rechtsstreitigkeit mit einem alten Manager.

Doch wie sie im flirrenden Track "Stay Free" singen, blieben sie frei und freundschaftlich verbunden: "Stay Free, Stay Free, If You Can, Stay Free, Stay Golden Stay Free, Turn Away From The Darkness Surrounding You, Stay Free, Stay Awake, And Don't Surrender". Und das ist dann auch das Grundthema dieses Albums, dieser Band – und vielleicht sogar dieser "scene that celebrates itself" (wie der frühe Shoegaze auch genannt wurde) – das Überleben in einer Musik, die oft nicht wie von dieser Welt klingt, aber dennoch die Welt bedeuten kann.

Im Falle von Ride bedeutet es, dass hier eine Band alle losen Enden, alle Erfahrungen gebündelt hat und in abwechslungsreiche, dichte Songs gepackt hat, so dass "Interplay" die hypnotischen Melodien und Gitarren mit verspielten Aspekten versieht und durch die Songs Synth-Elemente, psychedelischer Folk, Mystik-Spielchen und elektronische Beats ziehen. Ein Album, in dem Eskapismus, Sehnsucht und Melancholie genauso fließen wie Beharrlichkeit, Zusammenhalt und Energie wabert.

Neun Jahre nach ihrer Wiedervereinigung reisen Ride weiter und hinterlassen uns diese tröstende Erkenntnis: "Yesterday is just a song", und jetzt, möchte man hinzufügen, jetzt und in Zukunft ist immer diese Musik da.

Trackliste

  1. 1. Peace Sign
  2. 2. Last Frontier
  3. 3. Light In A Quiet Room
  4. 4. Monaco
  5. 5. I Came To See The Wreck
  6. 6. Stay Free
  7. 7. Last Night I Went Somewhere To Dream
  8. 8. Sunrise Chaser
  9. 9. Midnight Rider
  10. 10. Portland Rocks
  11. 11. Essaouira
  12. 12. Yesterday Is Just A Song

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Ride

"First you look so strong / then you fade away." Mit diesen Worten eröffnet Andy Bell, Gitarrist und Sänger, die Ride-Single "Vapour Trail" und nimmt …

1 Kommentar