laut.de-Kritik
London bei Nacht.
Review von Manuel Rauthe"I Can't See The Sun" eröffnet das Album, und Sonne gibst hier wirklich keine zu sehen. Trotz reicher Klangkulisse ist das Album weit weg davon, bunt zu klingen. Die Welt, in die es den Hörer entführt, ist in graue Nacht gehüllt. Eine Nacht zum schwelgen, Kapuze aufsetzen, durch die Seitengassen Londons schlendern und dabei eine Zigarette rauchen.
Der Newcomer aus England macht Musik, die man als "alternative" bezeichnen kann, wenn man es sich leicht machen möchte. Aber Alt-Was? Keine Ahnung. Ein bisschen Pop, ein bisschen Rock, ein bisschen Punk, gerne mit vorgesetztem 'Post-'. Die Songs bestehen aus so vielen verschiedenen Elementen, da ist von wirklich allem was dabei.
Bereits "I Can't See The Sun" beansprucht vermutlich mehr Mixingkanäle als andere Artists auf Albumlänge. Angeführt werden die Songs meist von einem simplen, den restlichen Mix durchschlagenden Drumgrove, dem folgt ein mal mehr, mal weniger verzerrter Bass. Diese Elemente werden dann von allen Richtungen mit Klängen beworfen. Andere Instrumente, synthetischen Sounds, Gesangsspuren und Klangtexturen schwirren gelayert und in Hall getränkt um die Drums herum. Irgendetwas wabert, fließt, raschelt, rauscht und piept immer im Hintergrund, oder Vordergrund. Das geht auf Kosten der Klarheit, Ohrwürmer gibt das Projekt eher weniger. Was es dafür bietet, sind immersive Soundcollagen, die voll vereinnahmen und in ihren Bann ziehen. Treffend bezeichnet der Promotext zum Album das als "Werk, bei dem weniger der einzelne Song im Vordergrund steht, als das Gesamtwerk, der Klang".
Die Art, wie Sam Akpro mit Sound umgeht, lässt Parallelen zu Jpegmafia erkennen, wenn auch beide völlig unterschiedliche Genres bedienen. Beides ist Musik, die erst mit Kopfhörern ihre volle Wirkung entfaltet. Beinahe könnte man meinen, man hat es mit stinknormalem Indie-Pop/Rock zu tun. Wie viel da eigentlich passiert, wie eigenartig die Musik doch in Wirklichkeit ist und in wie viele Spuren und Einzelteile sie sich Aufdröseln lässt, wird erst bei genauem Zuhören klar. Auch, dass hinter all dem die Vision eines einzelnen Künstlers steckt, ist nicht zu überhören. Das Album ist von vorn bis hinten aus einem Guss. Mit einer Ausnahme wurden die Songs allein von Sam Akpro geschrieben und Co-Produced, nur "Death By Entertainment" hat Co-Writing-Credits.
Es passt, dass das Album das Debüt eines jungen Artists ist. Mann spürt die kindliche Freude und Faszination für die Möglichkeiten der digitalen Tonbearbeitung, wie stundenlang an Knöpfen, Reglern und Effekten herumgespielt wurde. Der Spaß kommt beim Hörer an und zieht den in den Sog dieser verschrobenen Welt. Es macht nur Sinn, dass Sam Akpro J Dilla als große Inspiration angibt.
Obwohl er mit seiner leicht heiseren Stimme meist gefühlvoll und gemächlich über die schwebenden Instrumentals singt, trägt das ganze Projekt eine gewisse Roughness in sich, irgendetwas cruncht und übersteuert immer. Manchmal ist der Sound als Resultat daraus etwas matschig, was aber eher kreative Entscheidung als Versehen ist. Die Maxime "Weniger ist mehr" lehnt das Album entschieden ab, es wird gelayert, bis gestopft werden muss.
Manche Tracks, unter anderem "Death From Entertainment" erinnern an Genesis Owusu, wenn auch mit weniger Nachdruck bei der Vocal Performance. Generell liegt der Gesang nie ganz vorn im Mix, den Text zu verstehen ist mit leichter Anstrengung verbunden, dazu lädt die Musik viel zu sehr zum Abdriften und Träumen ein, zu viele andere Elemente werben um Aufmerksamkeit.
Auch wenn eher der komprimierte Mix und das raue Sounddesign, als Songwriting, die Songs von verträumtem Indie-Pop hin zur Punkästetik transformieren, sind die Ohren hinten raus doch ganz froh um weitere entschleunigte Momente. Das Highlight ist für mich "Baka". Hierbei handelt es sich um den einzigen Ambienttrack des Albums, statt Drums und Gesang gibt es nur eine atmosphärisch dichte Soundcollage, die sich aus unterschiedlichsten Elementen aufbaut, dann übersteuernd und rauschend bricht wie eine Welle. Daraus steigt ein ätherischer Chor mit psychedelischen Gitarrenklängen empor. Auch das Outro "Cornering Lights" geht es noch mal ruhiger an und spült den Hörer nach dem Eintauchen in die Tiefe sanft an das Ufer zurück.
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Das einzig wahre "London bei Nacht" ist in Tomb Raider 3 zu erkunden.