23. April 2020
"Empathie? Jeder denkt an seinen Arsch"
Interview geführt von Dominik Lippe"RRRAAAHHH!" tönt es lautmalerisch aus den Boxen. Shadow030s drittes Album sollte angemessen wütend und wuchtig in den Markt einschlagen. Doch das Wenigste lässt sich dieser Tage planen.
Die allgegenwärtige Corona-Krise verzögerte im Frühjahr nicht nur die Album-Veröffentlichung, sondern sabotierte gleich noch die "Silla Instinkt 2"-Tournee mit seinem Südberliner Kollegen. Doch in Shadow030s Welt existiert kein Spielraum für Ausreden, selbst wenn ihm höhere Gewalt in die Pläne grätscht. "Wir leben in einer Welt, in der Resultate zählen und nicht dein Gerede", erklärt er Anfang April im Interview.
Der selbstdisziplinierte Berliner zeigt sich für lange Durststrecken gerüstet. Er kann problemlos auf ein weiteres Album in seiner digitalen Schublade verweisen. Nun steht zunächst einmal der Nachfolger zu "Schwarzer Hoody" und "13439" an. Während Ausgangsbeschränkungen das Land im Griff haben, nutzt Shadow030 die Zeit für ein telefonisches Gespräch über "RRRAAAHHH!", die schwarze Community, Mode-Boutique-Musik und Empathie in Zeiten der Pandemie.
Wie hat euch die Pandemie in euren Plänen beeinflusst?
Die Promo-Phase wurde lahmgelegt. Das hat damit zu tun, dass die Leute zu Hause bleiben sollen und auch viele Betriebe zugemacht haben. Deswegen ist es ein bisschen schwer, Videos zu drehen und Singles raushauen. Ich bin ein Typ, der sich dadurch nicht unterbuttern lässt. Ich mache immer weiter, indem ich zum Beispiel von Zuhause aus Videos mache. Und man hat ja zum Glück auch vorgearbeitet. Immer mehr machen, als verlangt wird. Das ist eine gute Devise. Ich habe zig tausend Songs, die ich als Entschuldigung dafür raushauen kann, dass sich alles verschoben hat.
Es gibt ja allerhand Hilfsmaßnahmen für Freischaffende aus Kunst und Kultur. Wie erlebst du das im Moment? Tauscht du dich mit Kollegen dazu aus? Kennst du Leute, die das in Anspruch nehmen?
Nein, ich tausche mich nicht aus. Ich kenne ein paar, die das machen. Das ist auch gut, da das ganze Business ja unter dieser Krise leidet. Aber ich quatsche nicht darüber. Es gibt wichtigere Sachen, finde ich zumindest.
Dann ist ja auch deine Tournee mit Silla ausgefallen. Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?
Wir kennen uns schon länger. Dahinter steckt jetzt keine große Geschichte. Er hatte mir geschrieben, dass er eine Tour macht und einen Support haben möchte. Da hat er an mich gedacht.
Du hast Silla schon vor drei Jahren als ein Vorbild unter den deutschen Rappern bezeichnet. Dann warst du auf "Silla Instinkt 2" und zusammen mit ihm auf dem Freshmaker-Album "No Limit". Was gefällt dir an seiner Musik?
Vorbild? Ich habe keine Vorbilder. Mein Vater ist mein Vorbild, keiner sonst. Aber seine Stimme ist markant, das habe ich gefeiert. Und er hat eine gute Lyrik. Meines Erachtens hätte er mit seiner ganzen Personality auch viel weiter oben stehen können. Das würde ich ihm auf jeden Fall gönnen.
Was denkst du, was es verhindert hat, dass er weiter nach oben gekommen ist?
Ich glaube, er hatte viele falsche Menschen in seinem Umfeld. Was ich mir rein von außen betrachtet anschaue, wurden musikalisch wie persönlich viele falsche Entscheidungen getroffen. Aber ich bin nicht in seinem Kopf. Es ist heutzutage auch wichtig wie wir uns im Internet präsentieren. Das kann dich nach oben katapultieren oder nach unten ziehen. Du musst selbst entscheiden, was für deine Marke gut ist und was nicht.
Du hast viel mit Personen aus dem ehemaligen Fler-Umfeld zu tun. Sowohl die Hijackers als auch Silla und Jalil sind auf "RRRAAAHHH!". Meistens äußerst du dich ja nicht zu Debatten, aber mich würde interessieren wie du zu Flers Zeilen gegen Jalil stehst ("Im Apple-Store warst du ein Slave, bei mir dann 'Django Unchained'")."
Ich kann nur sagen wie ich handeln würde. Ich würde das direkt ohne Internet klären. Aber wie du gesagt hast, äußere ich mich nicht zu Debatten. Ich habe eigene Sorgen.
Erlebst du ganz allgemein Rassismus im Rap?
Was heißt Rassismus? Wenn du Musik machst, hast du es als Schwarzer in der deutschen Rap-Szene schwer. Ich ziehe keine Rassistenkarte. Das ist normal. Die Szene wird ja von Arabern und Türken dominiert. Die schwarze Community ist nicht so groß, aber deswegen darfst du dir nicht sagen: Ich kann es nicht packen. Alles was ich in meinem Leben geschafft habe, habe ich durch harte Arbeit erreicht. Wenn du in der Situation bist, in der du doppelt arbeiten musst, dann ist das so. Wenn du nur sitzt und herumheulst, dann wundere dich nicht. Die Black Community ist nicht so groß, aber es wird immer besser.
50 Cent hatte damals auch hier einen großen Hype. Würdest du denn sagen, dass schwarze, deutsche Rapper nur die schwarze Community bespielen?
Das kannst du nicht vergleichen. 50 Cent ist ja ein Weltstar. Er rappt auf Englisch, ich rappe auf Deutsch. Das ist wieder was anderes. Wenn du auf Deutsch sprichst, dann ist die Community auch anders. Die schwarze Community ist nicht so groß wie manch andere, aber trotzdem kannst du das durchziehen.
"Auf der Straße weiß man, wer der König ist."
Du hast gesagt, du versuchst die Streitigkeiten nicht zu verarbeiten und in die Öffentlichkeit zu tragen. Da wundere ich mich bei dem "Intro", dass du viele vage Andeutungen über Kollegen machst. Zum Beispiel sprichst du über Leute, die Feature-Anfragen absagen. Warum bist du so in das Album eingestiegen?
Was ich gerappt habe, ist so gewesen. Wenn ich auf dem Nacken eines anderen nach oben gehen möchte, dann nenne ich ja Namen. Ich nenne aber auch hier im Interview jetzt keine Namen. Es ist so, dass es viele Leute gibt, die ein Feature machen wollten, es aber dann nicht gemacht haben, weil ich neben denen zu präsent bin. Ich kriege auch von meinem Umfeld die Nachricht: Der will nicht so viel Energie. Als ich das das erste Mal gehört habe, habe ich auch komisch geguckt. Aber wenn du dir ein gewisses Bild erschaffen hast und dann einen Song mit jemand anderen machst, dann ist es so, dass auch deine Followerschaft guckt: 'Was ist denn das? Der hat ja viel mehr Energie.' Deswegen steige ich so ein.
Wie andere Rapper auf dich reagieren, ist ja eigentlich recht trivial. Warum verbindest du das im "Intro" mit dem sehr ernsten Thema des Todes deines Vaters?
Ich schreibe nach Gefühl. Ich bin Künstler. Wenn ich drin bin, schreibe ich Zeile für Zeile, was mich gerade emotional bewegt. Da gibt es kein Geheimrezept oder eine Struktur. Das ist Rap. Man sagt einfach, was man gerade im Kopf hat. Wenn es jemanden nicht passt, ist es nicht mein Problem. Aber ich habe das in diesem Moment gefühlt und mir gedacht: 'OK, das muss jetzt hier rein.'
Bestand denn auch die Idee, dieses persönliche Thema über deinen Vater auf dem Album größer auszubauen und vielleicht ganze Songs darüber zu machen?
Nein, auf keinen Fall. Ich mache ziemlich oft Handy-Videos auf Instagram. Da kommen auch immer wieder Zeilen dazu, weil es einfach in meinem Herzen und meinem Kopf ist. Das ist ein Teil meines Lebens, der mir genommen wurde. Aber ich will es nicht so krass breittreten, weil das einen ekeligen Beigeschmack kriegt. Dass ich mit dem Tode meines Vaters Geld machen will. Und das werde ich auf keinen Fall. Auch wenn mir jemand sagt, dass es meine Reichweite um das dreifache vergrößern würde. Wen juckt es? Reichweite ist ein Scheiß wert gegen den Stolz und die Ehre meines Vaters.
Ja, absolut, das sehe ich auch ein. Es ist aber eine der wenigen Stellen, in denen du wirklich als Person greifbar wirst. Die Inszenierung ist laut und stimmig, aber eine Person kommt eigentlich nicht zum Vorschein.
Das ist deine Ansicht. Es ist ja keineswegs so, dass ich die ganze Zeit herumbrülle. Ich habe auch sehr viele Songs auf dem Album, auf denen ich ein bisschen ruhiger rappe. Was ich thematisiere trifft ja auch nicht auf alle zu. Das darf man nie vergessen. Von den Leuten, die das hören und verstehen, gibt es zigtausende in Deutschland, Österreich, der Schweiz und der Welt. Und sie werden auch immer mehr. Deswegen wächst auch meine Fanbase. Die Frage ist bloß: Wie verpackst du diese Songs? Wie verpackst du die Thematik? Straßenmusik ist in Deutschland ganz groß. Ein Hit ist, wenn du einen Song machst, der auf deine Person zugeschnitten ist und durch die Decke geht. Leute denken, ein Hit müsse eine gesungene Hook von einer Frau haben, ein bisschen Pop-Melodie und gar keine Ausdrücke – was für ein Bullshit! Guck dir Haftbefehl an. Er holt Gold mit dem Song "Chabos Wissen Wer Der Babo Ist". Auf der Straße weiß man, wer der König ist.
"Quarantäne bedeutet in Deutschland fließendes Wasser, Strom, Internet, offene Läden. Bei Quarantäne in anderen Ländern wissen die nicht mal, ob sie am nächsten Tag noch leben."
Spannend fand ich den Song "Unerwünscht". Da heißt es: "Leute wie wir passen nicht ins Profil. Wir sind unerwünscht. Deswegen vermeiden die meisten die Reichen und bleiben nur unter sich." Du beschreibst damit grob die Erfahrung, auf eine andere soziale Schicht zu treffen und nicht reinzupassen. Wo ist dir das begegnet? Und welche Erfahrungen hast du gesammelt?
Wenn du richtig hinhörst, geht es auch darum, wenn du vor dem Türsteher stehst und er dich wieder mal nicht in den Club reinlässt und sich dann wundert, wenn es nach dem fünften Mal eskaliert. Ich hatte schon die Situation, dass ich von der U-Bahn-Station hochgelaufen bin, mich hinten an die Schlange vor dem Club gestellt habe und er meinte schon von hinten: 'Ihr fünf nicht!' Ist normal, dass man anfängt zu diskutieren. Und dann gibt es meistens Probleme.
OK, das ist auch ein gutes Beispiel, aber ich habe damit noch etwas anderes assoziiert, weil du ja 'die Reichen' erwähnst. Erlebst du es auch, dass du zum Beispiel in der Musikindustrie auf Leute triffst, die schon von Geburt an wohlhabender sind und dich deswegen anders behandeln?
Das gibt es nicht nur in der Musikindustrie, sondern im Allgemeinen. Es ist ja kein Geheimnis, dass zumindest bei den meisten Geld den Charakter formt. Wenn die schon mit goldenem Löffel im Arsch geboren sind, fühlen die sich meistens besser als jemand, der wenig oder nichts hat. Denkst du, du bist was besseres, nur weil dein Konto gefüllt ist? Natürlich gibt es auch viele, die nicht so sind. Aber wenn du in den Blocks aufgewachsen bist, dann kriegst du die volle Packung zu spüren. Und dann wollen die halt in deren Kreis bleiben. Wenn die dann in unseren Kreis kommen, ist die Sicht anders. Da juckt es keinen, ob du Prada oder sonst etwas trägst.
Du sagst auch in "Crime": "Verpiss dich mit dei'm Prada." Hat das überhand genommen im Rap?
Ja, die Mode-Boutique-Musik hat schon überhand genommen. [lacht] Aber es gibt auch Leute, die diese Musik machen, die ich feiere. Es gibt auch Leute, die sich damit brüsten, aber einen Scheißdreck davon haben. Wenn du die ganze Zeit darüber Musik machst, dass du in einem Lambo sitzt, aber ich dich morgen in der S-Bahn treffe, dann frage ich mich, was für ein Blender du bist. Das macht einfach das Bild kaputt. Wenn ich in der Bahn sitze und Leute aus meiner Fanbase treffe, dann sagt keiner was. Die kommen zu mir, um ein Foto zu machen, obwohl ich mit denen gerade in der Bahn sitze. Ohne dabei Namen zu nennen, sage ich dir ganz ehrlich: Es gibt viele, bei denen es nicht mehr so gut läuft, die sich schämen, Bahn zu fahren. Deswegen fahren die auch nicht, sondern laufen oder warten, bis sie jemand abholt. Ich brauche mir keine Sorgen machen. Es ist scheißegal, ob ich Auto oder Bahn fahre. Das ist die Freiheit, die sich viele genommen haben.
In "Dresscode" nennst du als Eigenart deiner Umgebung: "Empathie ist hier unten ein' Scheiß wert. Trotzdem bleibt der Block meine einzige Heimat." Würdest du dich nicht als empathisch bezeichnen?
Doch schon, aber es kommt darauf an, wem gegenüber du Mitgefühl zeigst. Du darfst nicht jedem Gesicht zeigen. Was als vermeintliche Schwäche angesehen wird, wird dir meistens zum Verhängnis. Wenn dich Leute als zu nett einschätzen, denken sie, sie können mit dir machen, was sie wollen. Das ist mit der Zeile gemeint.
Erlebst du angesichts der Corona-Krise allgemein mehr Empathie? Oder gilt jetzt erst recht, jeder für sich?"
Allgemein? Scheißdreck! Du siehst doch: Hamsterkäufe von Klopapier bis zum geht nicht mehr. Wo ist da die Empathie? Jeder denkt an seinen Arsch. Das ist ja das, was ich in der Musik sage. Jetzt wird es mal bestätigt. Du kommst nicht weiter mit Lob, Liebe und Nettigkeit. Wenn es heißt, du darfst nicht mehr raus, dann denkt doch jeder nur an seinen Arsch. Dann denkt er doch nur daran, dass sein Kühlschrank voll ist. Was juckt mich jetzt mein Nachbar? Es juckt nur einen, wenn nicht so eine Situation herrscht. Dann ist man der Freundliche. Aber wie jetzt in der Corona-Krise? Scheiß drauf, ich kauf den ganzen Laden leer, so gut ich kann! So denken die doch. Ich bin kein Moralapostel und auch nicht der Übergutmensch, aber ich war gestern für meine Mom einkaufen. Die Schlange ging bis draußen. Und jetzt stell dir mal vor, meine Mom müsste anstehen. Für eine ältere Frau ist das eine Katastrophe. Eine halbe Stunde draußen stehen, bevor du reingehen kannst und dann musst du dich beeilen, weil sonst die ganzen Sachen im Regal weg sind. Bei uns ist es doch egal. Wenn da nichts ist, gehe ich in den nächsten Laden, bis ich was habe und dann bringe ich es nach Hause. Für ältere Leute ist das zu anstrengend. Wir haben das Glück. Quarantäne bedeutet in Deutschland fließendes Wasser, Strom, Internet, offene Läden. Bei Quarantäne in anderen Ländern wissen die nicht mal, ob sie am nächsten Tag noch leben. Das sollen die Leute mal verinnerlichen. Ich bin auch abgefuckt, weil das Fitnessstudio zu ist. Die Gewohnheiten sind weg, aber ich bitte dich! Was wollt ihr mir erzählen?
Vielen Dank, dann wünsche ich dir noch einen schönen Tag!
Gleichfalls, schöne Corona-Zeit noch! [lachen]
1 Kommentar
Eigentlich habe ich es nur gelesen, um was rassistisches in die Kommentare zu schreiben. Aber interessantes Zwiegespräch, sympathischer Dude und herrlich erfrischende Aussagen, die nicht jedem gefallen dürften. Album wird ausgecheckt