laut.de-Kritik
Erwartungshaltung, Dekadenz und musikalisches Muskelspiel.
Review von Maximilian FritzNachdem Bryan Müller alias Skee Mask 2016 sein Debütalbum "Shred" veröffentlichte, schrieb er sich mit "Compro" 2018 irreversibel in die Kulturgeschichte elektronischer Musik ein. Der Erfolg des Albums, das Breakbeats auf Techno, Dub und Ambient prallen ließ, war so groß, dass Müller zu einem Producer von Weltruhm aufstieg, der vom bürgerlichen München aus operiert.
Im Juni letzten Jahres erschienen zwei EPs auf seinem Stamm-Label Ilian Tape – rigide unterteilt in Ambient und Club-artige Cuts. Vor Kurzem trieb auf demselben Imprint sein drittes vollwertiges Album "Pool" an die Oberfläche. Und was es für ein Brocken von einer LP geworden ist: Über 100 Minuten Spielzeit, 18 Tracks, diverse Stimmungen und Spielstile elektronischer Musik.
Los geht's konventionell mit einem relativ klassischen Skee-Mask-Track namens "Nvivo", der in gewohnt sphärischer Manier durch den Raum hallt. Track Nummer zwei, "Stone Cold 369", sediert mit weiten Flächen, die sich kalt durch menschenleere Gefilde schlängeln. Ein erster Hinweis darauf, dass "Pool" die Breakbeat-Affinität Müllers subtiler betont, als es noch seine Vorgänger taten. Die zarten, latent unheimlichen Dub-Melodien schmiegen sich auf der dritten LP eine Spur sanfter ums Beat-Konstrukt, Skee Mask wirkt verspielt wie nie.
Als Beispiele dafür halten etwa das funkige "Crosssection" oder das technoid glitzernde "CZ3000 Dub" her, das sich in den zeitgemäßen Four-To-The-Floor-Kontext, der straighten Techno mit bedeutungsschwangeren Nuancen paart, einfügt. Auch der von Djrum geprägte Begriff des 'Ambient Gabber' drängt sich hier mitunter auf.
Spannend klingt auch "DJ Camo Bro" im Anschluss, das sich anfangs nach Playstation-2-Intro anhört, um dann in eine wilde wie pittoreske Mixtur aus Bassrollern und Drumming überzugehen, das fast schon der Clicks'n'Cuts-Schule entnommen sein könnte. Oder "Breathing Method", das mit epochaler Urgewalt zur Hyperventilation animiert.
Dass Bryan Müller eine eigene Klangsprache entwickelt hat, bezweifelt spätestens seit "Compro" niemand mehr. Auf "Pool" aber nimmt er sich Raum und Zeit, um sie seinen Hörer*innen verständlich zu machen. Kaum ein Track befindet sich nicht in diesem seltsam entrückten transzendenten Widerspruch aus beruhigenden Dub-Chords und Kicks bzw. Drum-Kaskaden, die mit peitschender Dringlichkeit rastlos zucken.
Vorwärts- oder rückwärtsgewandt – bis auf die Nutzbarmachung der Vorbilder aus der Warp-Schule, des Braindance, des Dub usw. – ist an "Pool" herzlich wenig. Vielmehr funktioniert das Album als eine gigantische Werkschau und Demonstration künstlerischer Vielseitigkeit. In "Fourth" kanalisiert Müller neben der ikonischen Skee-Mask-Tristesse gegen Ende hin für ein paar Sekunden beispielsweise seinen inneren Squarepusher, auf "Harrison Ford" scheint er mit gewaltigen Drops an frühere SCNTST-Zeiten anzuknüpfen.
Ausnahmslos jeder Track verfügt über ein makelloses Sounddesign, jeder Kratzer, jede Unschärfe, jede Grobkörnigkeit sitzt am rechten Fleck. "LFO" oder "Nvivo" etwa tönen ähnlich dreidimensional wie Autechre und wirken haptisch. Zu verschmerzen ist deshalb, dass sich ein Narrativ nur mit viel Wohlwollen herauszuschälen vermag. Je länger das Album dauert, desto stärker wird der Sog, den es ausübt.
Ruhige, makellose Nummern wie "Ozone" wechseln sich mit hektischen hyperaktiven Tracks wie "Pepper Boys" ab, dazwischen ist immer mal wieder Platz für experimentelle Stücke wie "Rio Dub", das zu wenig Wohlgefallen für Ambient einerseits und zu wenig Chaos für den Club andererseits aufweist.
Grob gesagt bewegt sich Bryan Müller auf "Pool" in einem Dreieck zwischen Erwartungshaltung, Dekadenz und musikalischem Muskelspiel mit einer unnachahmlichen Liebe fürs Detail. Eines der wenigen Alben in Überlänge, die definitiv länger nachhallen werden.
1 Kommentar
Los geht's mit "Nvivo" und nicht "Absence". Da hat der Rezensent wohl auf Shuffle gehört. Meine Rezension: https://schmiertiger.de/2021/06/06/pool-sk…