21. November 2017

"Wir sind Meister des strategischen Masturbierens"

Interview geführt von

Mike Portnoy spekuliert zwar nach wie vor auf ein Bandprojekt mit Opeth-Mastermind Mikael Åkerfeldt. Doch zunächst gibt er sich auch mit seiner neuen Supertruppe Sons Of Apollo zufrieden, die er gemeinsam mit Dream Theater-Kumpel Derek Sherinian gründete. Den beiden zur Seite stehen Billy Sheehan (Mr. Big), Ron "Bumblefoot" Thal (Guns N' Roses) und Yngwie-Sänger Jeff Scott Soto. Kein Wunder, dass vor dem Hintergrund einer solchen Konstellation im Interview die großen Worte nur so sprudeln.

Mike Portnoy und Derek Sherinian essen noch, heißt es, als wir die Interview-Location etwas zu früh betreten. Die Wartezeit gestaltet sich äußerst amüsant. Hinter einem gitarrenbestückten Raumtrenner hört man Mike stolz seine Deutschkenntnisse präsentieren: "Fick dich ins Knie!" Wenig später finden die beiden ein spannendes Gesprächsthema: Japanische Fäkalpornos.

Trotz der unglücklich zu Ende gegangenen gemeinsamen Dream Theater-Zeit verstehen sich Schlagzeug-Legende und Keyboard-Magier also anno 2017 ganz hervorragend. Sonst hätten sie wohl auch keine Band zusammen gegründet. Ausgehend von einem kurzen Joint Venture namens PSMS (Portnoy, Sheehan, MacAlpine, Sherinian) formten sie Sons Of Apollo – den feuchten Traum aller Progger, die gerne die Symbiose aus Deep Purple, Dream Theater und Meshuggah hören möchten. Weil Tony MacAlpine Portnoy für diese Mission nicht genug "Guitarhero" war, rekrutierte er den ehemaligen Guns N' Roses-Klampfer Bumblefoot für den Groove. Jeff Scott Soto (Trans-Siberian Orchestra) sorgt für Hooklines. Alles weitere Wichtige und Unwichtige zum Debütalbum "Psychotic Symphony" berichten "The Del Fuvio Brothers" im ausführlichen Interview.

Wie viele Söhne des Apollo könnt ihr nennen?

Derek: Einer heißt Kryempheses oder so, glaube ich. Ich hab darüber gelesen – irgendeinen bekannten gibt es. Er hat einen riesigen Penis.

Mike: Hermuncules.

Derek: Pampacles. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung. Gibts nicht einen, der Epicles oder so heißt?

Asclepios gäbe es.

Derek: Ja, das ist doch nah dran. Bist du beeindruckt, dass ich so nah ran kam?

Auf jeden Fall!

Derek: Danke!

Mike: Wieso weißt du so viel darüber? Das ist doch griechisch, nicht armenisch?

Derek: Ich bin Halbgrieche.

Mike: Oh echt? Halb griechisch, halb armenisch?

Derek: Ganz genau. Meine Mutter ist Griechin.

Mike: Oh. Wer oder was ist Hermuncules? Habe ich das gerade erfunden oder gibts den wirklich?

Derek: Den hast du erfunden. Das wäre ja quasi ein Zwitter aus Hercules und ...

Mike: ... einem Affen (engl. monkey). (lacht)

Einer der Söhne war übrigens Hercules' Musiklehrer.

Mike: Echt wahr? Mein Liebling ist trotzdem Hermuncules.

Hat Mythologie euch textlich irgendwie beeinflusst?

Derek: Nein. Klar, da ist dieser Song "God Of The Sun" und Apollo ist der Gott der Sonne. Aber andere Kulturen verehren auch Sonnengötter. Der Text ist sehr figurativ gehalten. Aber was die Lyrics generell angeht, sind wir die falschen Ansprechpartner. Die Hoheit darüber hatte Jeff. Wir haben sie nur hie und da verstümmelt, um die Gesangsmelodie auf das Instrumental anzupassen. Wir wollten sicher gehen, dass die Vocals großartig werden. Wir wollten, dass es Rock'n'Roll wird und uns von den Prog-Metal-Klischees verabschieden. Opernhaftes Geheul, atmosphärisches Flüstern und der fake wütende Typ, der keinen Grund hat, wütend zu sein, kamen uns nicht in die Tüte.

Mike: Hashtag #FakeAnger!

Derek: Jeff Scott Soto hat einen fantastischen Job gemacht – er ist der Anker des Albums.

Mike: Ja, er hält alles zusammen und sorgt für Eingängigkeit. Alle Songs haben tolle Refrains. Das war uns sehr wichtig und ich denke, Jeff hat abgeliefert.

Und mit den Inhalten der Lyrics hattet ihr demnach gar nichts zu tun?

Mike: Wir haben die Instrumentals komponiert, manchmal auch Gesangsmelodien, und dann ihm das Feld überlassen. Er hat Texte geschrieben, wo nötig noch die Vocallines. Mit seinen Blaupausen kam er dann wieder zu uns und zu dritt haben wir die finale Version ausgearbeitet.

Derek: Genau. Und wir wollen echt nicht für ihn sprechen, was die Inspiration der Lyrics angeht. Das ist seine Sache.

Aber ihr beide stellt das kreative Zentrum Sons Of Apollos dar, richtig?

Mike: Ja, wir sind Produzenten und Schöpfer der Band – es ist eindeutig unsere Band. Wobei wir Bumblefoots Songwriting-Verdienst bestimmt nicht klein reden möchten und genausowenig Jeffs, was die Vocals angeht.

Wie lief denn das Songwriting ab? Lief viel über gemeinsames Jammen oder arbeitet ihr eher im stillen Kämmerchen? "God Of The Sun" hast zum Beispiel du allein geschrieben, oder Derek?

Derek: Ja, das ist richtig. Mike rief mich eines Tages an und fragte, ob ich bereit wäre. Ich bin direkt ins Studio und habe angefangen, Ideen zu sammeln. Irgendwann kam Bumblefoot dazu und machte dasselbe. Wir fütterten Mike mit Demos, er katalogisierte sie. Als wir uns im Studio trafen, legte Mike vor, was er zuerst machen wollte und dann gingen wir es einfach an und die Liste durch. Es lief sehr kollaborativ.

Mike: Wir jammten zu ein paar Ideen, daraus entstanden wieder neue Dinge. Der Kreativkern bestand definitiv aus Derek, Bumblefoot und mir. Am Ende kam Billy noch dazu. Wir schrieben, planten und arrangierten sämtliche Songs in nur zehn Tagen. Als die Basis stand, holten wir Jeff dazu und machten uns an Vocals und Lyrics.

Es gibt auf dem Album einen Haufen verschiedener Sounds – besonders was die Keyboards angeht. Wie gehst du das an, Derek? Steht am Anfang ein Sound und du spielst damit herum oder ist es manchmal umgekehrt – dass du ein Riff oder eine Melodie hast und dann mit der Soundsuche beginnst?

Derek: Das variiert. Wenn ich beim Komponieren ein bestimmtes Keyboard benutze, das letztendlich den Grundgedanken zu einem Song anstößt, verwende ich den Sound natürlich auch später. Aber wenn zum Beispiel Bumblefoot mit dem Grundriff ankommt, höre ich die Rhythmusteile an und finde dann den passenden Sound dazu. Das passiert ganz natürlich. Ich habe natürlich einige Hauptklänge: Hammond B3, Mellotron, Moog-Synthesizer, Nord. Es ist, als würde man einen Eintopf mischen oder einen Kuchen backen: Du brauchst die richtigen Zutaten, damit es perfekt wird.

Mike: Es ist wie eine Bob Ross-Malerei: (verfällt in sinnliches Flüstern) Hier noch ein bisschen Gelb. Dort oben ein wenig Grün. Da drüben etwas Mellotron. Sprenkeln wir den Moog darüber ...

Derek: Das ist es, haha. Und ich besitze ja irgendwie von allem etwas.

Transferiert ihr auch mal Melodien von einem Instrument aufs andere? Du bist ja für deinen gitarristischen Stil bekannt, Derek, passiert es da manchmal, dass zum Beispiel Bumblefoot etwas schreibt, das letztendlich als Keyboard-Part endet?

Mike: Mir fällt ein Beispiel ein, bei dem es genau umgekehrt war. "Divine Addiction" hatte Derek schon weitestgehend fertig eingereicht. Er spielt das Hauptriff des Songs am Keyboard – es ist dieses große Jon Lord-mäßige Hammond-Intro. Ich weiß nicht mehr, wer das vorgeschlagen hat ...

Derek: Das warst du!

Mike: Ich war das? Okay. Ich habe vorgeschlagen, dass Riff, wenn es später im Song zurückkehrt, nicht mehr auf der B3, sondern auf der Gitarre zu spielen. So wird das Riff an verschiedenen Stellen im Song auf verschiedenen Instrumenten und damit von verschiedenen Musikern präsentiert. Und der umgekehrte Fall war "Labyrinth". Das begann ursprünglich nur mit Schlagzeug und Gitarre. Später kamen noch Streicher dazu. Ich schlug dann vor, die Gitarre doch ganz wegzunehmen und die Streicher allein stehen zu lassen – im Grunde also, die ursprüngliche Instrumentation auszutauschen.

Derek: Das war eine super Idee. Es verleiht dem Stück so einen klassischen, epischen Vibe. Was ich übrigens interessant finde: Wie du schon sagtest, klingen meine Keys gerne etwas gitarristisch – Bumblefoots bundlose Gitarre dagegen manchmal fast wie ein Keyboard! Einige Leute dachten, ich würde spielen, dabei war es Bumblefoot – und umgekehrt. Also guckt euch die Liveshow an, dann seht ihr, wer was spielt.

Auf welchen Instrumenten komponiert ihr eigentlich? Ihr beide seit ja auch akzeptable Gitarristen oder?

Derek: Nee, ich bin ein schrecklicher Gitarrist. Ich schreibe alles auf Keyboard. Aber ich höre alle Instrumente in meinem Kopf. Ich erstelle jedoch keine ausgefeilten Demos mit programmierten Drums und so. Zu einem Click-Track spiele ich die Essenz des Songs. Ich möchte, dass alle das Skelett hören können, gleichzeitig aber auch eine freie Leinwand haben, um ihre eigenen Parts draufzumalen.

"Black Country Communion ist keine richtige Band"

Ihr beide seid ja bekannt für 'außerweltliche' Spielfertigkeiten, wenn man so will. Kommt ihr manchmal an einen Punkt, wo ihr denkt, dass es keine Herausforderung mehr für euch gibt? Wie sucht ihr euch neue?

Derek: Die größte Herausforderung ist, einen großartigen Song zu schreiben. Und der nächste Schritt ist, ein großartiges Album zu machen. Technik und all dieser Kram sind nur Elemente des Sounds. Das ist nur die Glasur, nicht der Kuchen. Wir haben die Kunst des strategischen Masturbierens gemeistert.

Mike: #strategicwankery. (lacht)

Derek, du hast kürzlich in einem Interview erwähnt, dass du bis heute nichts Kränkeres als Planet X gehört hast. Sollte sich das ändern, würdest du losziehen, um es zu überbieten?

Derek: Nee, ich glaube nicht. Planet X war ziemlich sick, aber irgendwann stießen wir an einen Punkt, an dem es zu technisch wurde. Das zu spielen, machte keinen Spaß mehr. Es gab wirklich mal einen Moment mitten in einer Show, als ich mir dachte: "Ich mag diese Musik gar nicht. Ich will das gar nicht spielen." (lacht) Es wurde einfach zu viel Technik des Guten, wenn du so willst. Bei Sons Of Apollo stehen die Songs im Vordergrund. Im den Zwischenparts geht alles – solange wir zurück zum Song finden.

Ja, "Coming Home" zum Beispiel ist ja im Grunde ein straighter Rocksong.

Derek: Das ist der straighteste, ja.

Mike: Es ist doch okay, einen straighten Rocksong zu schreiben. Selbst Dream Theater machten das – bei "Wither" und "Another Day" zum Beispiel. Es gab schon immer diese Momente und es ist absolut nichts falsch daran.

Absolut nicht.

Derek: Auf der anderen Seite gibt es dann ja Sachen wie "Opus Maximus", wo wir es soweit wie möglich treiben.

Gab es einen von euch, der mehr für das episch Proggige zuständig war und vielleicht einen anderen, der Groove-Meister spielte?

Mike: Der epische Anteil stammt glaube ich vor allem von Derek und mir. Wir haben Erfahrung mit zehnminütigen Songs und verrückten, ungeraden Taktarten. Bumblefoot hat zwar keine Probleme, sowas umzusetzen, aber keine wirkliche Erfahrung, selbst Prog-Songs zu schreiben. Das gleiche gilt für Billy und Jeff. Die Prog-Elemente, die über das Album verstreut sind, gehen also definitiv auf mich und Derek zurück. Die Shredding-Momente kamen von Bumblefoot. Und für die melodischen Momente war Jeff verantwortlich.

Hattet ihr gewissen theoretischen Anspruch beim Schreiben oder habt ihr einfach laufen lassen?

Mike: Total laufen lassen. Es gab keine vorgegebenen Richtungen oder Grenzen, als wir starteten. Wir ließen die Songs sein, was sie immer sie sein wollten.

Sons Of Apollo geht natürlich viel mehr in eine epische Richtung, aber auch Adrenaline Mob und Winery Dogs vollführen ja ebenfalls einen Spagat zwischen Prog und Groove. Was ist denn für dich der Unterschied in den Herangehensweisen der Bands?

Mike: Naja, es gibt riesige stilistische Differenzen. Sons Of Apollo unterscheidet sich dahingehend sehr von Winery Dogs, Flying Colors, Metal Allegiance und Co.. Aber trotzdem würde ich sagen, dass der Prozess exakt derselbe ist – und zwar nicht nur bei den Genannten, sondern in jeder Band, an der ich bisher beteiligt war, inklusive Dream Theater. Der Prozess des Schaffens – das Zusammenkommen, das Mischen all der verschiedenen Geschmacksrichtungen und Stile – zieht sich durch alle meine Bands.

Sons Of Apollo fallen in eine Kategorie Bands, die gerne als "Supergroups" bezeichnet werden. Was haltet ihr persönlich von dieser Schubladisierung?

Derek: Dieser Begriff wird ziemlich inflationär verwendet. Aber ich ich denke, in diesem Fall ist er sogar angebracht. Guck dir nur mal die Musiker in dieser Band an! Wenn du so eine Konstellation hast, sind im Grunde nur zwei Marschrichtungen möglich. Entweder du marschierst nebeneinander und hast am Ende ein totales Durcheinander. Oder du kommst zusammen wie die Marvel-Superhelden, die die Welt in Beschlag nehmen. Ich glaube letzteres ist bei Sons Of Apollo passiert.

Den jüngsten "Avengers"-Film finde ich grauenhaft.

(Mike lacht)

Derek: Hey, ich rede nicht von den Filmen, ich rede vom Konzept!

Was sind denn einige eurer liebsten Supergroups?

Mike: Ich liebe Chickenfoot und Black Country Communion. Und wenn ich mir das erlauben darf: Auch The Winery Dogs waren eine großartige Kollektion an Persönlichkeiten. Ein Klassiker wäre natürlich das erste UK-Album – was für ein krasses Line-Up mit Holdsworth, Bruford, Wetton, Jobson. Das erste Asia-Album fällt mir noch ein, auch wenn ich kein großer Fan der kommerziellen Richtung war. Meine liebste Classic Rock-Supergroup waren The Dirty Mac. Sie tauchten nur einmal beim Rolling Stones "Rock And Roll Circus" auf und bestanden aus John Lennon, Keith Richards, Eric Clapton und Mitch Mitchell. Oh und Return To Forever!

Derek: Nichts hinzuzufügen.

Mit Black Country Communion und The Winery Dogs hast du schon zwei Gruppen erwähnt, in denen ihr beide aktiv seid.

Derek: Wir fühlen uns einfach wohl in solchen Line-Ups, haha.

Inwiefern unterscheiden sich Sons Of Apollo von diesen?

Derek: Mehr Arbeit. (lacht) Sons Of Apollo birgt am ehesten das Potenzial, zu einem Vollzeit-Projekt zu werden, das mehr als zwei Alben lang hält. Schau dir mal die Bands an, die Mike eben aufgezählt hat – wie viele Alben haben die im Durchschnitt gemacht, bevor es in die Brüche ging?

Mike: Naja, mit Black Country Communion habt ihr doch jetzt schon das vierte im Kasten.

Derek: Okay, ja. Aber ich sehe Black Country Communion nicht als richtige Band an, denn wir gehen nicht raus und touren für jedes Album. Es ist einfach, sich zurückzuziehen, die anderen ein Jahr lang nicht zu sehen und dann halt mal wieder ins Studio zu hüpfen. Supergroups beginnen selten einen kontinuierlichen Zyklus.

Mike: Das stimmt. Ich wollte eben noch Transatlantic anführen, weil wir auch vier Alben aufgenommen haben, aber du hast recht: Transatlantic nahmen eine Platte auf, spielten 20 Shows und dann herrschte vier Jahre Funkstille. Vollzeit-Supergroups gibt es echt wenige. Mit The Winery Dogs spielten wir nach jedem Album gut hundert Shows, aber bis dato stehen wir erst bei zwei Platten, also schauen wir mal ...

Derek: Ein Unterschied ist glaube ich auch, dass wir an die Band herangegangen sind wie die jungen, hungrigen Van Halen, die gerade ihre erste Platte machen. Wir sind nicht durch die Gegend gezogen wie Superhelden, sondern es herrschte jugendlicher Enthusiasmus. Ich spüre das in unserer Musik – dort lodert dieses Feuer, dieser jugendliche Geist. Denn wir erkunden die Musik, die wir schon als Kinder liebten. Wir erkunden unsere frühen Einflüsse und zollen den entsprechenden Bands auch teilweise schamlos Hommage. Ich glaube, genau das hält die Sache frisch und das Feuer am brennen. "Psychotic Symphony" klingt nicht, als stünde da eine Truppe 50-Jähriger, sondern eher als stünde da eine Truppe 20-Jähriger!

Also plant ihr definitiv, Sons Of Apollo zu eurer obersten Priorität zu machen?

Derek: Es ist jetzt gerade schon unsere oberste Priorität. Ich habe einen ganzen Toursommer mit Black Country Communion ausgeschlagen, um mich darauf zu konzentrieren. Mike hat seinen Terminkalender freigeräumt. Wir beide und Billy, Bumblefoot und Jeff Scott Soto werden uns mit Herz und Seele hier hineinschmeißen. Wir wollen das zu einem großen Erfolg aufbauen.

Gibt es einen Unterschied für euch, heute eine Band zu gründen im Vergleich zum Anfang deiner Karriere?

Mike: Oh ja, da liegen Welten dazwischen! Zum einen gab es in den 80ern ganz andere Herausforderungen als 2017, die überwunden werden mussten, um eine Band zu gründen. Die gesamte Musiklandschaft hat sich enorm verändert. Das fängt an bei Industrie und Markt, und nicht zuletzt das Internet veränderte vieles. Zum anderen habe ich selbst mich natürlich verändert. Heute habe ich bereits eine Karriere, Erfolg, eine feste Gefolgschaft. Wenn du ganz frisch anfängst, hast du das natürlich nicht. Nach 30 Jahren im Business habe ich treues Publikum, das mir folgt und unterstützt, was ich tue.

Beeinflusst das auch deine Herangehensweise innerhalb der Band?

Mike: Nein. Da bin ich immer noch ein kleines Kind – das gleiche 18-jährige Kind, das in Berkeley Majesty gegründet hat.

Sag mal, Mike: In den meisten deiner Bands gibt es nur einen Gitarristen, so auch bei Sons Of Apollo. Warum eigentlich?

Mike: Ho, das hast du gut beobachtet. Um ehrlich zu sein, hab' ich darüber noch nie nachgedacht. Das geschah nicht bewusst. Ich hatte einfach kein Bedürfnis nach einem zweiten Gitarristen, wenn wir doch Keyboards haben – schon gar nicht mit Derek, der das Keyboard wie eine Gitarre spielt. Und dann gibts noch Billy Sheehan, der seinen Bass wie eine Gitarre spielt! (lacht) Damit hatten wir ja irgendwie schon ein dreiköpfiges Monster. Was meine anderen Bands angeht: Ich habe echt keine Ahnung. Darüber habe ich wirklich noch nie nachgedacht. Aber stimmt, ich habe nicht in vielen Bands mit zwei Gitarristen gespielt. Ich schätze, es ist Zeit für ein neues Projekt! (lacht) Ah, bei Metal Allegiance haben wir live zwei Gitarristen – normalerweise Alex Skolnick und Phil Demmel. Manchmal noch zusätzlich Gary Holt. Bei den Winery Dogs war es von Anfang an klar, dass es ein Trio werden sollte.

Wie ist es eigentlich für dich als Drummer mit einem Keyboarder und einem Gitarristen zusammenzuspielen, die diesen gitarristischen Stil haben?

Mike: Ich liebe es! Ich liebe sowohl Derek als auch Billy genau aus diesem Grund. Dereks Helden sind Eddie Van Halen, Randy Rhoads und so weiter. Also spielt er Keyboard wie sie. Das gleiche gilt für Billy. Sie sind beide Innovatoren und ich liebe, was sie machen. Das macht dieses Line-Up so besonders.

"Wir haben unser eigenes Genre erschaffen!"

Mal kurz zu etwas anderem: Kürzlich erschien der Kinofilm "The Promise", wo es um den Genozid an den Armeniern geht, der ja von eurer Regierung nach wie vor nicht offiziell als solcher bezeichnet wird. Derek, du hast armenische Wurzeln – bist du dahingehend aktivistisch aktiv?

Derek: Ich laufe nicht bei Protestmärschen mit, aber ich glaube ich trage meinen Teil dazu bei, weltweit Aufmerksamkeit zu schaffen. Ich unterstütze entsprechende Organisation oder auch den Film voll und ganz. Ich habe auch schon Songs über den Genozid geschrieben – einen widmete ich zum Beispiel meiner Urgroßmutter, die im Krieg war und den Genozid überlebte. Ich bin keine politische Person und glaube nicht daran, Musik und Politik zu vermischen. Es gibt einfach Leute, die in dieser Hinsicht sehr viel cleverer als ich sind, denen man zuhören sollte. Aber natürlich ist das ein Thema, das mir sehr zu Herzen geht und ich versuche, so viel wie möglich darauf aufmerksam zu machen.

System Of A Down zum Beispiel sind in dieser Hinsicht ja auch sehr aktiv.

Derek: Sie decken es im Grunde ab. Ich finde großartig, was sie tun. Um ehrlich zu sein, mag ich ihre Musik zwar nicht sonderlich, aber ich bin großer Fan ihrer Standpunkte.

Habt ihr Kontakt?

Derek: Naja, ich besuche sie nicht zuhause zum Kaffeetrinken, aber wir kennen uns. So viele armenische Rockmusiker gibt es nunmal nicht. (lacht) Übrigens: Weißt du, wie du feststellen kannst, ob jemand armenische Wurzeln hat? Der Nachname reimt sich auf "armenian".

(Mike kichert)

Bei denen, die mir spontan einfallen, stimmt das sogar.

Derek: Siehst du? (lacht)

Sprecht ihr in der Band über politische Themen?

Derek: Mmh, das polarisiert ein wenig. Wir versuchen es zu vermeiden, wann immer möglich.

Mike: Eins der Mitglieder ist politisch sehr ... eigensinnig. Wenn du seine Social Media-Kanäle besuchst, weißt du was ich meine. Oder zumindest, wenn du sie dir während der letzten Wahlperiode angesehen hättest. Dahingehend herrscht eine Kluft in der Band, deshalb ist es wahrscheinlich besser, nicht darüber zu reden.

Derek: Ich habe über die Jahre etwas gelernt. Du kannst als Künstler 20 Jahre lang großartige Musik machen, aber wenn du eine politische Meinung äußerst, die nur zu einem Prozent von der des Fans abweicht, lässt er dich fallen. Bono und Tom Morello können gerne ihr Ding durchziehen, aber wir wollen einfach nur Musik machen.

Dann kommen wir doch darauf zurück: Dem Titel "Psychotic Symphony" entsprechend gibt es auch eine Menge klassische Elemente zu hören. War das von Anfang an geplant?

Mike: Nee, das von eben gilt natürlich auch dafür: Es gab keine vorgegebene Richtung.

Habt ihr mit echten Streichern aufgenommen?

Mike: Ja! Beim Komponieren zeichnete Derek die Spuren vor, aber für das was du in "God Of The Sun", "Labyrinth" und "Divine Addiction" auf dem Album hörst, arbeiteten wir mit einem Streichquartett zusammen. Derek erwies sich als guter Arrangeur und beaufsichtigte die Sessions. Wir produzierten zwar gemeinsam, aber der Streicher-Prozess oblag hauptsächlich ihm.

Ist euer Ziel auch, gewissermaßen das moderne Äquivalent zu klassischen Komponisten darzustellen, wenn ihr euer Album schon "Psychotic Symphony" nennt?

Mike: Ich weiß nicht. Da kenne ich andere Bands, die deutlich mehr auf der Klassik-Schiene fahren.

Ich meinte das gar nicht im Sinne der explizit klassischen Elemente, sondern eher strukturell – auf das Gesamtprodukt bezogen.

Mike: Naja, wie gesagt: Der Prozess hier ist der gleiche wie in meinen anderen Bands. Ich habe immer so gearbeitet, meine Songs häufig so aufgebaut. Es gab immer Stücke, in denen man die Freiheit hatte, zu gehen wohin immer man Lust hatte. Ich weiß nicht, ob das die Frage beantwortet, aber mehr fällt mir dazu nicht ein.

Beeinflussen dich heute eigentlich noch andere Künstler explizit? Oder bist du nach 30 Jahren im Business an einem Punkt, in dem alles schon so weit in deiner DNA ist, dass alles im Grunde aus deinem Drive heraus kommt?

Mike: Oh Gott, ich bin der größte Musikfan, den du je treffen wirst! Ich höre dauernd Musik – neue Bands, alte Bands... Sobald ich etwas anhöre, wird es für immer irgendeinen Referenzpunkt darstellen. Mein Schädel ist eine Musikbibliothek. Ich bin der Typ, der beim Komponieren immer reingrätscht. Kein einziges Riff, keine Melodie kann eingereicht werden, ohne dass ich meinen Senf dazugebe und sage: "Hey, das ist ein Megadeth-Song. Das ist Flaming Lips-Material." Diese Enzyklopädie ist einerseits hilfreich, um zu große Ähnlichkeiten zu vermeiden und andererseits auch, weil ich daraus natürlich Inspiration ziehen kann.

Gab es für Sons Of Apollo spezielle Anlaufpunkte?

Mike: Ja, vor allem die Classic Rock-Ecke. Die offensichtlichsten Einflüsse sind Deep Purple, Van Halen, Led Zeppelin, Rainbow und Rush. All diese Klassiker-Bands kannst du denke ich auch deutlich in unserem Sound raushören. Die meisten Progressive Metal-Bands heutzutage klingen wie Dream Theater. Das ist ihr Referenzpunkt. Für uns ist der Referenzpunkt die Musik, mit der wir in den 60ern und 70ern aufwuchsen. Aber wir verfügen auch über moderne Sensitivität und Technik, die nötig ist, um in andere Bereiche vorzudringen. Einige unserer Riffs erinnern an Meshuggah und Pantera. Unter die traditionellen mischen sich moderne Heavy-Elemente.

Glaubst, junge Bands wären überhaupt in der Lage, eine solche Mischung zu komponieren wie ihr es tut? Sie sind ja eben gerade nicht in derselben Zeit wie ihr aufgewachsen und bringen auch nicht die Erfahrung mit, die ihr über die Jahre – auch in der modernen Musiklandschaft – gesammelt habt.

Mike: Das kann man nie wissen. Mir gefällt die Vorstellung, dass Kids, die mit – nur als Beispiel – Dream Theater aufgewachsen sind, den Willen haben, trotzdem die Geschichte aufzuarbeiten und zu entdecken, wie sich alles entwickelt hat. Es gibt diese neue Band Greta Van Fleet – sie sind 18, 19 Jahre alt und klingen exakt wie Led Zeppelin. Scheiße, sie verstehen es! Sie sind um 2000 herum geboren, haben aber trotzdem diesen Oldschool-Referenzpunkt. Eine andere Band, die ich total feiere sind The Lemon Trees. Sie haben diesen 60s-Vibe, klingen wie The Kinks, The Who, The Beatles, Badfinger – sind aber Teenager! Ich liebe es, wenn die heutige Generation zurück auf die Klassiker, die Originale guckt.

Aber wie du gesagt hast: sie klingen wie Led Zeppelin und Co. Haben sie überhaupt etwas eigenständiges?

Mike: Naja, ich glaube, wenn du verschiedene Referenzen vermengst, wird daraus automatisch etwas anderes.

Ihr werdet nächstes Jahr auf Tour gehen, habe ich gehört.

Mike: Im Februar gehts los. Wir starten auf Yes' Cruise To The Edge und von dort aus gehts im Lauf des Jahres durch die ganze Welt.

Werdet ihr ausschließlich Sons Of Apollo-Material spielen oder auch älteres?

Mike: Als neue Band mit nur einem Album musst du dein Set ein bisschen strecken. Ich bin sicher, Billy und Derek werden jeweils ein Solo spielen. Abgesehen davon werden wir wohl einige Coversongs spielen und in unserer eigenen Vergangenheit wühlen.

Vor welchem der neuen Songs fürchtest du dich am meisten, ihn live aufzuführen?

Mike: "Opus Maximus" wird definitiv die größte Herausforderung. In den Mittelteilen von "Labyrinth" und "God Of The Sun" passieren auch einige verrückte Sachen. Aber ansonsten ist alles sehr machbar und vernünftig gestaltet. Diese Band wird der Hammer live! Es wird wie ein Five Ring Circus – egal wem du zusiehst, du wirst unterhalten werden. Denn jeder von uns ist ein Showman. Vor allem Billy ist der ultimative Showman. Und Jeff ist ein unglaublicher Frontmann. Macht euch auf ein Spektakel gefasst!

Können wir uns auf Instrumententausch freuen? Wenn ihr euch schon Del Fuvio Brothers nennt ...

Mike: Möglich, ja. Derek meinte schonmal, dass es dann vermutlich nicht mehr Nightmare Cinema, sondern Daughters Of Venus wäre. (lacht)

Derek: Daughters Of Penis!

Apropos Söhne und Töchter: Würdet ihr eine Band mit euren Kindern gründen? Van Halen zieht mit seinem Sohn durch die Gegend, Max Cavalera seit einigen Jahren ebenso.

Derek: Ich fände das fantastisch. So sehr ich hasse, dass Michael Anthony nicht mehr Teil der Band ist, verstehe ich doch als Vater total, dass Eddie mit seinem Sprössling spielen möchte. Es muss supergeil sein, deinen Sohn in der Band zu haben. Mikes Junge eröffnet für ihn am Abend, wie cool ist das denn? Du reist umher und kannst deinem Nachwuchs beim Spielen zusehen.

Mike: Es ist großartig.

Derek: Ich träume davon.

Mike: Wusstest du, dass Dereks Sohn Halen heißt?

Derek: Das stimmt. Ich wollte ihn ursprünglich mal Cabazo nennen, Halen klang dann aber doch besser.

Mike: Cabazo? Oh Gott. Hermuncules hättest du ihn nennen sollen!

Vielleicht kannst du ihn überzeugen, mal seinen Sohn so zu nennen.

Derek: Hahaha, das wär' super.

Mal im Ernst: Gibt es trotz eurer Absicht, Sons Of Apollo zur Vollzeit-Beschäftigung aufzubauen, Pläne, andere Projekte zu starten?

Mike: Naja, ich bin eine musikalische Hure und immer offen für Neues. Und ich sage es immer wieder: Der einzige Typ, auf den ich wirklich noch warte, ist mein lieber Freund Mikael Akerfeldt von Opeth. Gerade gestern konnte ich ihm im Rahmen der Prog Awards einen Preis überreichen (Opeth gewannen in der Kategorie Best International Band, Anm. d. Red.). Ich spreche schon seit Jahren mit ihm darüber und will nach wie vor etwas mit ihm machen. Das ist die letzte offene Kollaboration auf meiner Einkaufsliste.

Glaubst du, es wird irgendwann passieren?

Mike: Naja, ich bin allzeit bereit. Ich jongliere dauernd mit einer Million Bands gleichzeitig. Ich könnte leicht zehn Tage in meinem Kalender freimachen, nach Schweden fliegen und was raushauen. Er ist glaube ich etwas nervös, aus seiner Komfortzone zu treten. Aber ich bearbeite ihn immer wieder: "Dude, vertrau mir – ich habe das schon tausendmal gemacht. Packen wirs zusammen in einen Raum, spielen ein bisschen, das wird super."

Welche musikalische Richtung schwebt dir dabei vor?

Mike: Ich persönlich würde wahnsinnig gern brutales Heavy-Zeug spielen. Prog-Outlets habe ich schon so viele. Ich hätte Bock auf "Blackwater Park"-Material. Er hat sich inzwischen natürlich weit davon entfernt, das weiß ich auch. Aber vielleicht hätte er gerade weil Opeth nun ganz andere Musik spielt wieder Lust auf solche Dinge. Wer weiß. Wobei ich wirklich alles mit ihm machen würde. Ich liebe ihn so sehr und würde unglaublich gern mit ihm Musik machen.

Und du Derek?

Derek: Auf meiner Liste steht Jeff Beck. Mit ihm würde ich wirklich gerne etwas machen, bevor er aufhört. Außerdem hätte ich nichts dagegen, mal mit David Gilmour, Brian May oder Jimmy Page arbeiten.

Mike: Hey, das sind ja die ganz großen. Ich wusste nicht, dass ich die auch nennen kann. Ich will Paul McCartney und Roger Waters!

Derek: Die Aufgezählten wären für meine Karriere als Musiker. Als Produzent würde ich ich gerne das allerletzte Van Halen-Album betreuen. Ich hätte gern, dass sie mir dabei voll und ganz vertrauen. Ich garantiere dir: Wenn sie das machen, wird die Platte der absolute Wahnsinn. Ich kenne die Band, ich weiß, dass ich dazu in der Lage wäre.

Zeit für das Schlusswort: Derek, du sagtest mal, es wäre nie dein Ziel gewesen, in einer geilen Prog-Band zu spielen, sondern vor allem, in einer geilen Rock-Band zu spielen. Hast du das Ziel mit Sons Of Apollo erreicht?

Derek: Absolut! Sons Of Apollo verfügen nicht nur über all die verschiedenen Elemente, die wir mögen – sei es Classic Rock, Metal, Progressive Rock –, diese Band hat auch Rock'n'Roll-Swagger! Guck dir nur mal die Liste an Acts an, in denen wir schon gespielt haben. Wir haben die nötigen Voraussetzungen dafür und den Rock’n’Roll-Background. Mit "Psychotic Symphony" haben wir nicht nur das Genre Progressive Rock neu definiert. Wir haben unser eigenes Genre erschaffen! Das ist für mich das Aufregendste überhaupt daran. Du kannst einfach wirklich an die Grenzen gehen. Als wir das Album aufgenommen haben, wussten wir alle, dass etwas Besonderes passiert.

Wie heißt das Genre?

Derek: Apollonian Rock! War nett dich zu treffen.

Mike: Mic drop, hahaha. Hermuncules – out!

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