23. Februar 2024

"In bayerischen Bierzelten steckt ein kommunistischer Gedanke"

Interview geführt von

Der Multiinstrumentalist hat 1982 sein Debüt bei der Gruner+Jahr-Verlagstochter 'Risiko' veröffentlicht. Die erste Single hieß "Pappnasen", kündet schon damals von seinem Humor.

Insgesamt 18 Studioalben erschienen dann abwechselnd bei Major-Firmen wie EMI, Epic/Sony und Ariola, in den 90ern mal beim Indie-Storyteller-Label chlodwig und später bei Stoppoks eigener Firma Grundsound. Das aktuelle Werk "Teufelsküche" liegt auf Glitterhouse vor, einer deutschen Marke für rustikale Gitarrenmusik.

Nicht zufällig gibt es außerdem sechs Live-Alben des rootsigen Entertainers, der heute im Ruhrgebiet lebt. Seine Bühnenauftritte leben von viel Witz zwischen den Liedern. Im März 2024 tourt der Barde aus dem "La-La-Land" durch 16 Städte. Zu seinen bekanntesten Songs gehören "Dumpfbacke", "Sei nicht sauer", "Scheiße am Schuh", "Wetterprophet", "Leise", "Offline" und "Verjubeln". Der neue Longplayer fügt dem Repertoire ein paar neue Klassiker hinzu. Eines der Stücke ist dabei so alt wie Stoppok selbst - ein Cover aus dem Jahr 1956.

Gerne bezieht sich der Geschichtenerzähler auf gesellschaftliche Phänomene. Schon bei der letzten CD "Jubel" kam das auch in kommerzieller Hinsicht super an, Platz Vier der deutschen Album-Charts. Das neue Album stieg auf Rang Sechs ein.

Der ebenfalls deutschsprachige Songpoet Enno Bunger singt in einem aktuellen Lied, "Grasgelb", kapitalismuskritische Musik verkaufe sich sehr schlecht. Verkauft sich Kapitalismuskritik wirklich sehr schlecht?

Ha, na das wär einfach. Also, nein, wenn eine kapitalistische Firma diese Musik promoten würde, würde die sich auch gut verkaufen. Es kommt nicht auf den Song an oder auf die Kapitalismuskritik, sondern auf die Leute, die das vermarkten.

Interviews sind auch zum Vermarkten da. Hast du eigentlich noch Lust auf Interviews?

Ja, denn es gibt ja immer wieder Neues zu erzählen! Also, naja, ich würde jetzt nicht gerne so'n Marathon machen, zehn Interviews am Tag, was manche machen müssen. Da bin ich schon entspannter und kann mir das einteilen.

Und Social Media? - Da gab's bei "Jubel" verschiedene Anspielungen aufs Internet, auf die Follower, darauf, dass man unter Druck steht - bist du da kritisch, oder nützt es dir mehr?

Natürlich muss man kritisch sein, aber es hat immer diese beiden Seiten: Als Independent-Künstler ist das ein Tool, das sehr wichtig ist. Ich hatte in den 90ern ja einige Major-Deals, um ein bisschen mehr Oberfläche, mehr Wahrnehmung zu kriegen. Und seit ich wieder 'nur' indie-Künstler bin, ist das ein Tool, das sehr wichtig ist, um die Leute zu erreichen. Das birgt Probleme.

Ich meine, ich bin alt genug, um mich davon frei zu machen, das heißt, dass ich jetzt nicht gucke, dass ich möglichst viele Follower habe und dass das wichtigste Kriterium wäre. Denn wenn sich dann der Inhalt dreht und danach der Inhalt gestaltet wird, um möglichst viele Leute zu erreichen, dann ist man ja wieder in dem ganz normalen Mainstream-Wahnsinn.

Wenn man vor allem Geschichten macht, die vom Wortwitz leben, wie bebildert man das attraktiv?

Das versuch ich nicht so auszubauen. Klar, man gewöhnt sich dran, aber jeder Song hat eine andere Wirkung, wenn man dazu Bilder sieht. Videos mach ich zwar auch, um die Leute zu erreichen, die darauf stehen. Oder die sich eben überhaupt über YouTube musikalisch informieren. Aber: Ich mach nicht für jeden Song ein Video, und die Songs wirken auf jeden Fall besser ohne Video.

Zum Thema Cyber-Welt sticht zum Beispiel diese Songzeile auf dem Album heraus:
"Hast du heut Geburtstag, dann kann's passieren / du kriegst 'nen Kommentar von 'nem wildfremden Menschen / der behauptet, dass dein Geburtstag gestern schon war - hat deine Mutter sich halt mal getäuscht."
Kommt das wirklich vor? Ist das schon passiert?

(Lacht) So konkret nicht ... Das wurde dem Reim geschuldet ... Dass sich das irgendwie auf 'Wikiped-ia' gut gereimt hat. Aber im Prinzip ist es schon so, dass Leute im Internet Sachen behaupten. Zum Beispiel steht auf Wikipedia, dass ich von der Stadt Rheine irgend'nen Preis gekriegt hätte. Hab ich nie gekriegt. Wir haben schon tausend Mal versucht, das bei Wikipedia raus zu löschen, und das geht nicht. Das steht da einfach. Ich hab diesen Preis nicht gekriegt, und es steht da.

Ich hätte sie auch sonst geglaubt, die Zeile mit dem Geburtsdatum. Nächste sehr schöne Zeile, jetzt aus dem Stück "Nicht Das, Was Ich Brauche":
"Wir machen uns die Zeit zum Freund / wir hebeln die Schwerkraft aus / und es geht aufwärts."
Klar, es ist dein Job, Metaphern, Bilder, geschwungene Sätze finden, die Leute auch verstehen und gerne hören, aber trotzdem: Wie kommt man auf sowas?

Also, ich bin ja nicht so'n Literat ... Ich lese auch nicht viel oder eigentlich ... gar nicht lacht). Das kommt aus dem Song raus. Ich meine, wenn so die Grundidee von diesem Song, wenn sich da richtig rein fallen lässt, und die Grundidee ist ja schon mal sehr spannend oder intensiv, dass Leute Wünsche haben und sich selber damit einen vormachen. Weil wenn die Wünsche erfüllt sind, man merkt, dass es ja gar nicht das ist, was einen glücklich macht - da leiden ja die meisten Leute drunter.

Wenn man sich da richtig reinfallen lässt, bei mir einher gehend mit der Musik, dann bringt einen das zu den Zeilen. Das klingt esoterisch, aber das ist bei mir so. Ich lass mich dann einfach von den ganzen Dingen leiten, und dann fallen mir die Zeilen ein oder eben nicht.

Das ist dann auch der Rhythmus, der dich in ein Sprach-Versmaß bringt?

Ja.

Der Song hat mit großen Wünschen und Erwartungen zu tun...

Der bezieht sich auf Partnerschaften, und da haben doch viele Leute Schwierigkeiten, weil sie ihre Partner nach irgend welchen Wünschen aussuchen, und dabei übersehen, wo die Liebe wirklich steckt.

Materielle Wünsche, Checklisten, ...?

Ja, Äußerlichkeiten, oder übersteigerte Sexualität, wo man irgendwas dran fest macht, was im Grunde nicht das ist, wonach man sucht.

Willst du die Leute dann im Konzert auch ein bisschen wach rütteln, so dass sie sich selbst hinterfragen?

Nee. (lacht) Ich hab lediglich den Anspruch, 'nen Song zu machen, der Sinn ergibt. Der für mich rund ist und was aussagt. Ich glaube, das unterscheidet mich auch von vielen anderen Liedermachern, Songwritern, wie immer man das nennt. Das macht es auch für viele so schwer mich einzuordnen. Ich hab eben nicht dieses Missionarische. Wenn ich auf der Bühne bin, ist es eher 'ne lustige Veranstaltung. Und ich lass mich immer auf den Moment vor Ort ein. Ich suche nicht diese Tragweite, dass ich die Leute irgendwie meine, mit irgendwas erreichen zu müssen.

Das Einzige: Wenn ich 'ne Message habe oder mir was wichtig ist, dass die Leute sehen, dass da einer auf der Bühne ist, der ihnen nichts vormacht. Das ist in diesen Zeiten - finde ich - wichtiger denn je.

"Die NDW brachte plattes Zeug, in der DDR waren die Texte viel weiter."

Auf "Jubel" gab's ja das Lied "Lass Sie Rein", aktuell wieder ein polarisierendes Thema. Ist das ein Appell gewesen oder auch lustig gemeint?

Nein, das war überhaupt nicht lustig gemeint. Mit 'lustig' mein ich auch, ich bin lustig auf der Bühne, aber die Songs sind natürlich nicht lustig. Ich find, das ist so ein deutsches Problem: Ich bin sehr beeinflusst - oder war es in den 70ern - von irischer Musik, von englischer Musik, von diesem Entertainment, dass da die Leute wirklich politische Sachen neben tiefen 'Gefühlskisten' bringen konnten auf der Bühne und dann aber wieder einen ganz flachen Joke gemacht haben. Also, diese ganze Facette des Menschen haben die auf die Bühne gebracht. Und das hat mich immer beeinflusst.

Und in Deutschland war es immer so, und das ist zum Teil immer noch so: Da ist der Kabarettist, der ist lustig. Dann: Dort ist der Schnulzensänger, der macht das ... - und dass das so getrennt ist. Aber: Keine Person ist einfach nur das, das oder das. Das sollte man auf der Bühne auch ausleben: Dass man alle Facetten zeigt.

Als Straßenmusiker warst du in den 70ern in einigen Ländern unterwegs - mit einem Ziel, einer Route oder 'freestyle'?

Nö, ich hab das intuitiv gemacht. Ich hab mich einfach treiben lassen. Die meiste Zeit war ich in Südfrankreich. Wollte nach Spanien. Da haben sie mich nicht rein gelassen, weil ich zu der Zeit keinen deutschen Pass hatte, weil ich heimatloser Ausländer war. (lacht) Das ist 'ne längere, andere Geschichte, aber auch sehr lustig, und...

Doch, erzähl mal!

Meine Eltern waren Flüchtlinge aus Schlesien, und ich war in Hamburg geboren, und sie hatten eigentlich vor, wieder nach Schlesien, also dann Polen, zurück zu gehen. Deswegen habe ich nicht sofort die deutsche Staatsangehörigkeit gekriegt. Galt aber nach dem Schengener Abkommen von 1952 als 'Aufenthaltsberechtigter'. Im Gegensatz zu Ausländern, die immer 'ne Genehmigung gebraucht hätten. Ich hatte also eine Aufenthaltsberechtigung, aber nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Das hab ich erst mit 16 so richtig bewusst gehabt, als ich mit 16 meinen Kinderausweis abgegeben hab und meinen anderen Personalausweis kriegen sollte, hat der Beamte zu mir gesagt: Du bist ja gar kein Deutscher, das kannst du aber ändern: Du kannst sofort die deutsche Staatsangehörigkeit kriegen, du solltest einen Antrag stellen, sonst hast du ganz viele Nachteile.

Dann hab ich gefragt: 'Was hab ich denn dann für Nachteile?' - Und er meinte: 'Du darfst zum Beispiel nicht zur Bundeswehr...' (lacht) Was er danach gesagt hat, hab ich gar nicht mehr richtig gehört, ich bin einfach schnell raus, und meinte 'Ja, ich überleg mir das, danke, tschüs.' - Das war natürlich in den 70ern das Thema überhaupt: Man musste damals zur Bundeswehr.

Ich bin im Ruhrgebiet aufgewachsen und sozialisiert und diese ganze Auseinandersetzung mit anderen Nationalitäten war für mich immer sehr spannend. Denn damals hat man schon in den 70ern und auch in den 80ern, wenn man irgendwie in Clinch geraten ist mit irgend welchen türkischen Freunden oder Italienern, haben die meistens dann im Streit gesagt 'Du Scheiß-Nazi, was willst du?!' - und ich konnte dann immer meinen Pass zücken. (lacht) Die hatten meistens schon die deutsche Staatsangehörigkeit, und ich hab dann gesagt: 'Du Nazi, ich Ausländer, hier, guck, hier!'

Nach Nationalitäten hab ich nie unterschieden, für mich gab's immer nur gut oder schlecht: Schlechter Mensch oder guter Mensch. Und das hat mir geholfen. So, das ist die Story, hat doch ein bisschen länger gebraucht...

Ist aber eine schöne Story.

Ja, und auch in Österreich hatte ich immer Schwierigkeiten. Zu der Zeit musste ich dort immer ein Visum haben, dann bin ich illegal über die Grenze. Bin dann geschnappt worden, und all so'n Scheiß. Das war sehr lustig, und irgendwann, vor fuffzehn Jahren oder so, hab ich dann die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen. Da hab ich noch in Bayern gewohnt, in Landsberg am Lech, und ein osteuropäischer Typ hat sich tot gelacht, dass er mir die deutsche Staatsbürgerschaft ausstellt.

Was hat dich denn ausgerechnet ins Altbayerische verschlagen?

Och, ich habe schon in den Jahren meiner Straßenmusikzeit Ende der 70er in Bayern gewohnt, zwischen Augsburg und München aufm Land, Hippie-WG-mäßig. Ich war immer Bayern-Fan. Vielleicht können Leute, die damit aufgewachsen sind, das nicht so nachvollziehen. Aber als ich das erste Mal in einem Bierzelt gesessen bin, fand ich das faszinierend, dass alle vom Bürgermeister bis zum Penner in einem Bierzelt sitzen. Für mich, der ich im Ruhrgebiet aufgewachsen bin, wo schon alle Szenen sehr getrennt gelebt haben, fand ich das schon sehr einen kommunistischen Gedanken.

Kommunistischer Gedanke... By the way frag ich mich, warum etliche DDR-Ostmusiker wie zum Beispiel Sebastian Krumbiegel in dir ein Vorbild gesehen haben? Wo haben die Kollegen dich entdeckt, wie sind die Kollegen an deine Musik ran gekommen?

Schon vor Grenzöffnung habe ich im Osten gespielt, und 1989, kurz bevor dann die Mauer gefallen ist, endgültig, haben wir ganz große Konzerte gemacht. Da hat die DDR-Regierung versucht, das Ruder rum zu reißen, was aber nicht mehr rum zu reißen war, aber: Die haben dann Leute eingeladen, die vorher nicht dort spielen durften, und haben versucht, westliche Offenheit zu präsentieren. Und da hab ich mit Heinz-Rudolf Kunze, Ulla Meinecke, allen möglichen Leuten, da gespielt. Und das waren immer Riesen-Konzerte. Das gipfelte im größten Konzert in Berlin, da waren 120.000 Leute.

Und das war ein Erlebnis, dass ich wirklich nicht missen möchte: Das kann man in der westlichen Welt nicht mehr haben, dass 120.000 Leute da stehen, und man hat das Gefühl, man steht in 'nem kleinen Club, weil alle wach waren und natürlich wissen wollten, aufgrund der politischen Situation: 'Was hat der da vorne zu sagen? Und auf welcher Seite steht der?' Das fand ich faszinierend!

Und da warst du auf der Bühne?

Jaja, genau, da hab ich auch gespielt. Wir haben - glaub ich - sechs oder sieben Auftritte gemacht. Das Mindeste an Publikum waren in Dresden ungefähr 35.000 Leute, in Leipzig 65.000, und das gipfelte dann wie gesagt in Berlin. Mich haben zu der Zeit ganz viele Leute im Osten gesehen.

Und ich war schon zwei Jahre vorher da, 1987, hab eine kleine Tour dort gemacht und war sehr fasziniert von der Musik dort, weil zu diesem Zeitpunkt die deutschen Texte viel weiter waren, weil sie viel zwischen den Zeilen erzählt haben. Während in der Neue Deutsche Welle-Zeit im Westen viel plattes Zeugs an den Start kam, bis auf wenige Ausnahmen. Und von daher fand ich das immer toll.

Ja, ich find das auch toll, zum Beispiel das Silly-Album, auf dem sie drei Texte umschreiben mussten, weil die dann vors Ministerium zitiert und zensiert wurden - 'ne echt spannende Geschichte! Aber hast du zwischen 1987 und '89 im Vergleich das Gefühl gehabt, 'da ändert sich was'? Hast du dir vorstellen können, dass es wirklich zu einem Mauerfall kommen könnte?

Ja, ja, das war eigentlich schon wirklich allen klar. Irgendwie... Eigentlich war es klar, dass das nicht weitergeht. Also, das war August '89, kurz vor Ende.

"Ich kam schnell zu dem Schluss, dass der Professor den Arsch offen hat."

Damals hatte man ja noch kein algorithmisches Radio, in dem MusicMaster und irgendwelche Programme da sind - also Menschen haben handverlesen die Musik eingesetzt, der Wandel kam dann auch um '89 herum. Jetzt hast du hier eine Zeile

"Hey Stoppok, das Lied is' viel zu lang / das hört sich keiner von hinten bis vorne an / das läuft auch nich' im Radio / das klingt auch nicht, wie das, was man immer und überall so hört. Willst du endlich groß rauskommen, dann änder den Sound! Da gibt's Programme für, und du brauchst feinere Reime!"

Das ist ja wahrscheinlich auch was, das du erlebt hast, dass Leute da was 'besser' wissen?

Ja, na klar, das beste Beispiel beim Rundfunk fällt mir dazu ein, dass wenn man Interviews in den Standard-Sendern gemacht hat, das war schon in den 80ern so, dass die gesagt haben: 'Der Wortbeitrag darf nicht länger als 1'30" sein.' - Da wurde dann jedes interessante Gespräch abgewürgt, aus Angst davor, dass der Hörer weg schaltet, und jetzt haben wir ja eine Flut von Podcasts! Die Leute sind einfach heiß darauf, Stories zu hören. Also, da waren die Klugscheißer auch wirklich falsch gewickelt.

Aber nochmal zu dem, was du gerade gesagt hast: Das mit den Algorithmen, das ist so wie - was weiß ich - platte Charts-Musik, wo ich mir denke: Das können die Algorithmen oder kann K.I. besser machen, und genauso ist auch diese Auswahl an Programmen. Also die Algorithmen können, glaube ich, ein besseres Programm zusammen stellen, als damals, als es das noch nicht gab, als sich die korrupten Redakteure von den Major-Companies haben vorschreiben lassen, was sie zu spielen haben. Für mich hat sich da nicht viel geändert. (lacht)

Ich seh das im Moment auch visionslos. Wenn man Playlists von WDR 2 oder Bayern 3 oder solchen Sendern untersucht, taucht da schon zu 90 Prozent Musik von Universal oder Warner und Sony auf.

Mich hat letztens ein Musikwissenschaftler kontaktiert, der immer Fan von 'Kulturzeit' im Fernsehen war, und irgendwann so ein komisches Gefühl hatte, dass auch da die Musikbeiträge, also die Musik, die da vorgestellt wurde, von Major-Companies gekommen ist. Und der hat darauf hin wirklich eine wissenschaftliche Erhebung gemacht und war nachher erschrocken, dass sein Gefühl noch milder war als die Tatsachen. Das waren irgendwie 95 Prozent nur Major-Acts, die da vorgestellt wurden, bei 'ner Sendung wie 'Kulturzeit'. Das ist schon bitter.

Es gab mal einen Musikprofessor, der dir den Tipp gab, doch die Finger von der Musik zu lassen ...

Das stimmt! Den gab's. Da war ich 16, hatte gerade mit Ach und Krach Fachabitur gemacht, da hat meine Mutter mich so durchgeboxt, mit einem Schnitt von 4,0...

Glückwunsch!

(Lacht) Danke! Ja... War ich auch verhältnismäßig stolz. So'n glatten Schnitt muss man erst mal hinkriegen. Auf jeden Fall hatte meine Mutter Angst, dass ich da zwischen die Räder komm', dann wollte ich eigentlich ihr zuliebe mal ein paar Semester Musik studieren, in Essen auf der Folkwang-Schule. Ich war auch wirklich sehr gut auf der Gitarre. Damals gab's noch keine Pop-Zweige. Mir war klar, dass ich da dann klassische Gitarre studieren muss. Ich bin aber sehr naiv zu einem Professor zum Vorspielen und Sich-Vorstellen hin, und hab ihm gesagt, 'ja, ich weiß, dass hier Klassik unterrichtet wird, möchte ich auch machen, aber ich kann jetzt nur vorspielen, was ich schon kann, dann hören Sie meine Musikalität.'

Der hat nur schon meine Gitarre gesehen, das war eine Stahlsaiten-Gitarre, ich hab damals Fingerpicking gemacht, so Country-Rock-Zeugs, und der hat dann meine Fingerpicks gesehen, die ich mir so drauf gesteckt hat, und damals war's noch ganz extrem: Da hat er schon gar nicht mehr weitergehört, hat mich voll auflaufen lassen. Dass das alles 'Hillybilly-Musik' wäre, und hat mich rausgeschmissen.

Weil's nicht seine Welt war. Und den hast du aber auch gleich gar nicht ernst genommen?

Naja, der war nicht im Ansatz bereit, nach musikalischen Kriterien zu gehen... der war einfach ganz ganz eng, und ich hab dann 'ne halbe Stunde an der Ruhr gesessen und überlegt: 'Kann das denn stimmen?' Und bin ziemlich schnell zu dem Schluss gekommen, dass der 'n Arsch auf hat, und zu meiner eigenen Befriedigung hatte ich dann drei, vier Jahre später mit den Besten der Folkwang-Schule, die alle heiß waren, Jazz und Rock zu spielen, eine Band...

Die dann Krautrock gemacht hat?

Nee, das war eine Band davor, die hatte ich mit 13, 14. Da hab ich noch letztens Aufnahmen ausm Proberaum auf meinem alten Grundig-Tonband-Gerät gefunden. Das ist so ein Vierspurgerät, also zwei Spuren in die eine, zwei Spuren in die andere Richtung. So irre, dass die Bänder noch spielen. Obwohl die bei mir nicht besonders toll gelagert waren. Aber das ist alles noch hörbar, das ist irre. Und das Zeug war wirklich übelster Krautrock. Völlig irre!

Also 27 Minuten-Stücke ohne Text...?

Genau, und keine vier Takte den gleichen Rhythmus! (lacht)

Bei dir taucht der Blues immer wieder irgendwo mal auf deinen Platten auf. Zeigt der Blues diese Sehnsucht nach dem Mississippi-Feeling, oder ist es etwas, das 'automatisch' so kommt, wenn man eine Gitarre in die Hand nimmt oder in deinem Falle auch Banjo und andere Instrumente? Oder hörst du Blues privat einfach gerne?

Blues ist die Basis aller Popmusik. Ich hatte aber davor noch zu meiner Zeit, als ich in die katholische Kirche gelaufen bin, mit acht, neun Jahren, hatte ich das erste 'Bang!'-Erlebnis mit einer afrikanischen Messe. Da hab ich das erste Mal Rhythmus gehört.

Dann kam alles, was Ende der 60er im Radio lief, dazu. Da kam man unweigerlich und logischer Weise eben auf den Blues - also, wenn man sich damit beschäftigt hat. Bis vor ein paar Jahren hab ich mich davon fern gehalten, das auf Deutsch zu machen. Eine reine Bluesform auf Deutsch fand ich ein bisschen komisch.

Irgendwann hab ich aber dann doch gemerkt: Ich bin davon infiltriert, und der Blues bietet ganz viel Freiheit, dass man nicht über 'ne Form nachdenken muss, zum Beispiel. Das bietet viel Fläche für Gefühl. Manchmal bin ich aber auch so, dass ich mir denke, ich hätte das lieber alles nicht gehört und wäre in Bayern aufgewachsen (lacht) mit bayerischer Blasmusik. Das ist einfach so 'ne Hassliebe.

Das ist halt unser Dilemma durch den Zweiten Weltkrieg, dass unsere eigene Musik einfach erst mal unhörbar war, da war eben kein Ansatz. Wir sind dann von der amerikanischen Musik überrollt worden. So sind wir geprägt und sozialisiert.

So langsam, und das find ich auch ganz gut, und das merkt man an der deutschen Sprache, entwickelt es sich weiter. Das sieht man gerade im Hip Hop, wobei es da genau so wie in den Rock-Dingen viele gibt, die nur dem amerikanischen Klischee nachkommen und das ins Deutsche übersetzen. Wenn du dich damit beschäftigst, kannst du mir mit Sicherheit beipflichten. Aber es gibt eben Leute, die noch irgend etwas anderes suchen und mit den Klischees anders umgehen und etwas Eigenes da mit reinbringen.

Wenn du jetzt mit Cäthe oder solchen Musik-Acts, die eine ganze Generation jünger sind, als du, auf deiner aktuellen Platte zusammen triffst, hast du den Eindruck, dass dieser amerikanische Sozialisations-Einfluss da schon schwächer ist? Oder sogar eher stärker wird?

Ich hab schon das Gefühl, dass das nicht mehr so starr ist wie in meiner Generation. Dass die Vorgaben nicht so extrem sind. Aber bei allem hört man, dass das die gleiche Basis hat. Aber es gibt eine Veränderung, das find ich gut.

Cäthe oder Alin Coen - Was verbindet euch? Wie bist du auf die gekommen oder die auf dich?

Ich veranstalte ja regelmäßig Konzerte 'Stoppok und Artgenossen', das bringt mir irrsinnig Spaß. Die Leute, mit denen ich zusammen diese Konzerte spiele, such ich mir immer nach meinem Gefühl aus. Da versuch immer spezielle Kombinationen zu machen.

In den letzten Jahren kam es dazu, dass Cäthe und Alin Coen dabei waren. Aber das hat sich für die Platte... (unterbricht sich) Da muss ich doch noch schnell 'n bisschen ausholen, denn das ist wichtig: Ich hatte die Idee, eine reine Duett-Platte zu machen. Das war ursprünglich der Ansatz. Als erstes hatte ich eine Coverversion vor, von dem Lied, das ich jetzt mit Alin Coen gemacht habe: "Im Wartesaal Zum Großen Glück".

Das ist ein Eurovisions-Beitrag von 1956, meinem Geburtsjahr. Und ich fand den Song soooo großartig. Und das war eigentlich so der Punkt: Ich dachte, ich grab so Songs aus, die noch keiner kennt und die großartig sind, und mach das immer mit einem Gesangspartner oder einer Gesangspartnerin. Das war also das erste, was ich ausgesucht hatte, und ich wollte das immer zusammen mit Erika Pluhar machen, weil wir zusammen ein Konzert gespielt hatten und uns sehr gut verstanden haben, wobei sie nochmal sehr viel älter ist. Ich wollte sie dabei haben, da hat sie mir aber abgesagt, denn sie ist gut über 80, und hat dann gemeint: 'Hättste mich vor zehn Jahren gefragt, wär ich sofort dabei gewesen.' - Aber sie wollte jetzt nichts anderes Neues mehr anfangen, sie ist froh, wenn sie ihre Sachen da noch so machen kann. So.

Und dann hab ich, wie's oft bei mir ist, wenn ich 'ne Idee hab und die nicht sofort pfrunzt, hab ich das wieder beiseite gelegt. Aber in der Zeit haben sich Songs angesammelt, die in Richtung Duett gegangen sind. So kam das einfach.

Diesen Song, den ich mit Aline gemacht hab, den hab ich tausend Mal alleine versucht und hab den wirklich nicht hingekriegt. Also, ohne Alines Stimme und diesen Spirit dabei, wäre dieser Song nichts geworden.

Boah, ich staune jetzt, dass das ein Eurovisions-Beitrag ist. Hätte ich jetzt nicht gedacht. Da muss ich mir das Original mal anhören.

Ja, musst du machen. Das ist ein unfassbarer Song, und auch die Geschichte von diesem Typen, Walter Andreas Schwarz, den ich auch vorher nie gehört hab - das hat mir durch Zufall mal ein Nachbar vorgespielt: Das ist so faszinierend!

Dem Konzentrationslager konnte er mit zehn Jahren entfliehen, und er hat die ganze Kriegs- und Nazi-Zeit in dem Text verarbeitet, das ist sehr, sehr spannend, und der Text haut mich immer wieder um! Der ist großartig.

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