laut.de-Kritik

Müll, Klima, Migration: Stoppok packt an.

Review von

Sarkasmus wirkt manchmal verzweifelt, verbittert oder abgestumpft. Stefan Stoppok verleiht ihm auf "Jubel" jedoch einen sympathischem Unterton: "Morgen kommt die Müllabfuhr / Ham wir denn auch genug Müll gemacht?", fragt er, geht alle Tonnen durch (Bio, Papier, Restmüll, Plastik) und surft auf der Welle der Fridays For Future- und 'Extinction Rebellion'-Bewegung. Das ist durchaus glaubwürdig, denn die Zurück-zur-Natur-Haltung ist der Markenkern des Liedermachers aus dem Ruhrpott.

In "Pack Mit An", einem Song gegen Kriege und Kapitalismus, greift Stoppok die Klischees der Grünen-Gründungsphase zu honigsüßen Klängen charmant auf. Rock mit lässig groovendem Schlagzeug und elastisch wummerndem Bass. Dabei beschimpft der sanfte Deutschrocker quasi das Publikum: Wir sind alle Idioten, "haben alles vergeigt, was irgendwie geht / ein Wunder, dass die Erde sich immer noch, immer noch dreht". Während er sich gegen Flächenversiegelung aufbäumt, mutmaßt er: "Vielleicht kommen neue Wesen, die sich besser benehmen" ("Verjubeln").

In "100 Mio Follower" kreiert er eine interessante Balance: Die scharfe Wortwahl konterkariert der wutfreie Plaudertonfall seiner Stimme. Stoppok schaut mit altmodischer Mucke in die Zukunft und umkurvt so pathetische Zeitgenossen wie Wolfgang Niedecken und dessen Moral-Gedanken großräumig. Er wirkt wie ein lockerer Zeitgenosse, der Americana-Rhythmen und die Akustikgitarre mag, der eine Meinung hat, ohne missionarisch zu werden. Außer aufs Klima nimmt Stoppok auch auf Entgleisungen in den Social Networks und, in "Lass Sie Rein", auf Migration Bezug.

Bluegrass trifft auf die Software-Metapher "Update" ("It's too late / für unseren Freund gibt's kein Update"), die Hammond-B3-Orgel, immer gut für emotionale Töne, kreuzt in "Geld Oder Leben" und in der utopischen Ballade "Eine Annahme" den Weg des Southern Rock à la J.J. Cale. "Geld Oder Leben" und "Pack Mit An" bilden die Höhepunkte der Platte, weil sie Forward-Beats, melancholische Zwischentöne und das typisch Holzige der besten Stoppok-Songs vereinen.

Seine berühmte Heroin-Junkie-Ballade "Leise" erschien ein paar Wochen vor diesem Album auf dem YouTube-Kanal des Videoblogs Hamburger Küchensessions noch mal in einer Unplugged-Version. Eine vergleichbar starke Nummer gelingt Stoppok hier mit dem poetischen "Ein Sternehotel", so man nordeuropäische Folklore (keltische Musik, Irish Folk) zu schätzen weiß. "Das Zimmer ist leicht angeranzt / du lächelst, wie nur du es kannst", lautet eine der typischen Stoppok-Lines. Als rockiger Anspieltipp empfiehlt sich das eingängige "Mal Dein Herz An".

Dass es auf "Jubel" bisweilen schunkelig wird, stört kaum. Die Vorteile überwiegen: Die nörgelige, jungenhafte Stimme hat einfach Wiedererkennungswert. Aus Stoppoks Texten schielt eine Authentizität, nach der sich in unserer digitalen Zeit viele Menschen sehnen.

Trackliste

  1. 1. Verjubeln
  2. 2. Geld Oder Leben
  3. 3. Pack Mit An
  4. 4. 100 Mio Follower
  5. 5. Wenn 2 (Zueinander Passen)
  6. 6. Kein Update
  7. 7. Eine Annahme
  8. 8. Ein Sternehotel
  9. 9. Mal Dein Herz An
  10. 10. Lass Sie Rein
  11. 11. Morgen Kommt Die Müllabfuhr

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LAUT.DE-PORTRÄT Stoppok

Von einem Musikprofessor einst mit dem Tipp versehen, doch lieber die Finger von der Musik zu lassen, sah sich Stefan Stoppok zu einer Trotzreaktion veranlasst.

2 Kommentare mit 3 Antworten

  • Vor 4 Jahren

    Willie und Gerd, seufz - dat war noch was. Ab den 2000ern gab's dann nix mehr hinzuzufügen. Leider.

  • Vor 4 Jahren

    Musik: geil
    Texte: geil
    Band: geil.

    • Vor 4 Jahren

      Vor 20 Jahren hätte ich da noch zugestimmt.

    • Vor 4 Jahren

      @Northern Fanboy:
      Weil sich Künstler nicht weiterentwickeln dürfen oder weil sie sich mal aktuellen Themen widmen möchten anstatt Bücherregale mit den Drehbüchern zur "Willie und Gerd"-Seifenoper zu füllen? Komm ... so einer war Stoppok doch nun auch wirklich niemals; der ist niemals stehengeblieben, hat auch gerne schon mal sein eigenes Publikum vor den Kopf gestoßen oder unpopuläre bis wirtschaftlich unkluge Entscheidungen getroffen, solange er hinter dem Ergebnis stehen konnte ... solltest Du wissen, wenn Du von ihm schon mehr gehört hast als "Willie und Gerd" vor 20 Jahren.
      Gruß
      Skywise

    • Vor 4 Jahren

      Nichts für ungut, ich war eine Zeit lang sehr angetan von ihm - einschliesslich seiner Nebenprojekte. Aber spätestens seit "Neues aus Lala-Land" fand ich, diese "Weiterentwicklung" - die bei Traditionalisten ohne hin eine schwierige Sache ist - stagniert. Und wirtschaftlich unkluge Entscheidungen haben nur sehr bedingt etwas mit musikalischen Reifungsprozessen zu tun.
      Stoppok ist halt musikalisch eher überraschungsarm, was ich überhaupt nicht negativ meine. Ist bloß nicht mehr so meins.
      Greetings back from northern town.