laut.de-Kritik
Wie oft denkst du an den Tod?
Review von Sven KabelitzWie oft denkst du an den Tod? Selten bis nie? Et kütt wie et kütt und et hätt noch emmer joot jejange? Dann wandere weiter. Dieses Album ist nichts für dich.
Texte stellen für dich nur unwichtigen Ballast dar? Dann erreicht auch dich niemals wirklich die Faszination, die "Benji" ausstrahlt. Oberflächlich finden sich hier nur ein paar nette melancholische Gitarren-Folk-Balladen eines in die Jahre gekommenen Sängers.
Nun sind wir endlich unter uns: Kommt mit in die Höhle, die Mark Kozeleks aka Sun Kil Moons in seinem Spielzimmer aus Kuscheldecken erbaut. Denn je weiter man sich in seinen sechsten Longplayer hinein traut und je mehr man sich mit ihm beschäftigt, um so tiefere Fleischwunden reißt dieses schwermütige und unbarmherzige Untier. Es nimmt dich dorthin mit, wo die wilden Kerle wohnen und ohne eine vergossene Träne kommst du nie wieder heim.
Der ehemalige Red House Painters-Frontmann singt über Gevatter Tod, Katastrophen, Begräbnisse, Verlustängste und die Kleinigkeiten dazwischen, die wir Leben nennen. "We'd go downtown and get ice cream and feed french fries to the pigeons." Seine zum größten Teil autobiografischen Texte pendeln zwischen John Irvings großem Drama und der ungeschminkten Aufrichtigkeit einer Joni Mitchel.
Ohne gekünstelt zu wirken, zeichnen sie offen und unverblümt einen unerbittlichen Alltag nach. Mit geschickt eingeflochtenen Erzählungen über David Bowies "Young Americans", Pink Floyds "Animal", den Led Zeppelin-Film "The Song Remains The Same" oder The Doors zieht er dich kumpelhaft an seine Seite, um dir im nächsten Moment den Dolch in den Rücken zu stechen.
Ein Xylophon, Bass, Steve Shelleys Schlagzeug oder Will Oldhams Backing Vocals dienen lediglich als gezielte dramaturgische Akzente. Im Vordergrund stehen immer Mark Kozelek und seine Gitarre. Nur im von einem Rhodes Piano getragenen "Jim Wise" hält diese still.
Die meisten Tracks treten Hand in Hand mit ihren thematischen Geschwistern auf. "Carissa" erzählt von Marks 35 Jahre alter Cousine zweiten Grades, die sich für ihre Nachtschicht fertig macht, nur um im nächsten Moment auf Grund einer Sprühdose, die im Abfall explodiert, zu verbrennen.
Während des Songs versucht er einen Sinn in ihrem absurden Ableben zu finden. "Carissa was thirty-five / You don't just raise two kids and take out your trash and die." In "Truck Driver", das den frostigen Geist von Springsteens "Nebraska" atmet, stirbt sein Onkel und der Großvater von "Carissa", ein alter Redneck, auf dieselbe Art und Weise, in dem er eine Spraydose auf einen in Flammen stehenden Müllhaufen wirft. "I flew out there, I went to his funeral / It was stormy that day, the sky was deep purple / And babies were crying, Kentucky Fried Chicken was served / And that's how he would have wanted it I'm sure."
"Richard Ramirez Died Today of Natural Causes" handelt von Richard Ramirez, der in den 1980er dreizehn Menschen ermordet. Mit dem Blut seiner Opfer malt er umgedrehte Pentagramme an die Wände. 19 Mal zum Tode in der Gaskammer verurteilt, stirbt er 2013 in Haft einen friedlichen und natürlichen Tod.
Dem gegenüber stellt Kozelek mit stockdunkler und monotoner Stimme die Schicksale anderer Menschen. Den zweiten Teil der Serienmörder-Dilogie bildet "Pray For Newtown", geschrieben als Reaktion auf einen Brief, in dem ein Fan ihn bittet, für die Opfer des Amoklaufs an der Sandy Hook Elementary School in Newtown zu beten. Dabei kommen in Mark auch die Erinnerungen an den Batman-Killer, Anders Behring Breivik und weitere Attentäter und Massenmörder hoch. "When your birthday comes and you’re feeling pretty good / Baking cakes and opening gifts and stuffing your mouth with food / Take a moment the children who lost their lives / And think of their families and how they mourn and cry."
Das der in Ohio geborene Sänger tatsächlich auch noch ganz anders kann, zeigt sich in dem vergleichweise schier übersprudelnden "Ben's My Friend". In dem sonnigen Track, der auch von seiner Freundschaft mit Benjamin Gibbard, dem Sänger von Death Cab For Cutie, handelt, fährt er mit einem vor sich hin schmetternden Saxophon und einem spanischen Gitarrensolo dick auf.
In "Dogs" hetzt Mark Kozelek sehr anschaulich aber auch zärtlich und voller Scham durch seine ersten sexuellen Erfahrungen. "The nature of attraction cycle's on and on / And nobody's right and nobody's wrong / Our early life shapes the types to whom we are drawn / It's a complicated place, this planet we're on."
Der Boogie "I Love My Dad" erzählt von Kozeleks Verhältnis zu seinem Vater und dessen Lektionen. Er lehrt ihn die Schönheit der Geduld zu genießen und nichts auf Klatsch und Tratsch zu geben. Als der kleine Mark weinend aus dem Kindergarten nach Hause kommt, weil er neben einem Albino sitzen muss, nimmt ihn Dad zur Seite. "You gotta love all people / Pink, red, black or brown."
Selbst Papas all zu lockere Hand verzeiht ihm der Sänger mittlerweile. "I ain't trying to say my dad was some kind of a perfect saint / When something set him off, I hit the floor quicker than what Mike Tyson did to Ricky Sveen / I hit the floor so fast, but that was so long ago and we both moved past / My life is pretty good, I owe it to him / My dad did the best he could." Ich beneide ihn.
Letztendlich erwischt mich "Benji" volle Breitseite in "I Can't Live Without My Mother's Love". "My mother is seventy five / She's the closest friend I have in my life / Take her from me, I'll break down and bawl / And wither away like old leaves in the fall." In liebevolle Worte verpackt Kozelek seine Angst vor dem Tag, an dem er sich von seiner Mutter, seiner besten Freundin, verabschieden muss. "When she’s gone, I’ll miss our slow, easy walks / Playing Scrabble, the chimes of the grandfather clock / I’ll even miss the times we fought / But mostly I’ll miss being able to call her and talk / When the day comes for her to leave / I won’t have the courage to sort through her things."
Nun verlasse ich die finstere Höhle wieder und habe dank "I Can't Live Without My Mother's Love" mehr als nur eine Träne vergossen. Doch die düstere Romantik und schmerzhafte Ehrlichkeit auf Sun Kil Moons "Benji" bietet mehr als nur einen Ausweg: Ein Longplayer, zu dem ich immer wieder zurückkehren werde. Nur selten hat mich einer so berührt und persönlich getroffen.
17 Kommentare mit 38 Antworten
Nochmal danke an Menschenfeind, mein persönliches Album der Woche. Hab's mir mittlerweile auch bestellt.
Überragend von vorn bis hinten, bis jetzt mein Lieblingsalbum 2014.
Klingt vielversprechend. Ich werde ein Ohr riskieren.
hallo jungs. kenne SKM nur von ghosts of the great highway, was ne unvergleichliche athmosphaere hat. auch wenn ich kein boxfan bin.. muss hier mal reinhoeren. ihr flamer!
Muss mal was von Kozelek nachholen. Angefangen bei Red House Painters.
Grace Cathedral Park wird schon mal für herrlich befunden.
http://pitchfork.com/news/56989-here-it-is…
Ist dann doch ziemlich witzig geworden
...aber ein Weihnachtsalbum nachschieben. Kozelek sieht seinen Zenit auch nur noch von unten und seine Epigonen von hinten.
Mag sein. An sich find ich die Hänseleien gegen The War On Drugs, die ihm ja nix getan haben auch etwas kindisch und seiner eigentlich nicht würdig. Aber aus humoristischer Sicht gibt der Song schon was her. Und seine Charakterisierung von War On Drugs als John Mellencamp / Dire Straits / Bruce Springsteen / "whitest band ever" -Verschnitt ist halt einfach ziemlich on point.
Wenn das in der Mischung "beer-commercial rock" ergibt, bitte mehr Bierwerbung. Unterhaltsamer als die variantenarmen Vertonungen seiner saftlos-langweiligen Alterseskapaden unter dem SKM-Pseudonym ist es für mich allemal.