laut.de-Kritik

Das Herz bleibt dunkel.

Review von

Über sieben Jahre liegt Anna von Hausswolffs letztes klassisches Album "Dead Magic" bereits zurück. Seitdem gab es ein reines Orgel-Album ("All Thoughts Fly"), Proteste fundamentalistischer Katholiken, ein Live-Album ("Live at Montreux Jazz Festival") und diverse Kollaborationen (Yann Tiersen, Sunn O)))). Und in den ersten Minuten von "Iconoclasts" ("The Beast") steht nicht etwa sie, sondern der schwedische Jazzmusiker Otis Sandsjö (Saxofon, Klarinette) im Mittelpunkt. Ein Mann, der im Laufe des neuen Albums zu ihrem getreuen Sidekick, ihrem Dr. John H. Watson, ihrem Samweis Gamdschie wird. Der Einstieg gehört ganz ihm. Vollkommen gerechtfertigt.

Ihre seit fünfzehn Jahren von sakralen Orgeln bestimmte Musik verführt regelrecht dazu, von Hausswolff zu kanonisieren. Wie Titel und Cover bereits zeigen, möchte sie dies verhindern, in dem sie an ihrem eigenen Bild kratzt. Ganz Bilderstürmerin versucht sie, sich zu zerstören. Wie könnte dies aus ihrer Position heraus besser gelingen, als wenn sie in ihre düstere Doom-Welten erstmals Pop-Ansätze aufnimmt.

Vorab die Entwarnung: Die Grundbasis bleibt wie früher. Die 39-jährige Schwedin singt nun nicht in einem bunten Katzenkleid zu munteren Melodien von der Schönheit der jungen Liebe und dass man doch nur ganz feste an sich glauben muss. Sie richtet sich nicht nach Spotify-Regeln, es gibt keine Mitsingrefrains, keine Rap-Features oder Beats. Das Herz bleibt dunkel, aber erstmals dringen Sonnenstrahlen durch den dichten Nebel. Ein Song wie das mit Ethel Cain entstandene "Aging Young Women" könnte es versehentlich in manche Playlist neben einen Lana Del Rey-Track schaffen. Ein traumversunkenes Stück, das sich mit dem schmerzlichen Vergehen der Zeit, unerfüllten Träumen und den Echos verpasster Möglichkeiten auseinandersetzt.

War von Hausswolff auf "All Thoughts Fly" ganz für sich, öffnet sie nun weit die Tore. Sie igelt sich nicht mehr ein. Die Musiker:innen-Liste fällt in etwa doppelt so lang aus wie auf all ihren bisherigen Alben zusammen. Sie gönnt sich ein kleines Orchester, und mit den Gastauftritten von Ambient-Tüftler Abul Mogard, Gothic-Art-Künstlerin Ethel Cain, dem ewigem Punk-Maskottchen Iggy Pop und ihrer Schwester Maria von Hausswolff gleicht "Iconoclasts" fast schon einem Kaffeekränzchen. Möge der Kaffee stark und der Kuchen süß sein.

Um so wichtiger erscheint dabei jede Note von Otis Sandsjö. Gemeinsam mit ihrem kongenialen Partner rotiert Anna von Hausswolff die Songs in Bewegung, baut sie auf, lässt sie mutieren, brechen, still stehen und doch niemals in den über 72 Minuten zur Ruhe kommen. Die Stücke gleichen Abenteuern, in denen bombastischer Doom-Metal, Ambient, Folk, Gothic, Drone und Chamber-Pop wild durcheinanderwirbeln.

Anna von Hausswolff zeigt sich dabei abwechslungsreicher denn je. Die einst so bestimmende Orgel wird nun zu einem Element unter vielen, ohne ihre Kraft zu verlieren. Sie bedroht nicht länger, sondern versucht tastend ihre ersten Umarmungen. Gleichzeitig wirken viele Passagen eingängiger, ohne jedoch an Radikalität einzubüßen. Über all dem schwebt ihre Stimme – kraftvoll, mystisch und weit tragend.

"Facing Atlas" schwebt, bis ein frostklirrender Rhythmus den Track einfängt und Stück für Stück zu Boden zieht. Eine Schönheit, in die von Hausswolff die Worte "The world is full of shit and full of evil" spuckt, über das Risiko singt, sich aufgrund von Bindungen im eigenen Schicksal zu verlieren und wie im Gefängnis zu fühlen.

In "The Whole Woman" spielt sie mit Iggy Pop das alte klare Frauen- vs. gebrochene alte Männerstimme-Spiel, das spätestens seit "Nancy & Lee" tausend mal kopiert wurde und immer wieder funktioniert. Auch hier. Eine in Hall geborgene Ballade, in der Pops lädierter Bariton zuerst wie ein Fremdkörper wirkt, sich jedoch Stück für Stück einfügt.

Das flirrende, von Sandsjö eingeleitete "Struggle With The Beast" entwickelt sich zu einem ungemein rhythmischen, von Jazz durchdrungenen Fiebertraum. Kreisförmig schlingt sich sein Saxofon um diesen bombastischen Track, während sich unter ihm Drone, Krautrock und keltische Einflüsse zu einer faszinierenden Melange verschmelzen. Dann bremst alles ab, AvH übernimmt: Ihre Stimme wirbelt in all ihren Möglichkeiten, bevor sich die beiden Künstler:innen den Song hin und her reichen, immer auf der Suche nach einer neuen Abzweigung. Ein Highlight zwischen Highlights. Nach diesem Wahn reist "Iconoclasts" die Handbremse abrupt nach oben, feiert zusammen mit Abul Mogard im Ambient-Stück "An Ocean Of Time" den Stillstand.

Der Titelsong "The Iconoclast" reiht sich mit seinen über elf Minuten in die Tradition von "Come Wander With Me/Deliverance" oder "The Truth, The Grow, The Fall" ein. Die Schwedin versucht sich dabei in einer ungewohnt hohen Stimmlage. Von Beginn an wechseln sich das dröhnende Schlagzeug und Ambient-Passagen ab, bis Sandsjös Klarinette zu einem traumhaftem Solo ansetzt, das wiederum in eine von AvHs glänzendsten Gesangsmelodien übergeht.

"Iconoclast" mag zugänglicher sein als die Vorgänger, aber nicht weniger schonungslos. Anna von Hausswolff zeigt sich abwechslungsreicher als je, hält die Intensität durchgehend im Höchstbereich. Egal ob sie lärmt oder flüstert. In ihren direkten, das Alter, Verlust und psychische Zerbrechlichkeit thematisierenden Texten zeigt sie sich verletzlicher und schonungsloser als zuvor. Ein weiteres aufwühlendes Werk einer Ausnahmekünstlerin, die in ihrer Entwicklung nie stillsteht und mit jedem Album eine neue Stufe ihrer selbst sucht.

Trackliste

  1. 1. The Beast
  2. 2. Facing Atlas
  3. 3. Iconoclast
  4. 4. The Whole Woman
  5. 5. The Mouth
  6. 6. Stardust
  7. 7. Aging Young Women
  8. 8. Consensual Neglect
  9. 9. Struggle With The Beast
  10. 10. An Ocean Of Time
  11. 11. Unconditional Love
  12. 12. Rising Legends

Preisvergleich

Shop Titel Preis Porto Gesamt
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Von Hausswolff, Anna – Iconoclasts €13,99 €3,00 €16,98

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

4 Kommentare mit einer Antwort