laut.de-Kritik
Denkbar beste Form für eine Best Of.
Review von Philipp KauseMit "An Evening Of New York Songs And Stories" befreit Suzanne Vega den Hörer aus unserer hektischen Multitasking-Ära. Dabei handelt die Live-Platte von einer hektischen Stadt, New York. Nicht zum ersten Mal widmet Suzanne sich konzeptuell ihrer Heimat-Metropole. Die Platte "Beauty And Crime" verband bereits 2007 alle Songs entlang dieser Stadt. Mit vier Songs schiebt Suzanne jenes Album auch in den Mittelpunkt, neben ihrem legendären Debüt. Aus der ersten Platte von 1985 nehmen "Some Journey", "Freeze Tag", "Cracking" und das überragende "Marlene On The Wall" hier Platz.
"Some Journey" liefert ein gutes Stichwort. Denn das ganze Album nimmt auf eine gedankliche Reise mit. Dazu tragen bei weitem nicht nur die Texte bei. Dream-Pop verbindet man gemeinhin mit Synthesizer-Spielereien. Davon kommen auf der Platte nur wenige zum Tragen, gerade in dem Song "Some Journey" etwa. Oder natürlich im Intro von "Tom's Diner", dem ersten Song, der je als MP3 existierte - weil die Tonhöhenschwankungen der Synthies und die andererseits raue Folk-Instrumentierung die Technologie-Tüftler herausforderte. Aber eine verträumte Stimmung erzeugt Suzanne auch mit ihren gesanglichen Phrasierungen, mit ihrem süchtig machenden Spiel an der akustischen Gitarre und gutem Gespür für Timing.
Nie verliert Suzanne Vega den Faden: Sie hat ihr ganzes Set vom ersten bis zum letzten Moment ständig vor Augen, lässt dem Publikum keine Zeit sich auch nur eine Sekunde zu langweilen. Applaus aus der kleinen Location ist kaum aufgenommen, dafür sind die Ansagen enthalten. Sie zeigen, dass die Songwriterin den Ablauf minutiös ausgefeilt hat. Am Anfang möchte sie wissen, wer von außerhalb New Yorks im Publikum ist. Dann erklärt sie kurz, was sie über New York denkt und führt an Manhattans 59. Straße und die Ludlowstraße ("Frank And Eva", "Ludlow Street"), in die queere Szene (Lou Reeds "Walk On The Wild Side"), an jede beliebige Straßenecke ("Anniversary") und nach Upper East Side, wo "Tom's Diner" offen hat.
Wenn der angejazzte "Thin Man" eine gute Stunde abrundet, fühlt es sich an, als habe man drei Stunden Musik gehört. Denn Vega unterhält nicht nebenbei. Mit missionarischer Direktheit rückt sie auf die Pelle. Sie verleiht ihren wohlbekannten Melodien hier brillanten, höchst exakten Klang. Besonders, wenn ein Klavier ins Spiel kommt, glänzt das Konzert, in "Luka", im schwungvollen "New York Is My Destination" und im subtilen "Anniversary". Die Alternative-rockigen Riffs von "Frank And Ava" und "Tombstone" zeigen eine weitere Seite von Suzanne, die über zartes Akustik-Storytelling hinausreicht.
Die kontrabasslastige Darbietung von "Walk On The Wild Side" unterscheidet sich nicht wesentlich vom Original, aber dass Suzanne hier mit ihrer Stimme recht tief einsteigt und sich rauchig-maskulin im Ton gibt, überrascht. Zur Vielfalt der Instrumentierungen gehört schließlich auch die Unplugged-Schlichtheit von "New York Is A Woman". NYC nimmt sehr verschiedene Rollen ein, vom Touristenmagnet über den Business-Standort bis zu ganz durchschnittlichen Menschen, von Glanz, Stil und Stolz bis zur Unterwelt und Drogenkriminalität. New York müsse man 'ausziehen', entkleiden, um es richtig zu erkennen, New York sei "every girl you've seen in every movie".
Die Abstände zwischen neuen Vega-Alben sind lang geworden. Doch auch die Kombination bestehender Songs in neuer Reihenfolge hat etwas Frisches. Alle hier performten Songs besitzen zeitlose Schönheit, unterlagen schon 1985, '87, '94, 2007 und '16, als Suzanne sie schuf, keinen Moden, und Lou Reeds Song von 1972 wirkt ohnehin stets aktuell. "An Evening Of New York Songs And Stories" steckt voller plastischer Beschreibungen von Plätzen. Im Raumklang der Musik, wo die Toningenieure ganze Arbeit leisteten, spiegeln sich diese anschaulichen Texte vortrefflich und bieten Genuss für die Ohren.
1 Kommentar mit einer Antwort
Tom‘s diner wurde in der Original-Acapela-Version als mp3-Referenz verwendet.
Die Synths gibt es nur im unsäglichen Remix.
Ja, das stimmt. Das Acapella gab es schon längere Zeit, live sogar schon acht Jahre lang. Durch den Remix-Hit wurde das Fraunhofer-Institut dann aufs Original aufmerksam, so hatten sie mehrere Versionen zum Vergleichen. Mehr zu dem Acapella und dem ersten MP3 steht hier im Interview mit Suzanne https://www.laut.de/Suzanne-Vega/Interview…