laut.de-Kritik
Die Fortsetzung eines Meilensteins.
Review von Rinko HeidrichIrgendwann hatte er genug von The Streets. Mike Skinner war fertig mit Musik und sah seine Zukunft nicht mehr in Releases. Seine neue Leidenschaft floss ins DJing und vor allem in Filmprojekte. Nicht ganz unlogisch, da seine Alben immer wie kleine Dramen über die Schattenseiten des Lebens anmuteten. "The Darker The Shadow, The Brighter The Light" ist sein Baby, an dem er seit fast einem Jahrzehnt arbeitet. Ein kleiner Noir-Thriller über Kriminelle, über die Versager des Alltags, die abseits der Gesellschaft ums Überleben kämpfen. "A Grand Don't Come For Free" war schon eine episodenhafte Erzählung um einen Loser, der Streit mit seiner Freundin hat, Drogen-Abstürze in Clubs erlebt und ganz allgemein sein Leben nicht auf die Kette bekommt. Diese Troubled Kid-Inszenierung stiftete nicht nur in Großbritannien großes Identifikationspotential. So ziemlich jeder Twenty-Something weltweit konnte mit diesem Versagergefühl relaten.
Mit "The Darker The Shadows" steht nun praktisch die Fortsetzung dieses Meilensteins an. Da kommt es gar nicht von ungefähr, dass "Troubled Waters" wie "Blinded By The Lights, Pt 2" seinen mittlerweile doch deutlich älteren Protagonisten wieder zurück ins Verderben sendet. "This night isn't Disney, the B movie started". Das Leben hier im Schutz der Nacht reicht nicht mal zum Hollywood-Glamour, sondern bleibt trostlos und etwas klischeebeladen. Schwer einzuschätzen, ob Skinner all diese Dinge wirklich noch selber erlebt, aber er bleibt auch mit Mitte 40 ein begnadeter Street Poet, der seine Stories aus Tausend Nächten durchaus glaubhaft vermittelt. Ansonsten bleibt der Track natürlich allein durch die Zusammenarbeit mit Dauer-Kumpel HH ein schönes Nostalgie-Erlebnis. Nur ein paar Sekunden seiner souligen Stimme und die ebenso harte Y2K-"Has It Come To This"-Vibes” bringen einen zurück nach 2002.
Outdated klingt das bei aller Rückbesinnung nicht, denn auch damals waren das Grundgerüst nur ein paar minimalistische Garage-Beats, über die Skinner in einer Art Spoken Word-Vortrag über seine eigenen Verfehlungen und die seiner Mitmenschen laut nachdachte. "Bright Sunny Day" braucht nur die Tastenanschläge von der Korgis-Ballade "Everybody's Got to Learn Sometimes" um eine Moll-Stimmung zu erzeugen. Da gibt es den hoffnungslosen Ton im Refrain, in dem die Hoffnung auf bessere Zeiten aufgibt. Und es gibt den "Deal With It"-Trotzoptimismus, der sämtliches Selbstmitleid mit einer Toilette vergleicht, die das Schicksal eines vollgepissten Objekts ohne Gemurre erträgt. Diese feine Balance zwischen Schmerz und absurd-komischer Tragik bleibt einfach eine Stärke von The Streets.
Er kann natürlich nicht mit der Energie und dem neuen Sound der jungen Wilden wie Slowthai, Skepta oder Aitch mithalten. Die klingen allesamt härter und böser, aber schon zu seinen Anfangszeiten wollte man ihn kurz zu einer Art europäischen Eminem aufbauen. Doch im Gegensatz zu ihm gab es nie die übergroßen Comic-haften Erzählungen oder den Wunsch, jeden Gegner im Battle nieder zu ringen. Das war immer näher am Menschen. Die müssen zwar auch mit Spott zurechtkommen, aber eigentlich mag Skinner sie auch. Die Trottel, dir ihr eh mieses Leben mit weiteren miesen Entscheidungen weiter in den Abgrund treiben.
"Not A Good Idea", der ernste Bruder von "Fit But You Know It", bringt das Dilemma auf den Punkt "The devil is on my shoulder tonight/But the other guy is quiet". Er weiß auch um diese Voyeur-Mentaliät, in der weiße Oberschichtler solche Straßen-Erzählungen in ihren behaglichen Internats-Buden fasziniert lauschen. "Bad men do what good men dream of." Die Kleingangster in seinen Erzählungen sind keine gute Menschen, aber sie versuchen es wirklich jeden Tag, bis die Nacht wieder alles zunichtemacht. Diese subtile und erwachsene Art der Erzählungen fehlte doch in den letzten Jahren, in dem es weniger um Sprachkunst als Krassheit ging.
Hoffentlich bleibt es nicht bei dieser unverhofften Rückkehr, die eigentlich nur als ein Beiwerk zu einem größeren Projekt dient. "The Darker The Shadow, The Brighter The Light" schließt mit diesem Material trotz einer langen Pause nahtlos an die stärkeren Streets-Alben an. Ein Beweis, dass Skinner jederzeit so etwas aus dem Ärmel schüttelt. The Streets scheint musikalisch und auch im Kopf von ihm ein Nostalgie-Ding zu bleiben. Die Zukunft bleibt unklar. Im Nachtbus geht es in "Good Old Daze" angeschickert-melancholisch nach Hause. Wo immer das auch ist, hoffentlich findet er auch wieder Platz für ein Streets-Album. Aber wahrscheinlich bleibt es bei einem "Hey, das hat Spaß doch gemacht. Lass uns das doch mal wiederholen"-Moment, bei dem er nur still nickt, das Album in die Hand drückt und dann zur Tür geht. "Sehen wir uns noch einmal wieder?". Mike schaut nur kurz, geht raus und lässt uns unwissend zurück. Wir sind wieder allein. Hello Darkness, my old friend.
1 Kommentar
Höre das hier gerade während der Arbeit durch und gefällt mir so oberflächlich gehört auf ganzer Länge ohne Tracks die man skippen möchte. Ob es an Original Pirate Material herankommt kann ich erst sagen wenn ich mich mehr mit den Texten beschäftigt habe, aber bisher ist das schon mehr als ich erwartet habe (was nichts war, da ich das release nicht auf dem Schirm hatte).