laut.de-Biographie
Tiken Jah Fakoly
"Ich habe keine Angst. Wenn sie mich ermorden, weil ich eine Wahrheit gesagt habe, soll es so sein. Ich bin bereit. Es muss jemand geben, der die Dinge beim Namen nennt." Tiken Jah Fakoly ist so jemand. Nachdem er in Folge seiner stets unverblümten, oft regimekritischen Äußerungen mit dem Tode bedroht und mehrere Personen aus seinem nahen Umfeld ermordet werden, lebt der Mann mit der nach Alpha Blondy wohl bekanntesten Stimme der Elfenbeinküste seit Beginn der Nullerjahre im Exil in Mali.
Tiken Jah Fakoly beginnt seinen Lebensweg unter dem Namen Doumbia Moussa Fakoly am 23. Juni 1968 in Odienne im Nordwesten der Elfenbeinküste, unweit der Grenze zu Guinea. Hineingeboren in eine Familie, die eine Jahrhunderte alte Griot-Tradition pflegt (Griots sind so etwas wie afrikanische Märchenonkel), geht dieses Erbe, die Pflicht, Geschichte und Geschichten weiterzutragen und durchaus auch zu kommentieren, auf den Sohn über - sehr zum Missvergnügen des Vaters. Der nämlich hätte lieber gesehen, dass sich sein Spross mit guten Noten in der Grundschule hervortut. Doch der Bengel hat nichts als Musik im Kopf.
"Seit 1977 wollte ich eigentlich immer nur tanzen", erinnert er sich. Die Schule verkommt in den Augen des Knaben zur Nebensache. Auch die erzieherische Maßnahme, den Problemfall zu Verwandten zu verfrachten, fruchtet anders als geplant: Hier kommt Fakoly erst recht mit Reggae in Kontakt. "Reggae ist wie der Herzschlag, man spürt ihn, ohne ihn verstehen zu müssen. Diese Musik wurde von Leuten ins Leben gerufen, die wie Bob Marley in den Ghettos geboren wurden, die dort aufgewachsen sind, die dort diese Musik gemacht haben und die beschlossen haben, durch ihre Musik das Leiden der Leute aus den Ghettos auszudrücken. Wenn jemand Reggae singt, kommt es aus dem Herzen - eine ernste Angelegenheit."
Erst nach dem Tod des Vaters stürzt sich Fakoly, der sich den Bühnen-Beinamen Tiken Jah zulegen soll, voll und ganz in die Musik. 1987 gründet er seine erste Band. Ihr Name, die Djelys, stellt eine Hommage an das Familienerbe dar, handelt es sich doch bei der Bezeichnung "djely" um ein anderes Wort für "Griot". Mit zahlreichen Live-Auftritten erarbeitet sich die Combo einen exzellenten Ruf. Mit 20 spielt Tiken Jah Fakoly das erste Demo-Tape ein. 1992 treten die Djelys als Support-Act des an der Elfenbeinküste äußerst populären Reggae-Musikers Solo Jah Gunt auf.
Ausgerechnet ein Talentscout von Marlboro entdeckt die Crew und lädt sie 1993 zu einem von seiner Firma veranstalteten Nachwuchswettbewerb ein. Die Djelys gehen unter 200 Teilnehmern als vierte aus dem Contest hervor und öffnen sich so Tür und Tor: Infolge von Radio- und Fernseh-Auftritten bringen sie es zu nationaler Bekanntheit. Noch im gleichen Jahr entsteht das schlicht "Djelys" betitelte Debüt-Album. Ein Jahr darauf legen die Djelys mit "Missin" und einer Tour quer durchs Land nach. Beide Longplayer kursieren in Tape-Form in unzähligen legalen und illegalen Kopien.
1993 stellt für die Elfenbeinküste ein turbulentes Jahr dar. Nach den Tod des ersten Präsidenten Félix Houphouet-Boigny, der seit 1960 quasi alleine an der Macht war, versinkt das Land im Chaos. Tiken Jah Fakoly lässt sich nicht einschüchtern, prangert Ungerechtigkeiten, Korruption und leere Versprechungen an und macht sich einen Namen als Redner und Sänger bei Protestkundgebungen. Im Interview mit dem Magazin Riddim erinnert er sich an seine Anfänge: "Als ich jemanden kennenlernte, der Englisch sprach, ließ ich mir die Texte von Burning Spear, Bob Marley etc. erklären. Dadurch entdeckte ich die Intention von Reggae, ich entdeckte die Botschaft dieser Musik. Reggae handelt von Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Rassismus, und ich befand mich in einer ganz ähnlichen Situation! Ich sagte mir, es gibt Menschen in Jamaika und in der ganzen Welt, die über diese Probleme sprechen. Da wurde mir klar, dass auch ich sprechen muss."
Lauthals erhebt Tiken Jah Fakoly 1994 seine Stimme gegen von der neuen Regierung erlassene rassistische Gesetze. Seine Single "Mangercratie", mit der er 1996 die Einlösung von Wahlversprechen und ausreichend Nahrung für das Volk fordert, wird trotz Zensur zu einer Hymne des Protests. Volle fünf Monate hält sich die Nummer in den Charts und bereitet den Weg für das 1999 unter gleichem Titel folgende Album.
Inzwischen widmet sich Tiken Jah Fakoly verstärkt seiner Solo-Karriere. Im Frühjahr 1998 tritt er erstmals in Europa auf: Bei einer Show in Paris entdeckt ihn auch ein europäisches Publikum, das die Kombination aus nahezu freundlichem, leicht melancholischen Roots-Reggae und explosiven Texten beeindruckt. Da Fakoly meist auf Französisch, seltener auf Englisch oder auf Dioula singt, der verbreitetsten Sprache der Elfenbeinküste, erschließt sich ihm in logischer Folge hauptsächlich der frankophone Markt. Im Jahr 2000 steht Tiken Jah Fakoly, wieder in Frankreich und im Vorprogramm von Israel Vibration, auf der Bühne.
Das Potenzial eines Mannes, der längst ein fester Bestandteil der Musikszene seines Heimatlandes ist, bleibt der Geschäftswelt nicht verborgen: Bei Barclay/Universal nimmt man Tiken Jah Fakoly unter Vertrag. Mit dem Geld des Majorlabels im Rücken lassen sich plötzlich Träume verwirklichen. Nach "Cours D'Histoire" und "Le Caméléon" erscheint 2002 mit "Françafrique" der erste international veröffentlichte Longplayer. Abgemischt in Jamaikas legendärem Tuff Gong Studio sind unter anderem Anthony B. und U-Roy zu hören. Sly und Robbie stellen die Rhythmusgruppe, für die Produktion zeichnet The Wailers-Keyboarder Tyrone Downie verantwortlich.
Während Tiken Jah Fakoly mit seinem Werk, für das ihm im Jahr darauf bei den Victoires de la Musique der Preis für den besten Künstler im Bereich Weltmusik verliehen werden soll, durch Frankreich tourt, erschüttert ein neuer Bürgerkrieg sein Heimatland. Mit seinen offenen Statements gegen die dortige politische Führung und gegen die Afrika-Politik der französischen Regierung, gegen Waffenhandel und andere Mauscheleien, macht sich Fakoly zum Staatsfeind. Er erhält Morddrohungen, etliche seiner Freunde lassen tatsächlich ihr Leben. 2003 flieht er ins Exil nach Mali.
Mundtot gemacht ist ein Tiken Jah Fakoly allerdings nicht so schnell. "Ärger kennt, genau wie die Liebe, keine Grenzen", verkündet er auf seiner Homepage. Mit "Coup De Gueule" ('Schimpfen') liefert er 2004 ein mit kaltem, aber kontrollierten Zorn gespicktes Album ab, zu dessen Gelingen wieder das bei Tuff Gong entdeckte Veteranen-Team beiträgt. Zur ersten Vorstellung in Malis Hauptstadt Bamako reisen 20.000 Fans an, viele davon aus Fakolys Heimatland, in dem er nach wie vor nicht auftreten darf. Mit Songs wie "Quitte Le Pouvoir" schwingt er sich zum Sprachrohr einer ganzen Generation auf. "Unsere Aufgabe ist es, das Bewusstsein der Menschen zu wecken, die Menschen zu informieren. Ich glaube, dass wir eines Tages alle gemeinsam in Afrika 'Nein' zur westlichen Welt sagen werden", so Fakoly im Gespräch mit Riddim.
Trotz des prophezeiten "Nein" zur westlichen Welt bewahrt sich Tiken Jah Fakoly seine Offenheit und konzentriert sich nun insbesondere auf seine internationale Karriere. Im Oktober 2005 tritt er bei der Weltmusik-Messe Womex in Newcastle auf, im darauf folgenden Sommer beglückt er von Roskilde über Sziget, von Summerjam und Chiemsee Reggae Summer bis hin zum Paléo so gut wie jedes geeignete europäische Festival.
Auf dem im November 2007 erscheinenden Album "L'Africain" (auch: "The African") verlagert sich sein Fokus weg von nationalen hin zu transkontinentalen Zusammenhängen. Nach wie vor wettert er zu einer fast harmlos tönenden Mischung aus Roots-Reggae, afrikanischem Folk und Pop über herrschende Missstände, gegen Korruption und die ungebrochen fortschreitende Ausbeutung Afrikas durch die westliche Welt und spricht sich für Fortschritt, Demokratie und einen geeinten Kontinent aus.
Neben Musikern aus seiner Heimat rekrutiert sich Tiken Jah Fakoly seine Mitstreiter in Benin, von den Westindischen und Kapverdischen Inseln und in Frankreich, wo der Longplayer auf einer Hallentour vorgestellt wird. Die Aufnahmen entstehen in Bamako, London und Paris. Mit Akon kommt ein Feature-Gast aus der Hip Hop-Ecke an Bord. Auf internationale Tournee geht es im Sommer 2008.
Ein Konzertmitschnitt aus Paris fasst den druckvollen Entertainer-Stil Fakolys und 17 seiner besten Songs grandios zusammen, ein paar nimmt "Live À Paris" bereits vom nächsten Studioalbum "African Revolution" vorweg. Es ist die Zeit, als es in Nigeria, Herkunftsland von Asa, immer unruhiger wird. Sie steuert mit "Political War" ein Duett bei. Je zwei Songs auf dem Folgealbum "Dernier Appel" ('Letzter Aufruf') bestreiten Nneka und Patrice als Gäste, so dass es auch englische Textpassagen gibt. Fakoly zeigt immer wieder, dass er nachfolgende Generationen an Bord haben und mit seiner Musik dem Puls der Zeit folgen will. Seinen am Jazz geschulten, präzisen Stil verwässert er dabei nie.
Tiken Jah Fakoly ist sich seiner Vorbildfunktion bewusst. "Mein Ziel ist es, dass sich die Leute sagen: Wenn Tiken sich in dieser Form und Deutlichkeit äußert, dann habe auch ich die Möglichkeit, das zu tun. Es ist nicht wie in Frankreich oder Deutschland, wo du deine Meinung frei äußern kannst. Bei uns an der Elfenbeinküste ist dies leider nicht ohne weiteres möglich."
Schon 2006 hatte Fakoly ein Studio in Mali eröffnet. 2009 engagiert er sich noch einmal sozialpolitisch mit dem Bau einer Schule in einer ländlichen Region seiner Heimat, finanziert aber auch eine Schule in Mali, in Dianké, das damals knapp 13.000 Einwohner*innen hat und in der Region Timbuktus liegt. Dort ist der Zugang zu Bildung schwierig, hier geht das Land allmählich in Wüstenzone über, wobei sich die Wüste immer mehr in Richtung der Oasenstädte vorschiebt.
Anfang 2012 schließen sich separatistische Gruppierungen zur MNLA zusammen, der Bewegung zur "Befreiung" des Azawad, wie die Region nördlich Timbuktus heißt. Ein Militärputsch zieht große Verwüstungen nach sich, die deutsche Bundesregierung erwägt erstmals die Entsendung von Soldaten in eine ehemals französische Kolonie. Tiken Jah Fakoly gibt bekannt, dass er - selbst dort nur Gast - in dem Land bleibe, was immer geschehe. Denn in der Elfenbeinküste sei es immer noch viel schlimmer. Der Präsident des Nachbarlands Senegal hat den Musiker inzwischen zur persona non grata erklärt, heißt: Fakoly darf dort nicht mehr einreisen und auftreten.
Die militarisierte Bewegung Ansar Dine und ein Zweig der al-Quaida zerstören in der Mitte Malis Grabstätten und Denkmäler, die Weltkulturerbe sind. Waffenlieferungen erhalten sie aus Libyen, wo nach dem Tod Gaddafis 2011 das Chaos seinen Lauf nimmt und Söldner nach Beschäftigung gieren. Auf "Dernier Appel" konzentriert sich Fakoly aber unbeirrt auf die europäischen und geschichtlichen Ursachen der Instabilität und Rückständigkeit weiter Teile Afrikas. Die Texte entstammen ausnahmslos dem Feld der politischen Philosophie.
Für den Nachfolger "Racines" ('Wurzeln') fliegt Fakoly nach Kingston. Er spielt jamaikanische Klassiker neu ein, darunter auch solche Nummern, die in den Reggae eingemeindet wurden, wie den Soul-Song "Is It Because I'm Black", oder umgekehrt aus dem Reggae in den Punkrock übergingen, wie "Police And Thieves". Weitere Höhepunkte sind ein Duett mit Jah9 und eine neue Fassung von "One Step Forward" mit dem Autor des Songs, Max Romeo.
Beim reinen Covern bleibt es nicht, da Fakoly die typischen Instrumente Malis, wie Balafon, Kora und die N'Goni-Harfe ins Studio mitgebracht hat. Bass und Drums bespielen gewohnt routiniert und edel Sly & Robbie. Booker mögen dankbar gewesen sein, dass Tiken Jah sich für englischsprachige Covers entschied. Dennoch lässt er sich auch 2016 auf dem deutschen Markt nur dem Summerjam erfolgreich anbieten, das ihn zum fünften Male bucht. Als Klassiker bei Fakoly-Konzerten etabliert sich seine französische Version des Sting-Hits "Englishman In New York", "Africain À Paris".
Tiken Jah ist mittlerweile in Frankreich ein Star, kann hohe Gagen verlangen und tourt in den verschiedensten Ländern mit einer elfköpfigen Band. Konzerte gibt es pro Land selten, die Abstände sind lang. In Berlin gastiert der Reggae-Meister 2011 und 2019. Das Chiemsee Reggae Summer, das andere Event, das ihn sich drei Mal leistete, bucht immer weniger Reggae und verschwindet vom Markt. Ein viral gehendes Video über den Klimawandel ("le rechauffement climatique") mit Frankreichs Rapper Soprano beschert dem Rastaman Mitte 2019 noch einen Gig in Hannover.
Mit Anfang 50 segelt der Roots-Barde nun auf einmal mitten auf der Zeitgeist-Welle obenauf. Folgerichtig reist der afrikanische Sänger im April 2020 erstmals zu einer Konzertserie auf deutschen Bühnen und kommt zum Reggaeville Easter Special nach München, Dortmund, Berlin und Hamburg. Mit dabei hat er sein Album "Le Monde Est Chaud": ein Zauberwerk für Saxophon- und Trompetenfans und ein Themenalbum zu den Auswirkungen des Klimawandels.
Auf "Braquage De Pouvoir" (übersetzt: "Machtraub", 2022) mit profilierten Gästen wie Dub Inc und Amadou & Mariam folgt 2024 mal ein Unplugged-Album mit einer Reihe absoluter Fakoly-Klassiker.
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