laut.de-Kritik
Melancholisch, todtraurig, selten heiter - aber kein Gramm verkünstelt.
Review von Giuliano BenassiVic Chesnutt hat schon mit vielen namhaften Künstlern gearbeitet. Nicht wie so oft als Studiogast bei der einen oder anderen Großproduktion, sondern andersrum: Es waren die berühmten Namen, die zu ihm kamen. Michael Stipe produzierte Chesnutts erste zwei Werke auf dem Höhepunkt seiner R.E.M., Madonna und Smashing Pumpkins coverten seine Songs für eine Benefizplatte, Lambchop dienten als Begleitband für ein Album. Dafür, dass er dem großen Publikum kaum bekannt ist, genießt Chesnutt unter Kollegen ein hohes Ansehen.
Der Grund zeigt sich auch auf seiner mittlerweile 13. Studioplatte. Der Opener ist in seiner Atmosphäre so intensiv, dass dem Hörer ein Schauer über den Rücken läuft. Zunächst ganz spärlich mit Akustikgitarre und tiefer Stimme instrumentiert, entlädt sich Chesnutts Verzweiflung im Refrain, begleitet von einem Geigen- und Gitarrengewitter. "Submissive dogs can lash out in fear and be very, very dangerous. I am a coward", erklärt der Mann aus Athens im Staate Georgia.
Es wäre wohl zu einfach, den existentialistischen Zweifel, der sein Werk durchdringt, alleine auf den Autounfall zurück zu führen, der ihn seit seinem 19. Lebensjahr im Rollstuhl gefesselt hält und nie endende Schmerzen zur Folge hatte. Eher ist es sein Faible für Werke von Franz Kafka, Joseph Roth und angelsächsische Dichtung. Auch wenn er seine Interviews mit Fäkalsprache garniert, ist er ein belesener Mann, der sein Wissen nicht zur Schau stellt, sondern in seinen Texten umsetzt.
So in "Flirted With You All My Life", das zu Beginn eine Liebesgeschichte mit einer Frau zu beschreiben scheint, tatsächlich aber ein Stelldichein mit dem Tod ist. Auch anderswo erschafft Chesnutt einprägsame Bilder. Das nur aus einer einfachen Akustikgitarre und seiner Stimme bestehende "When The Bottom Fell Out" mit dem wunderbaren Reim "It took all my might to fight the fright" ("Ich brauchte all meinen Mut, um meine Angst zu bekämpfen"), oder das abschließende "Granma", in dem er drei Fragen an seine Oma stellt, die am Waschbecken in ihrer Küche steht.
Seine Begleiter, diesmal die Mitglieder von Silver Mt. Zion, setzen die Texte gekonnt um. Schnörkellos begleitet, unterstreichen sie die relevanten Passagen mal akustisch, mal mit wahren Klanggewittern. In diesem Sinne erinnert das Album immer wieder an Nick Cave & The Bad Seeds.
Mit einem wesentlichen Unterschied: Während sich der Australier meist mit alttestamentarischen Fantasien, Mordinszenierungen und erfundenen Figuren austobt, erzählt Chesnutt in der ersten Person. Melancholisch, todtraurig, selten heiter - auf jeden Fall kein Gramm verkünstelt.
1 Kommentar
Richtig geiles Album!
"Coward" ist ein verdammtes Meisterwerk.
Wie der so ein Album, w2as hier leider total untergegangen ist.
Anwalt, das hier ist genau dein Ding!