laut.de-Kritik

Mit dem Earlybird-Ticket ins Internierungslager.

Review von

Der Wizo ist zurück! Still und heimlich, ohne große Ankündigungen werfen der scheinbar nimmermüde Axel Kurth und seine beiden Mitstreiter ihr mittlerweile achtes Album in den Ring. Der sehr pessimistisch anmutende Titel "Nichts Wird Wieder Gut" lässt bereits im Vorfeld befürchten, dass man sich hier nicht vorwiegend mit den positiven Aspekten des Lebens und der Welt um sich herum auseinandergesetzt hat. Aber Der Wizo wäre nicht der Wizo, würde er ernsten Themen nicht mit dem bekannten Maß an Humor begegnen. Allerdings gleich zu Anfang die Entwarnung: man hat auf zutiefst alberne, musikalische Seegurken, die auch dem letzten 13-jährigen Dorfpunker die Schamesröte ins Gesicht treiben, dankenswerterweise weitgehend verzichtet. Puh.

Inhaltlich werden fast ausschließlich zwei Themen behandelt: die oft ironisch verpackte Sorge um den Untergang der Welt und die Auseinandersetzung mit dem Alter nebst einem etwas sentimentalem Trauern um vergangene Zeiten. Gerade Songs wie das angenehm vitalisierende "Grauer Brei" mit seinem Instant-Ohrwurm-Chorus, der reflektive Rocker "Egal Was Kommt" oder die coole Midtempo-Nummer "Ich War, Ich Bin Und Ich Werde Sein" strahlen sehr viel bittere Melancholie aus. Letzterer klingt ein wenig wie ein aufgemotztes Hannes Wader-Cover und damit nicht nur recht erwachsen, sondern sogar überraschend erhaben. Apokalyptische Visionen verbreiten die beiden absolut typischen Wizo-Stücke "Schöner Wär's" und "Menschensterben". Nicht sensationell, aber durchaus hörenswert. "Earlybird" hingegen, eine klare Kante gegen den Rechtsruck im Lande, strahlt förmlich durch alle vorhandenen Qualitäten der Schwaben und zeigt, dass man sich auch noch authentisch und angemessen mit dem Thema auseiandersetzen kann. Und muss.

Einige Stücke leben beinahe ausschließlich von Axels kompositorischen Fähigkeiten. Viele der für eine Punkband außergewöhnlich komplexen Hooks sollen bewusst hingerotzt wirken, entpuppen sich bei näherer Betrachtung aber als geniale Harmonie-Akrobatik. Das chaotisch-hektische Titelstück etwa kokettiert leicht mit zeitgenössischer Popmusik, wobei hier verschiedene Rhythmen und Stimmen übereinandergelegt werden. Dabei entsteht eine unnachahmliche Comicatmosphäre, wie sie kaum eine andere vergleichbare Band erschaffen könnte. Überhaupt klingt Der Wizo einfach wie immer und man könnte sich gut vorstellen, dass ein gewisser Sindelfinger Punk Anfang der 90er seinen Amp in Epoxidharz gegossen hat, damit ja keiner an den Knöpfchen dreht. Alle Trademarks waren, sind und bleiben (sozusagen), die Chöre, die Galopp-Drums und die skatepunkige Geschwindigkeit.

Neben lyrisch wirklich anspruchsvollen Stücken wie dem philosophischen "Binärbaum", das wirklich aus dem tiefsten Inneren des Autors zu kommen scheint, haben sich mit "Prokrastination" oder der x-ten Social Media Kritik "Fett Und Zucker" auch gänzlich verzichtbare Filler auf das Album geschlichen. Die erste Werbung für das neue Werk prangte fett auf des Zuckersbergs Plattform. Meh. Das eigentlich sehr gut gemeinte, fein komponierte "Schönheit Des Verfalls" krankt auch ein wenig an unechten Reimen und fragwürdigen Aussagen über die Libido älterer Menschen.

Wenn man zudem noch über die inflationäre Verwendung des Wortes "Scheiße" mit all dessen Derivaten hinwegsieht, bleibt ein toll produziertes, streckenweise wirklich smartes Punkalbum einer zurecht legendären Band. Gemeckert wird hier alles in allem doch auf einem recht hohen Niveau.

Trackliste

  1. 1. Grauer Brei
  2. 2. Nichts Wird Wieder Gut
  3. 3. Schönheit Des Verfalls
  4. 4. Ich War, Ich Bin Und Ich Werde Sein
  5. 5. Schöner Wär's
  6. 6. Egal Was Kommt
  7. 7. Zucker Und Fett
  8. 8. Binärbaum
  9. 9. Prokrastination
  10. 10. Earlybird
  11. 11. Schlafanzug
  12. 12. Mörderin
  13. 13. Menschensterben

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