Porträt

laut.de-Biographie

Xmal Deutschland

Im Frühjahr 2024 trauen Fans ihren Ohren nicht: Von der stillgelegten 80er-Jahre-Band Xmal Deutschland erscheint aus dem Nichts eine Singles-Compilation. Außerdem veröffentlicht die 66-jährige Sängerin Anja Huwe mit "Codes" ihr erstes Soloalbum. Tatsächlich ist die Nachfrage nach der Hamburger Postpunk-Band seit ihrer Trennung im Jahr 1990 stetig gewachsen. Reunion-Konzerte des Quintetts waren jedoch allein deshalb ausgeschlossen, da Huwe als optisches Aushängeschild der Musik den Rücken zugedreht und sich ein neues Standbein als Malerin aufgebaut hatte.

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Die Geschichte der Band beginnt 1980 in Hamburg. Die Freundinnen Huwe, Caro May, Rita Simon, Manuela Rickers und Fiona Sangster, alle Anfang 20, treffen sich im Proberaum und versuchen sich an düsterem Krach, wie ihn britische Bands wie Bauhaus und Joy Division aufführen. Spätestens als Huwe in London im Vorprogramm von The Clash die Slits live sieht, steht ihr Entschluss fest: Sie möchte auch Musikerin werden.

Kontakte knüpft man damals im von Klaus Maeck eröffneten Szene-Plattenladen Rip Off, dem Treffpunkt für alle Punks und New Waves der Hansestadt. Dort gehen etwa Michael Ruff von Geisterfahrer, Jäki Eldorado, Mark Chung, Frank Z. (Abwärts) und Alexander Hacke (Einstürzende Neubauten) ein und aus, letztere wohnen mit Huwe zusammen in einer WG. Auch die Westberlinerin Christiane F. ("Wir Kinder vom Bahnhof Zoo") ist eine Weile dabei.

Trotz Huwes Slits-Erleuchtung: Dass Xmal Deutschland ausschließlich aus Frauen bestehen, ist Zufall. Das Quintett sieht sich ganz in der DIY-Tradition des Punk und will als Kollektiv wahrgenommen werden. Natürlich bleiben sie auch dem Szene- und Punk-Papst Alfred Hilsberg nicht verborgen, der für sich beansprucht, jegliche interessante (sprich: unkommerzielle), deutschsprachige Musik seiner Heimatstadt zu kennen und auf seinem neu gegründeten Label ZickZack zu veröffentlichen (das Rip Off fungiert als Vertrieb). Xmal Deutschland passen daher hervorragend in sein Artistroster und so bietet er der Band eine Single-Aufnahme an. Doch am entscheidenden Studio-Tag erscheint Rita Simon nicht, die als Sängerin vorgesehen war. Kurzerhand singt Bassistin Huwe den Song "Schwarze Welt" ein - eine glückliche Fügung.

An Konzerte denkt die Band zu Beginn nicht, es geht ihnen lediglich um den gemeinsamen Spaß im Proberaum. Besonders Huwe zieht es nicht auf eine Bühne, was ihre Freundinnen aber bald anders sehen und hinter dem Rücken ihrer neuen Sängerin Auftritte an Land ziehen. Auf ZickZack erscheinen insgesamt zwei Singles: Das rumpelige, seinem Namen alle Ehre machende "Schwarze Welt" mit Sangsters eisigen Korg-Sounds und der spätere Gothic-Klassiker "Incubus Succubus", hier noch in der ersten Version, produziert von Frank Z.

Kurz: Die Musik klingt so, wie man es von fünf kajaltragenden Jugendlichen mit bunten, hochtoupierten Haarkunstwerken erwarten darf. Im Mittelpunkt steht Huwes beschwörend-schneidender Gesang, der sich einer Sirene gleich über die dunkel brummmenden, repetitiven Akkordfolgen ihrer Kolleginnen legt. Hilsberg ist begeistert, ahnt aber noch nicht, dass er die Band bald verlieren sollte. Neben den erwähnten Singles treten Xmal Deutschland nur noch auf dem Labelsampler "Lieber Zuviel Als Zu Wenig (ZickZack Sommerhits 81)" mit dem Song "Kälbermarsch" und auf der "Nosferatu Festival"-LP mit einer Liveversion von "Allein" aus Kopenhagen in Erscheinung. Eines Abends fragt Alexander Hacke die Sängerin, wieso sie nicht mal ein Demo nach Großbritannien schicken, "wir würden doch sowieso so englisch klingen", wie sich Huwe 2025 erinnert.

Gesagt getan: Das Londoner Bauhaus-Label 4AD erhält Post und greift zu. Somit endet die Zusammenarbeit mit ZickZack noch vor dem ersten Album: "Fetisch" erscheint 1983 bei der Labelheimat der Cocteau Twins, mit denen Xmal Deutschland auch gleich auf Tour geschickt werden. Der Umzug bringt erste Veränderungen ins Line-Up: Manuela Zwingmann ersetzt May am Schlagzeug, für Bassistin Simon steigt Wolfgang Ellerbrock ein. Xmal Deutschland füllen bei 4AD die Lücke, die die Birthday Party hinterlässt: Den Australier Nick Cave zieht es damals bekanntlich nach Berlin.

"Wir wurden vom Publikum sofort angenommen. Dass wir deutsch gesungen haben, war nicht so wichtig, vielmehr wurde unsere Musik in England als Wall Of Sound wahrgenommen", so Huwe. Vielleicht kein Zufall: Mit Siouxsie Sioux hatte die Insel bereits eine populäre Interpretin, die von Flüstern über Stöhnen bis hin zu ausdauerndem Kreischen ein Huwe nicht unähnliches stimmliches Repertoire innehatte. Zu dieser Zeit zählen die Hamburger neben den Neubauten, DAF und den Krupps zu den bekanntesten deutschen Musik-Exporten. Ihr Abschied aus Deutschland hatte zur Folge, dass der Erfolg in der alten Heimat überschaubar blieb.

Doch er hatte auch gute Seiten: Mit der kommerziellen Neuen Deutschen Welle um Nena und Co., die einen neuen Markt für deutschsprachige Musik eröffnete, wollte man schließlich nichts zu tun haben. Die Neuaufnahme des Songs "Incubus Succubus II" mausert sich dagegen in ihrer Wahlheimat zum Underground-Hit und etabliert die Band zu einer Indie-Größe. "Fetisch" klettert bis auf Platz 3 der UK Independent Charts hinter New Order ("Power, Corruption & Lies") und Aztec Camera ("High Land, Hard Rain").

Mit dem ehemaligen Geisterfahrer-Drummer Peter Bellendir als Ersatz für Zwingmann erscheint 1984 das zweite Album "Tocsin". Die Musik ist deutlich besser produziert und klingt insgesamt reifer. Xmal Deutschland spielen ihre bislang längste Tournee, die sie auch nach Japan und Amerika führt. Die Zusammenarbeit mit 4AD endet, 1985 erscheint die EP "Sequenz" als eine Art Rerecording der John Peel Session auf dem eigens gegründeten Label Exile, der legendäre Radio-DJ lädt die Band insgesamt fünfmal ein. Das Line-Up bestehend aus Huwe, Rickers, Sangster, Ellerbrock und Bellendir ist das insgesamt langlebigste ihrer Geschichte. 1986 erscheint das dritte Album "Viva", für das Anton Corbijn Fotos schießt. Die Songs klingen zugänglicher, die Single "Matador" erregt jedoch erneut maximal im Ausland Aufsehen. In England sind die Hamburger nach wie vor angesagt und spielen als Support auf der Stranglers-Tour, u.a. im Londoner Wembleystadion. Deren Sänger Hugh Cornwell produziert auch "Viva".

Doch die Albumaufnahmen stehen unter keinem guten Stern. Das Majorlabel Metronome drängt Huwe nicht nur zu englischen Texten, sondern fordert auch die klare Positionierung als Frontfrau ein, was ihr widerstrebt. Und natürlich: Charterfolge. Sie bleiben aus. Stattdessen führen bandinterne Spannungen dazu, dass die Gründungsmitglieder Rickers und Sangster sowie Bellendir nach der Tournee aussteigen. Auch dem Labelwunsch einer Solokarriere verweigert sich Huwe und nimmt stattdessen mit Ellerbrock 1988 das Album "Devils" als Duo mit Gastmusikern (Frank Z., Curt Cress) auf. Das Projekt geht komplett in die Hose: Produzent Henry Staroste, bezeichnenderweise auch Keyboarder, ertränkt den Originalsound der Gruppe in belanglosem 80s-Pop, schließlich erscheint die Platte entgegen der Vereinbarung nicht in England und floppt gnadenlos. 1990 sind Xmal Deutschland Geschichte. Huwe zieht nach London, arbeitet für Viva und widmet sich schließlich der Kunst.

Die 90er Jahre gehen, das Internet kommt und um Xmal Deutschland spinnt sich ein Mythos. Dies hat auch damit zu tun, dass ihre Tonträger längst out of print und daher begehrte Sammlerstücke sind. Von den Bandmitgliedern hört man kaum etwas, und wenn, dann eher Trauriges: Peter Bellendir stirbt im Februar 2013 mit 57 Jahren an den Folgen einer Organtransplantation. Im Frühjahr 2024 dann endlich eine gute Nachricht: Anja Huwe hat mit Mona Mur und Manuela Rickers ihr Solodebüt "Codes" aufgenommen, gleichzeitig erscheint auf dem Label Sacred Bones die Xmal-Compilation "Early Singles 1981-1982".

2025 steht Huwe erstmals seit den späten 80ern wieder auf der Bühne und spielt dort auch einige Xmal-Deutschland-Klassiker. Im selben Jahr startet eine große Wiederveröffentlichungsreihe auf 4AD: Am 9. Mai erscheinen die Alben "Fetisch" und "Tocsin" unter dem Namen "Gift" als 3-LP bzw Doppel-CD. Die Zeit der überteuerten Originalpressungen auf Ebay ist damit vorbei und die Musik von einer der spannendsten deutschen Bands der frühen Punk-Phase endlich wieder verfügbar.

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