laut.de-Kritik

Alle Promo der Welt, aber kein Geld für einen guten Produzenten.

Review von

Verzeiht mir bitte den Zynismus. Aber es gibt Situationen, da läuft es einfach ein bisschen zu geschmiert für einen Artist. Und die Causa Zoe Wees, meine Güte; ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich hier vom historisch größten Label-Push spreche, den ein deutscher Künstler je erhalten hat.

Keine Frage - sie hat das Charisma und singt fantastisch. Aber ist das Argument genug für ein globales Apple-Cosign, Auftritte in zwei amerikanischen Late-Night-Shows, Cosigns von Ed Sheeran, Lewis Capaldi und Jessie J? Die Manager und Managerinnen von Wees müssen ein paar Seelen verkauft haben. Denn, bei aller Liebe zu einer guten Stimme, so richtig doll erschließen mag sich der Durchbruchserfolg von "Golden Wings" nicht.

Fangen wir aber mit dem Positiven an, denn das sticht direkt ins Auge: Zoe Wees gehört ohne wenn und aber zu den besten Sängern, die dieses Land in vielen Jahren hervorgebracht hat. Ihre Stimme klingt markant, agil, organisch und transportiert die emotionalen Kerne ihrer Songs perfekt. Sie hat eine dieser Stimmen, die man ohne Künstlernamen auf Facebook posten könnte und deine Tante würde es teilen, weil sie es so schön fände.

Aber auch textlich kann Wees aufwarten. Über ihre Lebensgeschichte wurde andernorts schon vieles geschrieben, aber selbst, wenn man die Spezifika nicht kennt, bewegen ihre Schilderungen von Panik, Krankheit, Unsicherheit, Vermissen und Unstetigkeit. Zumindest wirkt es alles so, weil ihre Delivery so seelenwringend schmerzerfüllt klingt und man sich mit den Themen identifizieren kann. Anxiety, tote Verwandte, Sadness, man kennt es, das verdient eine enstprechende Grandeur.

Liest man die Lyrics etwa von "Hold Me Like You Used To", klingen sie ein bisschen ... sagen wir, anonymer. "When we lose the ones we love / I was getting used to, used to / Having you with me, so why you gotta leave? / Just hold me like you used to, used to". Ja, nech, ich kann jetzt ja nicht sagen, dass die Lyrics einer Neunzehnjährigen über ihre tote Oma nicht geil sind, aber ein bisschen vage und phrasig sind sie halt schon. Würde ein schwächerer Sänger den gleichen Text singen, sähe ich kaum jemanden darüber ausrasten.

Aber das wäre alles nicht so wild, immerhin singt Zoe den Kram gotterhaben gut und wenn alle Emotion in der Performance steckt, dann muss der Text nicht mit dem Skalpell ins Detail schneiden. Ist auch eh alles Wurst, denn alles bisher erzählte geht direkt die Spüle runter, wenn man auf die eine, große Schwäche des Tapes hört: Die Beats. Verzeihung an den "Deutschpop-Erfolgsproduzenten" hinter diesem Tape, aber ich werde mir nun die Freiheit nehmen, zwei Absätze lang über dein Werk herzuziehen. Eine der häufiger vorkommenden Beschreibungen der Musik war nämlich, dass die Musik von Wees – ich zitiere - "modern" klinge. Und das ist so hanebüchend falsch, dass ich mich davon persönlich angegriffen fühle. Mein erstes Gefühl beim Hören von der Hitsingle "Control" war: Oh mein Gott, das ist dieselbe Soße Power-Ballade von 2009, die P!nk jetzt schon seit zehn Jahren alle sechs Monate veröffentlicht.

Die Produktionspalette klingt, als wäre sie exklusiv aus melodramatischen Tatort-Soundtracks zusammengesamplet. Diese Produktion klingt wie Till Schweiger mit einem Sepia-Filter, grübelnd an einem Fliesentisch. Diese Produktion klingt, als hätte Manny Marc versucht, Adele-Beats zu bauen. Diese Produktion klingt wie eine fehlgeleitete ESC-Ballade aus Moldavien. Diese Produktion klingt wie Styropor. Diese Produktion klingt wie ein eingeschlafener Arm. Diese Produktion ist exakt die Art von urdeutschem Autowaschanlagen-Pop, die mit eiserner Verlässlichkeit immer dann aus dem Radio dudelt, wenn einem von einer langen Autofahrt schlecht wird.

Die emotionale Piano-Grütze wabert auf und ab und ab und auf, ohne jemals irgendeine kohärente Richtung oder gar eine griffige Melodie zu finden, und wenn das alles schon sperrig und unelegant klingt, kann man zumindest noch richtig fett Streicher-Schmand draufklatschen. Wie soll ein Mensch auch verstehen, dass da gerade Sadness passiert, wenn nicht mindestens ein halbes Orchester das Wort "Moll" im Kanon schreit? Wer diesen Deutschpop-Soundquark ernsthaft für modern hält, ja dem gar noch Begriffe wie "Soul" oder "R'n'B" aufbürdet, der kann in den letzten fünf Jahren keine drei Takte Pop gehört haben und bestellt seine Musik vermutlich noch aus dem Otto-Katalog.

Dass dagegen die Vocals auch in bisschen an Glanz verlieren, weil es alles so punktgenau nach Formel und Schablone zur Hölle überproduziert wurde, liegt nahe. So viel moderne Popmusik reduziert sich aufs Wesentliche, isoliert starke Hooks, transportiert starke Phrasen. Das alles passiert hier nicht. Der ganze Soundteppich klingt nach Leuten mit sehr viel Kompetenz und sehr wenigen Ideen. Für ein Songwriter-Projekt, das eigentlich roh und authentisch sein will, ist das eine tödliche Fehlbesetzung.

Anyways, zurück zu Zoe: Solltest du das lesen – es tut mir so leid, über diese EP so zu lästern, in deren Kern ja offensichtlich autobiographische und wichtige Ideen, Themen und Performances stehen. Aber wenn wir in Deutschland schon einmal eine Sängerin haben, die talentiert genug ist, um sogar als Export durchzugehen, dann können wir doch bitte auch die Produktion in kompetente Hände legen. Holt irgendwen, Herrgott, irgendwen, der Instrumentals zusammenbaut, die ein klein bisschen eingängiger, moderner und griffiger klingen, damit Wees nicht mehr konstant gegen diesen Abwasser-Wasserfall an Melodrama ansingen muss. Wenn es schon nicht aus diesem Jahrzehnt sein darf, dann doch wenigstens aus dem letzten. Dann klappt das nächste Release bei einem so talentierten Lead-Artist nämlich bestimmt auch ohne einen heraklischen Astroturfing-Aufwand.

Trackliste

  1. 1. Control
  2. 2. Girls Like Us
  3. 3. Hold Me Like You Used To
  4. 4. Ghost
  5. 5. Overthinking

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