laut.de-Kritik
Bittersüßes zwischen ABBA, Beatles und 60s-Girlpop.
Review von Thomas KlausDass sich die Cardigans mit ihren letzten beiden Werken "Long Gone Before Daylight" und "Super Extra Gravity" einen flauschigen Logenplatz im Songwriter-Nirwana sichern konnten, haben die Herren der schwedischen Indiepop-Schöpfung nicht zuletzt ihrer Frontdame Nina Persson zu verdanken.
Wir wären wohl nie in den Genuss dieser erdigen, von Country und klassischem Rock inspirierten Alben gekommen, hätte die Sängerin mit der betörenden Stimme die 2001 herrschende bandinterne Funkstille nicht für einen Soloausflug genutzt. Denn mit dem selbstbetitelten Debüt von A Camp riskierte die Wahl-New Yorkerin erstmals einen forschen Blick weit über den Glamour Pop-Tellerrand hinaus, in dessen hallschwangeren Bahnen sich ihre Hauptband damals noch bewegte.
Da die Cardigans inzwischen längst an jenem Ort angekommen sind, zu dem Mrs. Persson vor acht Jahren im Alleingang aufbrach, dreht die abtrünnige Blondine auf "Colonia" den Spieß kurzerhand wieder um. Während dem Folk- und Americana-lastigen Erstling noch "ein Geruch von Holz, Walnüssen und Schnee anhaftete", wird uns das Nachfolgewerk als ein Elixier aus purer "Elektrizität, Perückenpuder und Laudanum" angepriesen.
Und in der Tat: A Camp lassen die ländlichen Western-Arrangements hinter sich und begeben sich auf eine glamouröse Zeitreise vom viktorianischen New York im Kerzenschein zur Neonlicht beflackerten Bowery der Siebziger Jahre. Gemeinsam mit Ehemann Nathan Larson (Shudder To Think), Mark Linkous (Sparklehorse) und illustren Gästen wie Anna Ternheim oder James Iha (Ex-Smashing Pumpkins, A Perfect Circle) wandelt Nina unter dem Einsatz üppiger Orchesterpartituren auf den Spuren von ABBA, den Beatles und dem Girlpop der Sechziger.
Mit gewohnt charmanten Gesangsmelodien versteckt sie ihre derben, oft desillusionierenden Texte rund um die Liebe in verheißungsvollem Pop-Konfekt. "Don’t you know love can kill anyone? Bring it on, wars and diseases. You know that love can do you like a shotgun", säuselt sie in der starken Single "Stronger Than Jesus" - und wie einst Großmutter verabreicht sie die bittere Medizin auf einem Stück Zucker.
Leider geht das Rezept auf Albumlänge nicht ganz auf, verliert "Colonia" ab der Hälfte seinen anfangs noch betörenden Duft. Die opulente Parallelwelt, die A Camp zwar mit viel Akribie und Gespür für betörende Melodien inszenieren, hat bei Licht betrachtet nicht allzu lange Bestand. Für Liebhaber der Cardigans dennoch ein leckeres Naschwerk für Zwischendurch.
7 Kommentare
Hab ich schon ewig rumfliegen, aber immer noch nicht reingehört. Danke fürs Erinnern! Nach allem, was ich bisher so gelesen hab, fürchte ich aber, dass ich es nicht so sehr lieben werde wie den Vorgänger. Naja, mal hören.
Habe beide A Camp Scheiben noch nicht gehört und habe das schon seit Ewigkeiten vor (beim Debut).
Bin äußerst gespannt.
weiß ja nicht so...
hab mir mehr erwartet.
... before - auf jeden Fall.
Ob stronger than Jesus, darüber sollen sich die Religiösen ihre Köppe heißreden - mit denen habe ich nicht viel zu tun (Nina hat zu der Thematik auch glücklicherweise einen wohltuenden Abstand).
Um nun auf den Punkt zu kommen:
"Colonia" ist st für mich mittlerweile eins der besten Alben von 2009, das ich bis jetzt gehört habe.
Um das aber auch gleich wieder einzuschränken: ich habe nicht die Zeit und Muße mir alles anzuhören, ich picke mir nur Sachen heraus, die mir interessant vorkommen.
Und natürlich können auch die berufsmässigen Kritiker nicht alles hören, was so herauskommt.
"Colonia" hat aber geschafft, dass ich Nina Persson nicht nur wieder bewundere,
sondern dass ich sie sogar noch mehr bewundere als früher.
Und A Camp hat mich diesmal als Band richtig überzeugt.
Komposition und Arrangement, sowie Instrumentierung, ist Spitzenklasse.
Was bei den Cardigans zuletzt hölzern, teils leer und zu prollig wirkte, ist hier locker-flockig und gekonnt.
Die Musik lebt - auch wenn die Tempi oft langsamer sind als bei den frühen Cardigans-Stücken.
Laber, laber.
Ich weiß, ich bin eine Laberbacke.
Der Gesang von Nina ist wieder einfallsreich, und variationsreicher als früher.
Eine - endlich wieder - klare Weiterentwicklung.
Die Texte sind nicht platt und furchtbar traurig, sondern erzählen Geschichten.
Nina kann - als nicht Muttersprachlerin - mit der englischen Sprache richtig gekonnt umgehen.
Alleine schon, wenn sie in "The Crowning" jeden Refrain textlich und melodisch anders bringt - einfach super!
Super, dieses Klavier-Intro mit den schrägen Clustern!
...
Dieses Intro, was dann als Bridge und Outro gleichermassen gut funktioniert - genial!
Nach "The Crowning" kommt das "Stronger than Jesus".
Weil ich mittlerweile den Text richtig verstehe, hat dieser Song nun auch einen Platz auf meiner ewigen Hitliste eingenommen.
"Bear on the beach" ist eine gelungene kleine Story, die bei mehrmaligem Hören immer mehr an Tiefe gewinnt.
"Love has left the room" erinnert wieder etwas an die späten Cardigans - ist aber nicht ganz so flach.
Mit "Golden Teeth and Silvermedals" ist ein tolles Duett am Start, das sich wohltuend von ähnlichen Duetten abhebt - alleine schon wegen den ungewöhnlichen Lyrics.
Und immer wieder fällt wohltuend auf, wie gut Nina singt.
Und wie professionell die Frau derzeit zu Werke geht, kann man auf Youtube sehen, bei einem Auftritt von A Camp in einer Radiosendung, der mitgefilmt wurde:
http://www.youtube.com/watch?v=i_UreqrvtlM…
"Chinatown", "My America" und "I signed the line" sind weitere Höhepunkte, die mir richtig Spaß machen.
Und damit beende ich mein heutiges Geschreibsel, was diesem schönen Album sowieso nicht gerecht wird.
Für mich jedenfalls ein Highlight des Jahres 2009.
Wäre schön, wenn bei den Cardigans demnächst auch mal wieder eine frischere Brise wehen würde.
Herz-Schmerz-Schmalz-Tralalla braucht doch kein Mensch.
"long gone before daylight" ist ein pures Meistewerk vor dem Herrn, meiner Meinung nach.
Es scheint als haette Herr Dummbeutel ein wenig Angst vor grossen Gefuehlen und / oder kann diese nicht von Schmalz unterscheiden, schade.