laut.de-Biographie
And The Golden Choir
Playback kann doch etwas hermachen: knisternder Plattenspieler, selbst eingesungene Chöre und eigens eingetrommelter Beat. Tobias Siebert begleitet sich auf der Bühne und im Studio mit einer Ein-Mann-Band der etwas anderen Sorte, und das noch analog.
Der aus Berlin Pankow stammende Künstler hält an einem strikten Regelwerk fest, das zum Beispiel genau vorschreibt, dass alle Instrumente von ihm persönlich eingespielt sein müssen. Der Multiinstrumentalist beherrscht nicht nur Schlagzeug, Gitarre, Klavier und Bass, sondern sammelt auch tüchtig exotische Klangkörper. Keksdosenbanjo, Harfe und Hackbrett sowie Harmonium und eine Autoharp aus den 50er-Jahren finden etwa ihren Weg auf die Debüt-EP "And The Golden Choir", die an Artverwandte wie The Divine Comedy erinnert.
Das Wort "Debüt" stimmt gleichwohl nur bedingt: Tobias Siebert hat schon vorher zahlreiche Projekte gegründet und produziert. Juli, Kettcar, Me And My Drummer, Sport, Phillip Boa und Samba stehen in der Produzentenvita des Workaholics zu Buche. 2000 gründet er mit Annette Herrmann zudem sein eigenes Label Loob Music und ist außerdem Teil des Indie.aner-DJ-Teams in Pankow.
Bald folgen eigene Bandprojekte. So finden auf Sieberts Label Delbo eine Heimat. Hier agiert er an der Gitarre und fabriziert noisig vetrackten Sophisticated-Postcore. Nach dem unerwarteten Tod des Schlagzeugers Florian Lüning im Sommer 2012 endet dieses Kapitel leider tragisch.
Bereits seit 2002 gibt der Sounddesigner parallel den Fronter der Indie-Pop-Formation Klez.e, die ihren Namen einem Computer-Virus verdankt und 2004 das Debüt "Leben Daneben" veröffentlicht. Irgendwo in der Schnittmenge von The Notwist, Radiohead und Coldplay lassen sich die raschelnden Songs mit sinistren deutschen Texten verorten.
Heute hier, morgen dort, und stets im musikalischen Austausch als Mentor der Gruppen, die sich in seinem Kreuzberger Radiobuellebrueck Studio die Klinke in die Hand drücken, sucht Siebert mit And The Golden Choir ab 2009 zwischendurch immer wieder nach der eigenen musikalischen DNA.
Als ein Spiel mit sich selbst und eine Vervielfältigung des Ichs, so beschreibt der Berliner den Prozess, wenn er Take für Take seine Songs zusammenschustert und mit sich selbst jammt. Der naturgetreue Klang speist sich aus seinem weitgehend akustischen Sound-Sammelsurium, das er in seinen Gospel-Folk mit elektronischen Anleihen einfließen lässt.
Das 2015er Full Length-Erstwerk "Another Half Life" kommt mit eben diesem Arrangement daher. Unter der Fassade wimmelt es nur so vor großen Ideen und Wendungen, die Sieberts Musik in Sphären jenseits der handelsüblichen Liedermacher befördern. In den mehrstimmigen Hintergrund-Vokalmalereien, gepaart mit der holzigen Kopfnote und dem hohen Vibrato, klingen nicht selten Grizzly Bear an. Als Pop verkleidet, schlummert darunter eine reiche Bandbreite virtuoser erratischer Momente, die sich manchmal erst nach mehrfachem Hören erschließen.
Daran ändert sich auch entgegen des Plattentitels mit "Breaking With Habits" von 2018 nicht unbedingt viel. Dennoch bedient er auf dem Album neben unzähligen analogen Klangerzeugern eine Reihe weiterer elektronischer Gerätschaften. Dadurch erweitert Tobias Siebert sein Potpourri um poppige und tanzbare Klänge.
Noch keine Kommentare