laut.de-Kritik
Auf der Suche nach der eigenen Handschrift.
Review von Magnus HesseIm eigenen Saft stehen, Tunnelblick, Betriebsblindheit: Die Tücken einer Soloplatte, bei der keine andere Seele auch nur ein Wörtchen mitzureden hat, lassen sich nicht von der Hand weisen. Das völlige Eingraben kann zu Realitätsverlust oder, wie im Falle von Siebert, dem Vordringen zu fossilhaften Gefühlsablagerungen führen.
Der Mann, der unter anderem als Gitarrist und Sänger der Formationen Delbo und Klez.e dem ein oder anderen Indie-Jünger geläufig sein dürfte, vervielfacht sich mit And The Golden Choir zum Ein-Mann-Ensemble.
Als Produzent, unter anderem von Kettcar, Juli und Me And My Drummer, war der Multi-Instrumentalist in den letzten Jahren berufsbedingt ununterbrochen umzingelt von den Ergüssen anderer Künstler. Auf "Another Half Life" sucht er nun nach der eigenen Handschrift, und das mit letzter Konsequenz.
Als Purist vertraut er alleine auf analoges Equipment und bleibt seinem Dogma treu, alle Klangkörper ohne Fremdeinwirkung selbst einzuspielen. Selbstfindung in Bon Iver-Manier, nur dass der akribische Friemler Siebert aus Sound-Qualitäts-Gründen eine Jagdhütte im Tiergarten doch lieber gegen das eigene Kreuzberger Studio eintauscht und mit fünf Jahren Entstehungszeit auch etwas länger über seinem Debüt brütete.
Das auf die Spitze getriebene Musizieren mit sich allein, das asketische In-sich-Kehren und dort nach Melodien Wühlen, verleiht den Songs genau diese Introspektive. Dieser Rückzug zu sich spiegelt sich in den Segmentschicht-artigen Alter Ego-Aufnahmen, in die sich Siebert hüllt und seine nackte, dünn vibrierende Stimme einbettet. Doch die kratzigen Klangteppiche mit der holzigen Folk-Kopfnote lassen seinem spröden Stimmorgan, mit dem er sich oft an Radiohead-gleichen Klavier und Gitarren-Figuren entlang hangelt wie im erratischen Auftakt "The Transformation", stets den Vortritt.
Chöre, die ein und derselben Kehle entstammen, betrauern im Halbkreis ihren einsamen Dirigenten, den man sich, von zunehmender Melancholie übermannt, als virtuos krämerischen Schöpfergeist vorstellt, der in nächtlicher Verworrenheit umtriebig im Studio seinem Seelen-Unheil auf den Grund geht ("Holy Diamond").
Die Instrumentierung hat manchmal fast etwas Barockes bis Mittelalterliches, wenn wie in "My Brothers Home" eine Art Minnegesang auf altertümliches Gitarren-Gezupfe, Hackbrett und anderes Klang-Antiquariat trifft. Der Sammler mit Mission operiert nämlich auch mit Harfe, Harmonium, Waldzither, Santur und anderen exotischen Bestecken.
Im märtyrerischen "My Heaven Is Lost", das förmlich Myrrhe und Weihrauch in die Nüstern steigen lässt, trägt Siebert seinen Klage-Sang in zittrige Falsetto-Höhen und gemahnt nicht nur hier an Grizzly Bear. "Choose To Loose" schielt dann, kraftvoll im Klavier-Staccato auftrabend, unverkennbar in Richtung der New Yorker um Ed Droste in der "Veckatimest"-Phase und walzt dabei wie Chilly Gonzales.
Keine Nummer auf dieser Platte enttäuscht oder fällt so wirklich ab. Die stärksten Momente finden aber statt, wenn Siebert nicht versucht, den Dämon abzuschütteln, sondern ihm von Angesicht zu Angesicht begegnet, wie im hymnischen Final-Abschnitt.
"The Hunter Of Souls" öffnet ganz geschmeidig seine Pforten zur Süße des Schmerzes und tänzelt leichtfüßig zum Glockenspiel über den darunter klaffenden Abgrund. Manchmal hat, was der Tüftler da mit seinen diversen Stimmchen macht, etwas liturgisch Anmutendes, etwas Sakrales, Litaneiisches, fast Bußhaftes.
"Angelina" schiebt unter anschwellenden Engelschören die düsteren Wolken beiseite. Auf das flehende Halleluja folgend, stößt schließlich "In Heaven" das von aller Sünde befreite, Lied gewordene Stoßgebet aus, das unter gleißenden Orgeln das Licht am Ende des Tunnels aufleuchten lässt. Darin entlässt uns Siebert und sein goldener Gospel-Chor dann auch. Erlöst oder mit profaner Bodenhaftung, aber sicher nicht gleichgültig.
2 Kommentare mit 7 Antworten
Hat leider das aktuelle Slut Album versaut. Kein Dank dafür.
Wieso das?
Zuviel Elektrogefrickel. Live hat man schön gemerkt, dass da mehr versucht wurde, als der Band gut tut.
Okay, kann ich nachvollziehen. Ich hab nicht mitbekommen, dass er dafür verantwortlich war auf dem Slut Album, mir klangen sie dort etwas zu gewollt nach The Notwist.
ich krieg beim schieren lesen schon gesinnungs-pms aber faggotchiller hört sowas sicher und kann das hören, wenn ich ihn in den arsch fiste
Mit deinen Contergan-Ärmchen? Das macht ja überhaupt keinen Spaß!
Aber danke für den Tipp, Süßer. Werde gleich mal reinhören. *knutsch*
ich weiss doch, wie du es brauchst
Contergan wollte Fahrad fahren
Contergarnicht!
haha *wegrenn*
Bester Witz. Jetzt wird's ein guter Tag.