laut.de-Kritik
Zwischen melancholischer Intimität und luftigen Momenten.
Review von Toni HennigBalbina Monika Jagielska, kurz Balbina, steckt mitten in der Arbeit an neuen Tracks, die die Unendlichkeit zum Thema haben. Doch dann stirbt unerwartet ihr Vater, so dass sie einen Großteil der Songs zur Seite legt und neue schreibt. Es sollen persönlichere, intimere Stücke sein. Dennoch setzt sie nicht auf einen kompletten Neubeginn. Haus- und Hofproduzent Benjamin Bistram alias Biztram soll die Beats liefern und das Filmorchester Babelsberg, mit dem sie schon live unterwegs war, Streicher beisteuern. Das Ergebnis "Infinity Tunes" erscheint nun.
"Vatertag" beginnt zunächst mit den dramatischen Tönen des Orchesters, entwickelt sich aber zu einer Nummer, in der die Sängerin, Komponistin und Texterin zu trippigen, urbanen Sounds über den plötzlichen Tod ihres Vaters reflektiert, zu dem sie jedoch ein problematisches Verhältnis hatte. Es geht um verpasste Chancen und darum, versuchen zu trauern, obwohl die Trauer schwer fällt: "Und ich versuch' / Glaub mir, ich versuch' zu weinen / Doch es tut nicht weh genug."
"Zwischen 2 Welten" fällt zu Beginn etwas ruhiger und getragener und ebenso persönlich aus, wenn Balbina darüber singt, wie es sich angefühlt hat, als polnische Familie in Berlin aufzuwachsen und welche Entbehrungen sie als Kind in Kauf nehmen musste. Zum Schluss schwingt sich ihre Stimme zu filmischen Streicherklängen soulig und verletzlich in die Höhe. In "Im Mai" steht sie "im Leben wie 'ne Wand aus Stahl", um später zu entschleunigt balladesken Tönen "wie Porzellan" zu zerbrechen. Eine Ambivalenz, die sich auch durch das restliche Werk zieht, das zwar recht nachdenklich gerät, aber auch luftige Momente bereithält.
"Samtvorhangstille" baut mit minimalistischen Beats, etwas Piano, langgezogenen Streichersounds und hauchigen Vocals eine nächtlich melancholische Atmosphäre auf, während "Alles Liebe und viel Glück!", in dem die Berlinerin die Vergangenheit hinter sich lässt, überraschend viel Schwung und Tempo besitzt. Vor allem das Filmorchester zeigt in der Nummer, was es alles drauf hat. In "Das Gefühl Ist Tot." verlässt sich Balbina aber zu sehr auf gewöhnungsbedürftige Wortspielereien und einen Mischmasch aus deutsch- und englischsprachigen Passagen. Diese gezwungene Seite stand ihr aber noch nie gut. Vergleiche mit Björk oder Kate Bush sind da sicherlich um Einiges zu hoch gegriffen.
Sympathischer wirkt die Hauptstädterin in "Kissen", in dem sie sogar äußerst kritische Töne anschlägt, wenn sie sich auf etwas trübsinnige Weise mit dem Perfektionsstreben in unserer Gesellschaft auseinandersetzt. "Infinity Tune", in dem es tatsächlich ausnahmsweise um die Unsterblichkeit geht, setzt mit seiner funkigen Marschrichtung einen versöhnlichen Schlusspunkt.
Mit "Infinity Tunes" geht die Berlinerin den auf dem Vorgänger eingeschlagenen Weg weiter, wirkt aber gleichzeitig nahbarer und verständlicher als zuvor. Als ganz großer Wurf erweist sich die Scheibe insgesamt zwar noch nicht. Dafür ist Balbinas Hang zum Dramatischen und Exzentrischen, an dem sich die Geister scheiden, immer noch zu präsent. Trotzdem etabliert sie sich in der deutschsprachigen Musiklandschaft so langsam als Größe, mit der man rechnen sollte.
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