laut.de-Kritik
Große Emotionen aus dem stillen Kämmerlein.
Review von Kai ButterweckBenjamin Clementine schlief in Paris unter Brücken und spielte in der Metro seine Songs. Dabei verfolgte der britische Sänger ghanaischer Abstammung immer nur ein Ziel: "Ich wollte mit den Menschen kommunizieren. Genau das ist es, was der Gesellschaft gerade fehlt. Es wird nicht mehr miteinander geredet. Mit meiner Musik will ich Brücken schlagen", so der schlaksige Sänger.
Mittlerweile lebt Benjamin Clementine wieder in London. Und er hat es geschafft. Die Welt ist ganz Ohr. Überall werden dem Zweimetermann rote Teppiche ausgerollt. Es gibt keine Newcomer-Liste auf der sein Name nicht ganz oben steht. Und das trotz eines musikalischen Grundgerüstes, das die meisten musikbegeisterten Teens und Twens wohl nur aus den Plattenarchiven ihrer Eltern kennen.
Clementine ist dem jazzig angehauchten Chanson-Pop verfallen; ein Musikstil, der in Verbindung mit seinem wahlweise kraftvollen oder schluchzenden Organ Künstler wie Rufus Wainwright oder Léo Ferré vor dem geistigen Auge erscheinen lässt. Clementines Stimme versprüht mitunter aber auch feminine Vibes. Dann werden Erinnerungen an Nina Simone oder Aretha Franklin wach.
Man nehme nur das tieftraurige "Then I Heard A Bachelor's Cry". Hier summt und schluchzt sich Benjamin Clementine die Seele aus dem Leib. Umgeben von zarten Streichern und akzentuierten Piano-Tupfern pendelt der Sänger zwischen Licht und Schatten hin und her.
Wie ein großer Chansonnier spaziert Clementine durch Welten, die Heilung versprechen. Es geht dem Londoner um die große Befreiung. Dabei stehen ihm in erster Linie eigene Erfahrungen treu zur Seite. So lässt er auf "London" die Zeit vor seinem Neustart in Paris Revue passieren, während das trippelnde, sich immer mehr steigernde "Condolence" der Welt Clementines ganz persönliche Leitfäden vor Augen führt: "I will always remember that i came from nothing, no wonder, why you've buggering me, this walk, it's a previous journey."
Benjamine Clementines Debütalbum ist ein ruhiges Kammerpop-Spektakel, vollgepackt mit großen Gesten, dynamischen Sound-Achterbahnfahrten und emotionalen Grenzgängen. Es fesselt nicht mit umgarnenden Harmonien, sondern mit Gefühlen. Ein Album, das zum Nachdenken anregt, die Sinne bezirzt und selbst die gewaltigste Gewitterfront willkommen heißt. Denn sie versteckt ein Lächeln hinter ihrem Grau. Und der Regen, den sie hinab prasseln lässt, schmeckt süß und wischt die Tristesse hinfort. Man muss nur den Mut aufbringen, sich ihr zu stellen.
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