laut.de-Kritik
Spannende, musikalische Geschichtslektion, Teufelsaustreibung inklusive.
Review von Mathias MöllerWenn der Rock'n'Roll des Teufels Werk ist, muss die elektrische Gitarre sein musikalischer Dreizack sein. Nun gab und gibt es in den USA tatsächlich Menschen, die ernsthaft behaupten, Rockmusiker seien den Verlockungen des Beelzebub anheim gefallen. Für diese sonderbare Fraktion muss es ein Schock gewesen sein, als Bob Dylan, Mitte der Sechziger steil aufsteigender Fürsprecher einer Generation und als akustischer Folker eigentlich so etwas wie ein gegen satanistische Versuchungen immuner Antirockist, 1965 auf dem Newport Folk Festival erstmals die Elektrische in die Hände nahm.
Der Auftritt wurde von den folgenden Generationen als revolutionär eingestuft, zum Mythos hochgejazzt und rangiert unter dem Schlagwort "Dylan goes electric" als essentieller Baustein in der Biographie des Barden. Wie es wirklich war, damals, 1965 in Newport, kann jetzt jeder selbst nachsehen.
"The Other Side Of The Mirror" gewährt ausgewählte Einblicke in drei Auftritte Dylans in den Jahren 1963, 1964 und 1965. Und demystifiziert die Revolution, ohne dabei die Legende Dylan oder den zweifelsohne legendären Auftritt anzukratzen.
In gut 80 Minuten schneidet Regisseur Murray Lerner die verschiedenen Performances zusammen. Auftritte aus den afternoon workshops gibt es genau so zu sehen wie die Abenddarbietungen, beides hat seinen Reiz. Die Nachmittagsauftritte beziehen ihren Charme aus ihrer Direktheit. Sowohl tagsüber als auch abends beweist Dylan unglaubliche Präsenz und Intensität, die jeglichen weiteren Kommentar im Film unnötig machen. Dankenswerterweise lässt Lerner ausschließlich die Musik sprechen und erweist sich dabei als hervorragender Arrangeur.
1963 gilt Dylan noch als so etwas wie ein Geheimtipp, der sich mit der schon bekannteren Joan Baez an seiner Seite in Newport einem breiteren (Folk-)Publikum präsentiert. Als er gegen Ende seines abendlichen Auftritts die Freedom Singers, Joan Baez und Peter, Paul And Mary um sich versammelt, um mit ihnen "Blowin' In The Wind" zu intonieren, kann man für einige Minuten in die Zukunft sehen
Schon im nächsten Jahr wird Dylan von einem jungen, kantigen Johnny Cash gecovert und von Baez imitiert, am Ende der Abendshow ist das Publikum derart aus dem Häuschen, dass Moderator Peter Yarrow sichtlich Mühe hat, die beiden Headliner des Abends anzusagen. Dylan war der Star, nicht Odetta oder Dave Van Ronk.
Und so entwickelt "The Other Side Of The Mirror" eine ganz eigene Dramatik. Als er 1965 zurückkehrt, ist Dylan längst etabliert. Im afternoon workshop sorgt er für restlose Begeisterung allenthalben, und dann beginnt die Revolution. Zusammen mit den Musikern der Paul Butterfield Blues Band legt er sein Bekenntnis zur Elektrischen ab.
Da steht er auf der Bühne mit einem Lederjackett und der Axt um den Hals. Er greift in die Saiten und ... müsste eigentlich, so die Erwartung, losrocken, als wäre der Leibhaftige in ihn gefahren. Genau das tut er aber nicht. Er ist einfach er selbst, nur, dass er seine Akkorde nicht auf der Akustischen anschlägt. Lediglich Gitarrist Mike Bloomfield spielt einige Licks und kurze Soli auf seiner kratzigen Sixstring.
Und so entlarvt der Film die zur Revolution hochstilisierte Performance als eine samtene Revolte, die aber dennoch ihren Charme hat. Und ihren Platz in der Musikgeschichte. "The Other Side Of The Mirror" tritt nicht an, um eine Legende zu dekonstruieren, dazu sind die Auftritte Dylans zu großartig. Nein, Lehrer klärt auf über Newport 1965, auf sehr liebevolle Art und völlig wertungsfrei. Somit erhält der Zuschauer keinerlei konterrevolutionäre Propagandastunde, sondern lediglich eine spannende, kurzweilige, und äußerst musikalische Geschichtslektion. Teufelsaustreibung inklusive.
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