laut.de-Kritik
Magische Momente in komplexen Gitarrensongs.
Review von Franz MauererEine "Rock-Oper" soll "The Scholars" sein. Fünf Jahre wartet man auf eine neue Veröffentlichung des Hauptprojekts eines der schwierigsten Musiker überhaupt, des genialen Will Toledos, und dann kriegt man eine "Rock-Oper". Aber gut, Sales war noch nie die Hauptstärke des Virginians. Mit immer noch erst 32 Jahren hat er eine beeindruckende Albenreihe am Revers heften. Schnell wird klar, dass "The Scholars" im Sound deutlich mehr mit "Teens Of Denial" und Vorgängern zu tun hat als mit dem großartigen "Making A Door Less Open": Die Gitarren herrschen wieder unangefochten.
Das Album "The Scholars" spielt auf dem fiktiven Campus der Parnassus-Universität. Die Songs erzählen sehr lose von Studierenden und Dozierenden. Schon der Name der Universität – Apollons heiliger Berg Parnass ist in der griechischen Mythologie als Sitz der Musen bekannt – sprüht vor Kitsch, und hier gabeln sich zwei Wege, die beide ihre Berechtigung haben: Der eine führt zur Erkenntnis, dass Toledo Kitsch auf Kitsch stapelt. Die von ihm evozierten Gefühle bestehen oft nur auf recht billiger, kurzfristiger Ebene und halten keiner kritischen (unweigerlichen) Selbstbetrachtung stand. Dieses Narrativ benutzt er, so wie viele andere zuvor, nur, um eben diese Gefühlsansprache hinzubekommen, ohne selbst überhaupt irgendetwas über eine generelle Empfindsamkeit ausdrücken zu wollen. Der zweite Weg beschreitet den der Bewunderung, wie dicht und unweigerlich Toledo einen nach wie vor in sein Netz zieht, und zwar in eines, dem gegenüber man sich unempfindlich wähnte.
Wie immer im Leben kann man einfach an der Kreuzung stehenbleiben und der Musik zuhören. "Oper" ist allein schon deshalb Quatsch, da die Musik sich anhört, als habe Toledo eben nicht formell gebunden geschaffen, sondern einfach allen Instinkten seiner frühen Alben auf einmal nachgegeben. "The Scholars" ist keine Oper, sondern eine Opern-Kompilation. Fast jeder Song ist auf seine Art ausufernd, und genau diese Leviathane verhalfen dem Sänger zurecht zu seinem Durchbruch.
Seine bemerkenswerte Könnerschaft darin, in komplexen Gitarrensongs magische Momente entstehen zu lassen, bricht hier an allen Ecken und Enden durch. Das fängt schon mit dem gut achtminütigen Opener "CCF (I'm Gonna Stay With You)" an, der bereits eine Vielzahl an Gitarrenfiguren auf dem Kerbholz hat, bevor er nach drei Minuten überhaupt so richtig anfängt. Es folgt ein geradezu absurder Wechsel aus Akustikpassagen mit hektischem Gesang, Toledos langgezogenen Trademark-Refrains, tollen Bridges des Bassisten Seth Dalby und, und, und.
Dabei fällt die häufige Mehrstimmigkeit auf, die im Vergleich zu früher nicht nur den Bandchef selbst dupliziert, sondern Gitarrist Ethan Ives gar eigene Gesangspassagen zubilligt. Ives nahm auch größeren Einfluss auf das Soundbild. Mit seiner eigenen Band Toy Bastard gelang ihm bislang kein voll überzeugendes Werk, und hier hört sich im Songwriting alles so sehr nach Will an, dass es schwer fällt, seinen Einfluss zu ermessen.
Dieser Emo-Oper folgt mit "Devereaux" einer der konzisesten Songs des Albums mit einer exzellenten Gitarrenfigur in der Strophe und einem etwas faden Refrain. Gut, aber nicht auf dem Niveau des Openers. Der traurig-lebendige Folk von "Lady Gay Approximately" macht es besser, ist nicht etwa einfach nur der pflichtschuldige Akustiktrack des Albums. Ein betörend schöner, immer dichter gewobener Aufbau und ein glänzend aufgelegter Toledo produzieren einen außergewöhnlich schönen, aber nie lieblichen Song.
"The Catastrophe (Good Luck with That, Man)" knüpft in Titel (Klammern sind bei Toledo immer ein Zeichen, dass es ernst wird) und Länge an den Opener an. Leider gerät der Beginn überhastet und baut keine Dynamik auf. Mit der Tür ins Haus zu fallen, ist gar nicht so leicht. Hier gelingt es Toledo nicht, und das wird der Song bis zum Schluss nicht los. Statt haarsträubend guter Übergänge, wirken die Teile eher disparat, der Song entwickelt kein Feel. Drummer Katz gibt "Equals" das Rückgrat. Das funktioniert gut, vom marschigen Beginn aus entwickelt sich ein zackiger, griffiger Rocker.
Mit seinen fast elf Minuten leitet "Gethsemane" das lange, lange Ende des Albums ein. Hier passen alle Teile wie gegossen aufeinander, dass es eine Freude ist. Schon der Start gelingt mit Toledos allein stehender Stimme, es folgt eine Melange von Indie Goth über Ambient Pop bis Hard Rock. Der Song gräbt die Stiefel immer tiefer in der Emo-Asche ein, bis die vier Mannen so breitbeinig dastehen, dass sie Falsett singen. Kann man nicht nicht mögen.
"Reality" knackt die elf Minuten gar. Ives übernimmt den Gesang lange allein, und es liegt nicht an ihm, sondern am Bruch gegenüber dem großartigen, weinerlichen Organ von Toledo, dass er mit seiner sehr normalen Männerstimme deplatziert wirkt. Der Song gerät gefällig, rechtfertigt seine Spieldauer aber nicht, ist eben nicht vollgestopft mit Ideen, sondern schreitet souverän vor sich hin.
"Planet Desperation" kratzt an den 19 Minuten, das ist eine Ansage. Wo "Reality" die bandeigene Dramatik ein wenig vermissen ließ, besteht der Verzweiflungsplanet von Sekunde eins an gefühlt nur aus Drama. Als würde man mitten im Tiefschlag in einer Jerry Springer-Aufzeichnung aufwachen – geil, aber anstrengend, und zum Schluss dann doch ein wenig hinausgezögert lange. Den hört man nicht jeden Tag, aber man sollte ihn sich geben. Wie für alles auf "The Scholars" gilt im Übrigen, dass man das handwerklich erst einmal so machen muss. Ein gehobenes Qualitätsniveau unterschreitet das Album niemals, wie die Atmosphäre auch nie bricht.
"True/False Lover" beendet den Reigen kurz, rockig, kompetent und verspielt, ohne im Ohr hängen zu bleiben.
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