laut.de-Kritik
Ein Amerikaner in Paris oder: Techno trifft auf Orchester.
Review von Eddy DecembrinoEin Amerikaner in Paris, eine Romanze und die Geburt eines Kindes. Nein, es geht nicht um Gene Kelly, der zu Gershwins "I Got Rhythm" der kultivierten Hochkultur-Klientel entgegen steppte. Die vorliegende Romanze vereint den Straßenstaub und Verfall Detroits mit den sanften Lichtern der Großstadt an der Seine. Man tanzt, verwegen und lieber in Sandstürmen ("Sandstorms"), öffnet sich dunklen Assoziationsräumen ("Enter The Darkness", "Darkness"), während sich dicke Melancholie-Flocken aus codierten Klangkreisen analoger Sehnsucht über Klaviertasten ergießen.
Am 8. Mai 2008 legte das Orchester Les Siècles unter der Leitung von Francois-Xavier Roth im Pariser Cité de la Musique den Grundstein dieser vermeintlich gegensätzlichen Romanze, als es über zwei Stunden lang Stücke des Detroiter Techno-Gurus Carl Craig vertonte und das Sitzpublikum zu Standing Ovations hochpeitschte. Jener "Versus Live" betitelte Abend war es, der nun in "Versus" mündete, gemeinsam umgesetzt mit Arrangeur Francesco Tristano sowie Les Siècles und Francois-Xavier Roth. Die Tracks "Barcelona Trist" und "The Melody" stammen von Tristano, alle anderen von Craig.
Folgende Fragen stellen sich: Ist "Versus" ein Versuch, alten Songs neues Leben einzuhauchen, quasi eine Best-Of, nur in fancy, weil mit Orchester und damit per se intellektualisiert? Könnte man so nicht vielleicht auch Plattenverkäufe in Symphoniesälen ankurbeln? Vereinen sich die vermeintlichen Gegensätze Club- und Hochkultur tatsächlich zu einer neuen Klangwelt? Funktioniert es nur live auf der Bühne oder eben auch als Album?
Um es mit Tocotronic zu sagen: Ich weiß es nicht und ich weiß es genau und die Frage danach und die Antwort darauf lautet – Ja. Es funktioniert als Einheit, als Fusionssymphonie und als Konzeptalbum. "Versus" leitet minimal ein und beschwört anhand eines tapsenden Klaviers Unheil herauf, dessen Töne sich zuweilen im digitalen Rauschen des Synthesizers verlieren. Tiefe Posaunen- und Tubarhythmen entführen einen in der "Coding Sequence" in eine brachiale Wüstenwelt.
"Sandstorms" und "Technology" dürften auch sehr gut im Club funktionieren: Minimaler Rhythmus, sphärischer Übergang, Einsatz der Drummachine, Spannungserzeugung und anschließende Entladung. Tristanos Tracks "Barcelona Trist" und "The Melody" unterscheiden sich vom Rest in Form von wesentlich mehr Jazz-Elementen, die sich verspielt und fragil mit weichem House paaren. Gerade in diesen Arrangements zeigt sich dann Carl Craigs musikalisches Genie, und es wird deutlich, dass alle an diesem Album Beteiligten wirklich etwas Neues erschaffen haben.
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