laut.de-Kritik
Schlägt um sich und groovt wie ferngesteuert.
Review von Mathias MöllerNun bin ich mir sicher: in Tim Kasher steckt ein kleiner Punkrocker. Die Vermutung lag ja schon länger nahe, vor allem angesichts des Cursive-Outputs. Schimmerte es beim letzten Album "The Ugly Organ" hier und da schon durch, bricht es auf "Happy Hollow" offen aus. Kasher liebt die Kakophonie und das Chaos, und beides kanalisiert er und die Band in bestmöglicher Weise. Was dabei herauskommt, ist manchmal eine Herausforderung an den Hörer; wenn man sie annimmt, wird man belohnt.
Die dissonanten Bläser, die mit bis zur Unkenntlichkeit entstellten Gitarren den Opener "Opening The Hymnal/Babies" einleiten, zeigen dem Hörer ohne Umschweife, wo der Hammer hängt. Schon hier erkennt man die Vielschichtigkeit, die Cursive auf Platte bannen. Doch wer jetzt ein zweites Konzeptalbum à la "The Ugly Organ" erwartet, liegt zwar falsch, wird aber sicher nicht enttäuscht. Cursive haben sich entschlossen, gar nicht erst zu versuchen, dem frühen Meisterwerk einen lauen Abklatsch folgen zu lassen, sondern betreten neue Pfade.
Die Eröffnungshymne schlägt um sich, ruht in sich und groovt wie ferngesteuert. Man merkt, hier sind nicht nur musikalische Talente am Werk, sondern auch noch Leute, die Spaß bei dem haben, was sie machen. Es gibt sicher nicht viele Bands, die so auseinander und doch so zusammen spielen. Dissonanz und Harmonie reichen sich die Hand. Und bei "Dorothy At Forty" geht der Punk los. Mit Breaks und Aufmüpfigkeit. Mit In-die-Fresse-Drums, Gekreische und Free-Jazz-Horns.
Nicht immer gehts so leicht von der Hand, "Big Bang" schleppt sich wie ein nasser Sack, die Schwere ist dem Song anzuhören. Dagegen schwebt das zurückhaltende "Bad Sects" geradezu. Und beim nächsten Song wartet schon wieder eine andere Marschrichtung. Dennoch gelingt es Cursive immer, die Songs so miteinander zu verbinden, dass eine Einheit entsteht. Diese Einheit weist aber eben immer genügend Ecken und Kanten auf, so dass "Happy Hollow" zum großen Teil hängen bleibt.
Kasher selbst bleibt dabei die große Unbekannte. Nicht viele Fronter gehen so auf in der Musik der Band wie er. Er schreit, kreischt, haucht, quält sich und tänzelt durch die Songs, er verliert sich in ihnen, er ist die scharfe Kante von Cursives rauhen Seiten, die am meisten hervorsteht. Dabei bleibt Kasher sphingisch, er ist weder zu durchschauen, noch auszurechnen. Im einen Moment wirkt er abgründig und verletzlich, im nächsten stark und standhaft. Doch auch die auf die Spitze getriebene Experimentierwut des Saddle-Creek-Flaggschiffs lässt die Band mehr leben denn je.
Sicher mag eben dieses Hakenschlagen oder die ständigen Richtungswechsel den ein oder anderen Hörer abschrecken. Auch von einem reifen Werk zu sprechen, wäre wohl etwas zu viel des Guten, aber Cursive haben den nächsten konsequenten Schritt getan: nach dem Konzeptalbum die Platte der Experimente. Und das ist gelungen.
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