laut.de-Kritik

Der Prediger und der Anarchist treffen endlich aufeinander.

Review von

Ihre Freundschaft könnte kaum gegensätzlicher sein. Hier ein alttestamentarischer Prediger, der als Kind mit seinem Großvater umherzog, auf dass sich Gottes Wort verbreite. Dort der Berliner Anarchist, der schon als Jugendlicher mit den Einstürzenden Neubauten alles dekonstruierte, was in Musik, Text und Gesellschaft Gültigkeit besaß. Ihr gemeinsames Album "Risha" verbindet konsequenterweiser Tradition und Experiment.

Das wurde auch Zeit! Zwar kennen und schätzen sich beide Musiker seit über 25 Jahren. Auch gab es mehrfache Berührungspunkte, wie Hackes Co-Producing auf Wovenhands "Laughing Stalk" oder die gemeinsame Teilzeitmitgliedschaft in der Indie-Legende Crime And The City Solution. Dennoch dauerte es fast drei Jahrzehnte, bis die Achse Denver-Berlin endlich eine echte Duo-Platte gebar. Die hat es erwartungsgemäß in sich.

Denn "Risha" lebt von der philosophischen, symbolischen und nicht zuletzt künstlerischen Auslotung heftiger Gegensätze und Widersprüche. Auf zehn Songs bringen Edwards und Hacke Gegensätze in Einklang und setzen sie in einen eigenen Zusammenhang, der seinerseits mehrdeutig bleibt und Fragen aufwirft. Solche, die das Publikum selbst beantworten kann und soll.

In unserem erkenntnisfeindlichen Klima mit Fake-News und Hang zur Selbstbestätigung, verweigern das Yin Edwards und sein Yang Hacke schabloneske Antworten. Ihr Bauplan ist entsprechend komplex. Schon mit dem Titel fängt das an. "Risha" bedeutet "die Feder". Geht es um jene Feder amerikanischer Ureinwohner, von deren Kultur Edwards sich stets angezogen fühlte? Leitet sich der Bezug aus einem arabischen, weiblichen Vornamen ab und steht im Bezug zu verwendeten orientalischen Strukturen? Oder ist es das Schreibinstrument, mit dem Edwards dem Hörer seine Worte hinters Ohr schreibt wie einst Moses per Steintafel?

Musikalisch setzt sich das Verwirrspiel fort. David Eugene Edwards singt, textet und spielt diverse Saiteninstrumente von E-Gitare bis Bouzouki. Hacke schnappt sich Keyboards, Bass, Drums und fabriziert elektronische Sounds. Mit spürbarem Genuss lassen sie Vergangenheit und Moderne zusammenprallen.

Das allein wäre schon gewagt, verkörpert jedoch nur ihre konzeptionelle Oberfläche. Darunter lauert die nächste Irritation. Edwards Texte spiegeln wie gewohnt in Lyrik wie Prosa höchstes Niveau. Typischerweise offenbaren die Zeilen einmal mehr ihre ebenso kabbalistische wie biblische Prägung. Musikalisch hingegen tauchen mannigfaltige arabische Skalen und Klangkörper auf, deren kultureller Bezug zur muslimischen Welt gehört. Es ist ein wenig, als intonierte man Sufi-Gesänge als Bach-Kantate.

Hier fächern sich erneut diverse Deutungsmöglichkeiten auf. Jene, die in Edwards schon immer einen fundamentalistischen Kämpfer sahen, können die Lieder als kulturimperialistischen Beutezug brandmarken. Unvoreingenommene Geister bewerten selbige als große synkretistische Umarmung, wie sie bereits Leonard Cohen zwischen Judentum und Buddhismus erschuf.

Avantgarde oder Postmoderne? Brücke oder Agitation? Wer keine Lust verspürt, sich solchen Fragen zu widmen, genießt bis zum absoluten Höhepunkt "Breathtaker" einfach die exquisite Kombination aus schwerblütigem Gothic, schamanischem Neofolk, Orientalismen und Industrial. Jedes einzelne Stück birgt einen individuellen, in sich geschlossenen Kern. Gemeinsam bilden sie ein flammendes Klangmosaik. "Yes my fire, you are right, you are light.".

Trackliste

  1. 1. Triptych
  2. 2. All In The Palm
  3. 3. The Tell
  4. 4. Helios
  5. 5. Kiowa 5
  6. 6. Lily
  7. 7. Parish Chief
  8. 8. Akhal
  9. 9. Teach Us To Pray
  10. 10. Breathtaker

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LAUT.DE-PORTRÄT Woven Hand

Woven Hand sind ein 2001 gegründetes US-Projekt von David Eugene Edwards, dem ehemaligen Kopf der aufgelösten Alternative-Country Band 16 Horsepower.

3 Kommentare mit 6 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    Endlich was neues von Edwards!

  • Vor 6 Jahren

    Versuche mich gerade in seine Diskographie hereinzufinden, bislang ging der irgndwie komplett an mir vorbei. Irgendwelche Anspieltipps?
    Bin momentan bei Wovenhand mit dessen gleichnamigen Album

    • Vor 6 Jahren

      Ich würde nicht unbedingt bei den neusten Sachen anfangen. Nicht weil die schelchter sind, aber sehr sperrig und mMn im Kontext besser zu erschließen sind.
      Meine Tipps wären:

      16 Horsepower - Secret South
      16 Horsepower - Folklore
      Wovenhand - Mosaic
      Wovenhand - Consider the Birds

      ruhig ein paar Durchgänge geben ;-)

    • Vor 6 Jahren

      man braucht im grunde alles von edwards alias dee.

      hier mal die rezis der letzten 10 jahre.
      https://www.laut.de/Woven-Hand/Alben

      battlefire hat ebenso recht. die secret south ist ein kleinod. wäre auch ein toller meilenstein für unsere rubrik. unbedingter anspieltipp: "splinters"!

      solltest du mit eher ruhigen sachen starten wollen, unbedingt per youtupe das grandiose "story & pictures" checken.

      solltest mit rockigen sachen loslegen wollen, sind die letzten drei alben wovenhands deins. mein persönlicher liebling ist der "laughing stalk", an dem hacke auch mitwirkte.

      und als bonbon hier mal eine der besten coverversionen aller zeiten. "bad moon rising" von ccr/fogerty kennt jeder. 16 hp befreien das lied vom gemütlich verschunkelten kaffeefahrt-appeal und knallen die volle apocalypse raus.sehr elegant.
      https://www.youtube.com/watch?v=X0BpI0p44B8

    • Vor 6 Jahren

      https://youtu.be/IMPX1zKvPOA

      Oh mein Gott wie konnte mir so etwas entgehen?

    • Vor 6 Jahren

      Bin ja eigentlich kein Freund von Coverversionen - aber „Aint no sunshine“ von Wovenhand hat mich auch schon direkt abgeholt.
      „Bad Moon Rising“ geht da noch weiter. Einfach gut.
      Danke euch, werde mich mal da durchwühlen.

    • Vor 6 Jahren

      @courou: viel spaß :)

      @science: berechtigte frage. das ist doch sichertlich absolut dein ding.

    • Vor 6 Jahren

      oh ja, ain't no sunshine ist ein klasse Cover

  • Vor 6 Jahren

    Ich hatte David Eugene Edwards nach seinen Rockismen auf den letzten Wovenhand-Alben ja fast schon abgeschrieben. Irgendwie fehlte dann doch die Intensität und dann haut der mit Hacke so eine Hammerplatte raus, die geschickt eingängige Strukturen mit elektronischen Spielereien verwebt und durch die orientalischen Elemente genug Tiefgang besitzt, um über längere Zeit mal wieder zu fesseln. Auf der Scheibe macht sich letzten Endes Edwards' ganze Klasse endlich wieder bemerkbar. Obendrein stellt Hacke ein kongenialer Partner dar. Man hofft dann doch insgeheim auf ein zweites gemeinsames Werk.