laut.de-Kritik
Diese sechzehn Ozeane sind so lebendig wie das Tote Meer.
Review von Rinko HeidrichEigentlich könnte man nun raus gehen und unbeschwert das schöne Frühlingswetter genießen. Wir wissen nun alle, warum das derzeit nicht so wirklich funktioniert. Doch kommen wir eben nicht nach draußen, kommt der Lenz immerhin in phonetischer Form in die Isolation. Kieran Hebden, der fleißige Londoner hinter dem Namen Four Tet, bastelt wie ein besessener Nerd schon seit 20 Jahren an der formvollendeten Ästhetik seines Sounds. Das Debüt "Rounds" war praktisch die Blaupause von der Vermählung von ätherischer Folk-Ruhe und Erforschung neuer Klangwelten. Erst später ging es mit Songs wie "Lovecry" raus aus dem Schlafzimmer und direkt hinein in die Clubs.
Doch auch auf dem zehnten Album "Sixteen Oceans" klingt Four Tet immer noch wie der optimistische Bruder von Dubstep-Legende Burial und der Seelenverwandte von Aphex Twin in seiner Ambient Sounds-Phase. In keiner seiner Songs geht es darum, irgendeine Ahnung von Chaos aufzubauen, es regiert eine allumfassende Wohlfühl-Atmo. Da zwitschern wie auf einer Meditations-CD die Synthie-Vögel in "Baby", da ertönt Kinderlachen und in den computergenerierten Landschaften von "Hapsichord". Alles gefährlich nahe am Ethno-Kitsch und doch einfach zu kunstvoll miteinander verbunden.
Und doch fehlt in dieser synthetischen Welt irgendetwas. Die Musik passt perfekt zu Kunst-Ausstellung, auf denen in Zeitlupe immer irgendwas auf der LED-Wand passiert. So wabert die Musik wie eine Tech-Demo durch den Raum, ohne wirklich etwas auszulösen. "Mama Teaches Sanskrit" streckt den verlangsamten Sound so lange, bis nur ein Ton leicht moduliert vor sich hin schwebt. Das konnte Richard D. James schon 1992 besser als diese ziellose Irrfahrt, der zunehmend die Ideen ausgeht.
Ein blubberndes Digital-Bad in "Bubbles At Overlock 25th March 2019" mag für einen kurzen Moment wirklich erfrischend klingen, aber nach nur einer Minute ist auch diese kurze Songskizze beendet. Was immer auch an diesem Tag passierte, so ereignisreich war es dann wohl doch nicht. Es wirkt so, als ob Four Tet zurecht liegengebliebene Demos noch einmal für "Sixteen Oceans" aufgriff, ohne diesen neues Leben einzuhauchen. Die Wärme seiner frühen Alben weicht wiederholenden Chillout-Loops, die in Dauerschleife keinen Spannungsmoment auslösen.
Mag sein, dass diese Calm-Down-Soundrack genau jetzt in diesem Moment der weltweiten Anspannung seine Funktion perfekt erfüllt, aber trotzdem läuft Hebden musikalisch der Konkurrenz hinterher und fügt längst bekannten Klangspielereien nichts mehr Neues hinzu. Das Jahrzehnt fängt nicht gut für Four Tet-Fans an. Diese sechzehn Ozeane sind so lebendig wie das Tote Meer.
1 Kommentar
Album überzeugt auf voller Länge. Gerade die Rückkehr zu Leftfield-ischeren Tönen und weg vom House des Vorgängers funktioniert tadellos. Da kann ich dem Rezensenten nicht wirklich folgen.